STADT AM LIMIT

Im Gespräch mit Franz-Josef Höing, Dezernent für Stadtentwicklung, Planen und Bauen und Verkehr der Stadt Köln.

Wenn wir von der kompakten Stadt sprechen, handelt es sich dabei um einen Paradigmenwechsel in der Stadtplanung, der sich abzeichnet? Weg von großzügigen Freiräumen be-
ziehungsweise Planungen?

Wir diskutieren dieses Thema als Planer schon seit 25 Jahren. Vielleicht befinden wir uns nun einfach in einer Phase, in der klar wird, dass Kompaktheit der einzige Weg ist. Es besteht eine große Nachfrage, Flächen werden benötigt und Wohnungen müssen gebaut werden. Es ist eine Phase, in der es konkret wird und man der Realität ins Auge schaut. Bislang war die Diskussion darüber machmal etwas akademisch. Nun kommt man nicht darum herum, sich mit dem Thema Kompaktheit in der Praxis auseinanderzusetzen, denn die Flächen sind knapp. Die Städte stehen vor der Aufgabe, damit umzugehen und Wege zu finden.

Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Ich nehme gerade hier bei uns in Köln wahr, dass wir nennenswert wachsen. Das wird auch von den Statistikern bestätigt. Die Prognosen gehen von einem Zuwachs von bis zu 200.000 Einwohnern aus. 65.000 Wohnungen müssen untergebracht werden. Bei einigen Planern und Architekten regt das natürlich die Fantasie an. Da wird Kompaktheit und Dichte zum Teil direkt mit Höhe kombiniert und es entstehen wilde Zeichnungen. Das heißt, es ist mitunter auch eine sehr vordergründige Debatte um Kompaktheit und Dichte.

Auf der einen Seite steht also der zu realisierende Wohnraum und auf der anderen Seite viele Unternehmen, die dies gerne übernehmen würden. Wie behält man die Situation in Köln im Griff?

Es gibt verschiedene Richtungen, in die man in unserer Rolle denken muss. Das eine sind die Unternehmen, die tendenziell natürlich das Ziel haben, ein Grundstück maximal zu bebauen. Denn ein Grundstück zugesprochen zu bekommen, ist nicht immer einfach und fast immer teuer, und wenn man dann eines hat, will man dieses natürlich auch so gut wie möglich ausnutzen. Mit den Unternehmen muss man darüber reden, was Dichte, Kompaktheit und vor allem Qualität bedeuten und was man dafür tun muss. Die andere ist die politische Richtung. Hier steht man immer unter Druck. Es muss geliefert werden, am besten heute, nicht erst morgen. Die Mieten und die Preise für Eigentumswohnungen steigen noch. Wobei die Steigerung allmählich nachlässt. Irgendwann hat eine Stadt ein Limit erreicht, wo die Zahlungsfähigkeit in der breiten Masse nicht mehr gegeben ist. Klar ist aber auch, und das wird gerade vor der Flüchtlingsdebatte noch einmal dramatischer diskutiert, dass wir uns fragen müssen, wie wir eine hohe Schlagzahl in kurzer Zeit realisieren können. Da muss man genau überlegen, wie man Qualität und Quantität zusammenbringt. Unsere Planergeneration wird am Ende des Tages nicht nur daran gemessen, dass sie Bedarfe befriedigt, sondern auch an der erzeugten Qualität.

Können Sie die Leitgedanken beschreiben, die Sie, trotz der enormen Bedarfssituation hier in Köln, versuchen im Blick zu behalten?

Es geht darum, die Stadt genau zu betrachten, Freiräume zu suchen und anzubieten, um die Bedarfe optimal abzudecken. Innenentwicklung steht dabei vor Außenentwicklung. Hier sind wir in der glücklichen Lage, dass wir noch über eine ganze Reihe von größeren und zum Teil sehr zentralen Flächen verfügen, die ihre angestammte Rolle verloren haben und die wir nun nutzen können. Natürlich besteht gerade in den zentralen Lagen der Wunsch, nicht nur ein Stück hochverdichtete Siedlung, sondern ein Stück Stadt zu bauen. Das ist leichter gesagt als getan. Gerade die Mischungen zu organisieren, zum Beispiel die räumliche Nähe von Wohnen und Arbeiten, ist nicht immer einfach. Dabei ist das Verständnis der Investoren in den letzten Jahren schon größer geworden. Es geht nicht mehr nur um Monostrukturen. An den jeweiligen Orten existieren keine rezepthaften Herangehensweisen. Es muss individuell geschaut werden, was angemessen ist. Ich finde, eine Stadt wie Köln hat wunderbare Beispiele, wie eine gute Mischung aussehen kann. Im Grunde hat jedes Jahrzehnt Ansehnliches und Überzeugendes hervorgebracht. Und das muss man betrachten und weiterentwickeln.

Ist das eine vorsichtige Stadtentwicklung, die diese großen formatierten Lösungen gar nicht unbedingt sucht?

An einigen Stellen geht es natürlich nicht nur um Behutsamkeit, sondern auch darum, die Stadt ein Stück neu zu erfinden und auf den großen Brachflächen Akzente zu setzen. Dabei muss man die bestehenden Strukturen befragen, was sie hergeben, ob sie ein Maß, Typologien oder die Logik von Freiräumen vorgeben. Es ist ein Anknüpfen ohne ein plattes Zitieren. Die Frage nach dem Kompakten und Verdichteten steht immer im Vordergrund, gerade wenn es um größere Entwicklungen bzw. Impulse geht – wie beim Mülheimer Süden oder Deutzer Hafen –, die für die Stadt wahrnehmbar sind.

Wie muss man sich diese Diskussion im sozialen Kontext vorstellen?

Kompakt bedeutet für mich vor allem auch komplex und das heißt wiederum sozial durchmischt. Und das heißt auch, dass es natürlich bezahlbar sein muss. Gerade die neuen großen Quartiere erfordern einen unglaublichen Vorlauf von großen Investitionen, bis ein Standort überhaupt entsprechend aufbereitet ist. Es gibt häufig Altlasten, die eine Bebauung erschweren, Nachbarschaften, die keine neuen Nachbarn haben möchten. Uns liegen einige Instrumente vor, wie beispielsweise das Kooperative Baulandmodell, Bebauungspläne, städtebauliche Verträge, worüber vieles definiert werden kann, zum Beispiel wer wo überhaupt wohnen soll. Und es gibt ein Instrument der Konzeptvergabe statt der Höchstpreisvergabe. Es bleibt aber eine große Kraftanstrengung, die soziale Mischung nicht nur zu propagieren, sondern sie am Ende des Tages auch umzusetzen.

Sie haben das Stichwort Quartiere angesprochen. Wenn Sie nun mit den großen Projekten beginnen, wie kann diese Quartiersvitalität realisiert werden?

Wir fragen uns immer, was sich gut ergänzt und gegenseitig befruchtet. Und was es zum Beispiel heißt, Wohnen und Arbeiten in einen engeren Zusammenhang zu bringen. Da sind wir mit den Entwicklern im Dialog, die das Ganze umsetzen, bezahlen und vermarkten müssen. Eine anstrengende Debatte, aber wir versuchen es. Ob es an jeder Stelle funktioniert, werden wir sehen.

Hat das auch was mit den räumlichen Strukturen zu tun?

Klar, man muss Lagen schaffen. Man muss über den Städtebau und über die Freiräume eine Adresse bilden und sich überlegen, wer dort wohnen soll, wohlwissend, dass man nicht alles vorherbestimmen kann. Im Mülheimer Süden versuchen wir über wohlgestaltete Freiräume – in dem Fall vielleicht sogar karge Freiräume – Qualität zu erzeugen und eine Adresse zu bilden, die sich von vielen anderen unterscheidet. Mit der Freiraumplanung möchten wir an das ehemalige historische Milieu anknüpfen, das es dort mal gegeben hat. Aber wir setzen uns natürlich auch mit der großstädtischen Realität auseinander, gerade bezogen auf unterschiedliche Nationalitäten, Lebensentwürfe und Menschen. Das Flüchtlingsthema wird uns in dem Kontext sehr beschäftigen, da gibt es keine Patentantworten. Klar ist, dass wir das Thema ein Stück weit in eine großstädtische Normalität transformieren müssen. Wir müssen nach einer Phase der temporären Unterbringung darüber nachdenken, wo die Menschen zukünftig wohnen können und wie wir das in der Geschwindigkeit schaffen. Darauf habe ich keine fertigen Antworten, aber wir setzen uns aktiv damit auseinander.

Ist die Baugesetzgebung bei Fragen einer Neubewertung von Grundstücken hilfreich?

Was wir als Planer als selbstverständlich empfinden, nämlich die räumliche Nähe von Wohnen und Arbeiten, scheitert manchmal leider an knallharten Vorgaben wie zum Beispiel Normen oder Lärmvorschriften. Natürlich muss man immer sehen, warum das so entstanden ist. Einige Themen sind nicht trivial wie das Thema Lärm. Das wissen wir und das ist auch ein wirkliches Problem. Insofern muss man dann aus seiner romantischen Träumerei als Planer aufwachen und aufpassen, dass man nicht übers Ziel hinausschießt. Im Moment wird der Wohnungsbau als Treiber der Stadtentwicklung gesehen, aber wir dürfen, auch wenn der Wohnungsbau lukrativer zu sein scheint, die Arbeit in den Städten nicht aus dem Auge verlieren. Wir müssen uns fragen, wie neue Arbeitswelten aussehen können, wo sie in der Stadt verortet sein können und wie verträglich sie mit anderen Nutzungen sind. Und auch das Thema Wohnungsbau müssen wir gerade hier in Köln erst einmal richtig anschieben. Die eigentliche Aufgabe liegt darin, jenseits der großen Leuchtturmprojekte, Flaggschiffe und der ganz großen Brachflächenumstrukturierung Wohnen auch in die Fläche hinein zu transportieren und an vielen Stellen, vielleicht auch in einer harmloseren Art, gängig zu machen. Wir müssen die Prozesse verschlanken und Geschwindigkeit aufnehmen. Wir loten gerade zum Beispiel auch aus, was sich in den 50er- und 60er-Jahre-Siedlungen noch unterbringen lässt. Sechs Genossenschaften arbeiten jetzt gemeinsam parallel an acht Standorten. Wir haben 30 internationale Büros darauf angesetzt, zu prüfen, was hier möglich ist, im Sinne von kompakter und dichter werden, Restflächen verwerten, Bestände sanieren, den bestehenden Dingen etwas hinzufügen, was für alle einen Mehrwert darstellt. Sie sollen eine Architekturqualität definieren – auch in der Auseinandersetzung mit teilweise sehr spröden Beständen. Und es ist erstaunlich, was in diesen Quartieren an Qualität entstehen könnte und wie viele Wohneinheiten dort realistisch wären, ohne die heutige Situation zu verschlechtern oder das Gefühl von Enge entstehen zu lassen. In den acht Siedlungen sind das 1.000 zusätzliche Wohneinheiten vorgesehen. Die Frage nach Dichte bezieht sich halt auch nicht immer nur auf die Innenstadt, sondern auch auf andere Stellen, ohne die Logik dieser Siedlungen in Frage zu stellen, die durchaus ihren Charme haben.

Ist das auch eine Frage der qualitativen Begleitung, Dichte als Qualitätsaufgabe?

Ja, absolut. Je dichter man wird, umso schwieriger ist die Organisation. Und die gängigen Gebäudetypologien reichen folglich nicht mehr aus. Aber gerade dann wird es ja auch spannend. Es geht darum, eine Prozesskultur zu installieren und intelligent zu sein. Denn auch Themen wie Brandschutz werden plötzlich zentral. Und man muss sich fragen, welcher Mehrwert mit der Verdichtung umsetzbar ist. Darum schließen wir zusätzliche Nutzungen neben dem Wohnen, die das Ganze bereichern und interessant machen, nie aus. Natürlich gilt es dabei, aufzupassen, dass man nicht versucht, eine innerstädtische Zentralität krampfhaft auf Lagen zu übertragen, die im Wesentlichen Wohnstandorte sind.

Welche Konzepte im Bereich Logistik und Mobilität könnten uns in den nächsten Jahren Leitlinien sein?

Wir arbeiten gerade an einem Konzept Köln 2025. Ich glaube, man muss umsteuern und ganz realistisch sein, dass es so nicht weitergeht. Der Verkehr ist nahezu dabei zu kollabieren. Teilweise ist der Radverkehr die einzige Möglichkeit, mit einem überschaubaren Budget, voranzukommen. Man muss eine Renaissance der Fußgänger einläuten und massiv in den ÖPNV investieren. Und man muss an manchen Stellen, wo das Netz für den IV nicht taugt, auch noch einmal über andere Möglichkeiten nachdenken. Jeder redet von der Bedeutung des Autos und vom Werteverfall, aber faktisch spürt man es noch nicht überall. Aber in den Lagen, von denen wir sprechen, muss man wirklich überlegen, wie viel das Auto dort überhaupt noch gefragt ist oder wir zulassen. Die Standorte sind alle perfekt mit dem ÖPNV erschlossen. Man muss darüber nachdenken, welche Strukturen langfristig Stabilität bieten.

Sind die beiden großen rechtsrheinischen Projekte, die Entwicklung des Mülheimer Südens und des Deutzer Hafens, für Köln die wichtigsten Projekte?

Ja, sie liegen zumindest mit in der ersten Reihe. Sie sind sichtbar und natürlich in ihrer Dimension nicht zu unterschätzen. Sie verändern den rechtsrheinischen Raum deutlich über ihre eigene Grundrissfläche hinaus. Sie werden Tiefenwirkungen entfalten und Entwicklungen in angrenzenden Bereichen einleiten. Da bin ich mir sicher. Es sind zwei großartige Standorte mitten in der Stadt und da gilt es, die vielen formulierten Ansprüche auch umzusetzen. Beim Mülheimer Süden bin ich frohen Mutes, beim Deutzer Hafen müssen wir erst einmal noch eine stimmige und organisatorische Form finden, die das eng begleitet.

Wird Köln eine teurere Stadt werden? Noch teurer als andere?

Ich würde sagen, mittlerweile ist Köln eine teure Stadt.  Die Nachfrage ist groß und das Angebot überschaubar. Das treibt natürlich die Preise weiter in die Höhe. Unser Anspruch ist es, durch Geschwindigkeit und neue Angebote die Preise nicht ganz in den Himmel schnellen zu lassen. Einige sagen, die Spitze wäre schon erreicht und Köln hätte sicherlich auch nur eine bestimmte Anzahl an Personen, die bereit sind, 20 Euro und mehr für den Quadratmeter Wohnraum zu zahlen. Der Anspruch muss daher sein, dass sich der Großteil der Menschen die Stadt noch leisten kann.

Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.

Das Interview führte Johannes Busmann


Franz-Josef Höing

wurde 2012 vom Rat der Stadt Köln zum Beigeordneten gewählt. Er leitet das Dezernat  für Stadtentwicklung, Planen, Bauen und Verkehr. Gebürtig aus Gescher (NRW), absolvierte Höing sein Studium der Raumplanung an der Universität in Dortmund. Zu den Station seiner Laufbahn gehören Dortmund, Wien, Aachen, Hamburg, Münster und Bremen, wo er in unterschiedlichen Aufgabenfeldern tätig war: in freien Planungsbüros, als lehrender Assistent am Institut für Städtebau und Raumplanung an der Technischen Universität Wien (1994 bis 1999), als Professor für Städtebau an der Münster School of Architecture (2004 bis 2008), als Leiter der Projektgruppe HafenCity in Hamburg (2003 bis 2004) und als verantwortlicher Senatsbaudirektor der Freien Hansestadt Bremen (2004 bis 2012).

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