Was geht?
In einer demokratisch gelebten Welt gehört Protest in Form von Demonstrationen und Meinungsbekundungen zum politischen und gesellschaftlichen Leben. Aber gerade auch in nicht-demokratischen Strukturen ist der öffentliche Protest ausschlaggebend für einen zukünftigen Wandel. – das zeigt der Blick in die verschiedensten Zeitschnitte der Geschichte. Die Ballungszentren der Protestbewegungen werden in vielen Fällen durch Protestcamps zu baulichen Strukturen – eines der jüngsten Beispiele in Deutschland ist die Siedlung im Hambacher Forst, welche die Protestierenden in den Bäumen und mit verbindenden Hängebrücken errichteten. Diesen und anderen Protestarchitekturen widmet das Deutsche Architekturmuseum (DAM) in Kooperation mit dem Wiener MAK – Museum für Angewandte Kunst bis zum 14. Januar 2024 die aktuelle Ausstellung „Protest/Architektur – Barrikaden, Camps, Sekundenkleber“.
Den Schwerpunkt der Ausstellung bilden 13 Protestereignisse zwischen 1968 und 2023 aus Ägypten, Brasilien, Deutschland, Hongkong, Indien, Österreich, Spanien, der Ukraine und den USA. Dort entstanden jeweils Protestcamps von unterschiedlicher Dauer und mit sehr verschieden ausgeführten baulichen Strukturen: In Kairo läuteten 2011 die Proteste auf dem Tahrir-Platz mit der Besetzung des Kreisverkehrs den Arabischen Frühling ein, in Hongkong und bei „Occupy New York“ entstanden Zeltstädte, in Kiew wurde der Majdan zu einer Festung aus Barrikaden und in Delhi dauerte eine Autobahnblockade mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen, die zu Häusern umgebaut waren, ganze sechzehn Monate. Ein Beispiel kommt auch aus dem regionalen Umfeld der Ausstellung: Im Flörsheimer Wald südwestlich von Frankfurt am Main entstand ab Mai 1980 ein Protestcamp gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens. Dennoch wurden die in der Ausstellung vorgestellten politischen Bewegungen nicht danach ausgesucht, ob sie dem Kurator:innen-Team unter der Leitung von Oliver Elser (DAM) sympathisch oder unterstützenswert erschienen, sondern aufgrund ihrer starken räumlichen Komponenten. Denn die Architektur spielte für die Proteste oft eine wesentliche Rolle.
Zu sehen sind eine Vielzahl von Modellen, Fotos und eine eigens für die Ausstellung entstandene Filminstallation des Frankfurter Regisseurs Oliver Hardt („The Black Museum“, 2018). In Zusammenarbeit mit Aktivist:innen konnte zudem eine Hängebrücke aus der Baumhaus-Siedlung im Hambacher Forst im Ausstellungsraum aufgehängt werden. Die gezeigten Case Studies analysieren Proteste auf der ganzen Welt und zeigen, dass in unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Kontexten aus begrenzten Ressourcen experimentelle Bauten für ungewöhnliche Gemeinschaften auf Zeit entstehen können. Faszinierend ist in allen Fällen die Energie, Leidenschaft und Risikobereitschaft der Protestierenden.
Beitragsbild: Im Flörsheimer Wald südwestlich von Frankfurt am Main entstand ab Mai 1980 ein Protestcamp gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens. Blockiert wurde der Bauplatz der „Startbahn West“. © Walter Keber, 1981