ULI MAYER-JOHANSSEN: WIE WIR VOM WISSEN ZUM HANDELN KOMMEN

© Uli Mayer-Johanssen

Wir glauben an wissenschaftliche Erkenntnis und ignorieren sie gleichzeitig. Je mehr Kenntnisse vorliegen, je mehr Wissen wir uns aneignen, desto unfähiger werden wir, Konsequenzen zu ziehen und zu handeln. Es reiht sich Widerspruch an Widerspruch. Immer mehr Detailwissen hilft ganz offensichtlich nicht, in die Umsetzung zu kommen. Was wir verlieren, ist der Blick auf und für das Ganze, also auf die sich abzeichnende Katastrophe, auf die wir sehenden Auges langfristig zusteuern.

Egoismen, Eitelkeiten und Machtansprüche die zu Hybris und Ignoranz führen, quälen die Menschheit nicht erst seit gestern. Und nicht erst seit gestern predigen alle Weltreligionen das Heil im Überwinden eben jenes Egos, das uns unaufhörlich treibt. Im unermüdlichen Aneignen der Welt entgleitet sie uns zunehmend und entzieht sich, indem sie zur Bedrohung wird. Klimawandel, Artensterben, Bevölkerungswachstum, Ressourcenverbrauch. Wir treiben, was uns treibt, und das mit Eifer. Wir vergessen oder verdrängen dabei grundlegende Gesetzmäßigkeiten, die sich bei näherer Betrachtung in allem manifestieren: Jede Entwicklung hat ihren Zenit und birgt im Niedergang das Neue, jede Dynamik erlahmt, wenn es keine qualitative Entwicklung gibt, jeder Pendelschlag endet an seinem Kipppunkt und jeder Gedanke prägt unsere Geisteshaltungen und formt unsere Wirklichkeit.

Die Frage bleibt, ob uns allein technologische Entwicklungen und die Flucht ins Digitale der Rettung der Welt näher bringen? Doch die Befreiungsbotschaft der digitalen Welt samt künstlicher Intelligenz entpuppt sich – neben vielen Errungenschaften, die wir nicht mehr missen möchten, immer mehr als neue, immer konkreter werdende Gefahr, die uns zu Beherrschten im Dickicht der Undurchschaubarkeit macht. Der Mensch als Ware einer gigantischen Bemächtigungs- und Marketingmaschinerie. Und so mehren sich seit Jahren die Stimmen jener, die einst zu den Vordenkern und Heilsverkündern erster Stunde zählten, und mahnen, all der technologischen Faszination ein Wertegerüst und ethische Grundsätze gegenüberzustellen, um Allmachtsfantasien und blinder Zukunftstrunkenheit Grenzen zu setzen. Wie dichteten Gernhardt und Bernstein so schön: „Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche.“ Kein Wunder, sie sehen die Problematik aufgrund ihrer Expertise früher als andere.

Planetare Grenzen und kein Einsehen

Wie verführerisch das Spiel mit Zahlen und Vergleichen ist, zeigt sich mittlerweile auf allen Ebenen. Deutschlands CO2-Ausstoß in Gänze liegt bei zwei Prozent. Im Vergleich mit Staaten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, Australien oder Amerika und anderen Industrienationen ein offensichtlich zu vernachlässigender Wert. Das Argument scheint auf der Hand zu liegen: Was können wir schon tun? Das Problem sind die Anderen! Bei näherer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass wir zwei Prozent CO2-Ausstoß mit einem Prozent der Weltbevölkerung ins Verhältnis setzen müssen. Plötzlich wird klar, wir zählen mit geschätzten neun bis elf Tonnen pro Kopf mit Abstand zu den größten Umweltsündern. Wie wollen wir der Welt glaubwürdig gegenübertreten und Brasilien, Indien oder Afrika davon überzeugen, ihre Ressourcen für den Erhalt unseres Planeten zu bewahren? Wir haben das Narrativ des Westens „schneller, höher, weiter, mehr“ in die Welt getragen und die Welt zu Märkten deklariert. Wir haben die „kapitalistische Steigerung zu einer Notwendigkeit gemacht, um unseren Platz in der Welt zu halten“(Prof. Dr. Hartmut Rosa). Es gibt scheinbar kein Entrinnen, keinen Ausweg aus dieser Vorstellung, die zu Gewohnheit und zum Zwang wurde. Auf der Strecke blieb dabei die Welt der Kulturen, der Vielstimmigkeit und der Faszination anderer Vorstellungen von Leben und Gemeinschaften. Grenzenloses Wachstum auf einem begrenzten Planeten. Eine Illusion, der wir uns immer noch mit Inbrunst verschreiben.

Wege in die Zukunft oder wovon wir uns verabschieden müssen:

  • Weg vom Abwälzen der ökologischen Wachstumskosten an die Gemeinschaft, hin zur Internalisierung der Folgekosten, also hin zu den Verursachern.
  • Weg vom Raubbau an Ressourcen, hin zu Aufbau und positivem Nutzen
    der uns zur Verfügung stehenden Mittel und Materialien.
  • Weg von reiner Effizienz hin zu Effektivität.
  • Weg von der Wegwerfmentalität hin zu Wertzuschreibung und Werterhalt.
  • Weg von Marketinggläubigkeit hin zu Investitionen in Innovation, Identität, Werte und Kreativität.
  • Weg von der sinnlosen Verschwendung von Fähigkeiten und Potenzialen
    hin zu Sinnhaftigkeit.

Alles ist Schwingung. Quantenphysik und Quantenmechanik weisen den Weg.

Folgen wir unserem Verstand und unserem Herzen, zeigt sich schnell, was aus der Balance geraten ist. Sobald wir erkennen, dass wir unsere Realität erschaffen, verlassen wir die Opferrolle und werden zu Gestaltern dieser unserer Welt. Das Lebendige lebendiger werden zu lassen, bedeutet, sich auf den Weg zu machen und sich vom „Wachstum als Steigerung des Verbrauchs“(Dr. Daniel Dahm) zu verabschieden. Es geht darum qualitatives Wachstum zu etablieren, lebensfördernd und lebensdienlich, und darüber hinaus völlig neue Wege zu gehen. Wir haben es sprichwörtlich in der Hand und wir tragen Verantwortung, denn wir sind nicht Opfer, wir sind Täter.

Wenn zutrifft, dass es der Energie egal ist, in welche Richtung sie zum Wirken kommt, liegt es an uns, sie zu lenken. Es geht darum Kräfte zu bündeln, um neue Wege einzuschlagen. Noch besteht die Chance, evolutionäre Schritte in die richtige Richtung zu gehen. Kosten und Konsequenzen des Nichtstuns übersteigen nachgewiesenermaßen um ein Vielfaches die Kosten. Beginnen wir damit, die vielen Ansätze und Lösungen, die es bereits heute gibt, umzusetzen.

Dies hat sich mit einiger Verzögerung bis in die Spitze der EU herumgesprochen. „Von der Produktivität zur Konvivialität (lebensgerechter Einsatz des technischen Fortschritts) übergehen heißt, einen ethischen Wert an die Stelle eines technischen Wertes, einen realisierten Wert an die Stelle eines materialisierten Wertes setzen.“(Ivan Illich)

In diesem Sinne geht es darum, Wirkungszusammenhänge zu erkennen und Silogrenzen zu überwinden und die Potenziale für Innovationsprozesse zu nutzen, Visionen und Ziele an Selbstverständnis, Werten und Fähigkeiten auszurichten, Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft im Hinblick auf Mensch, Natur und Umwelt fördern und damit Verständnis- und Kommunikationsdefizite der einzelnen Disziplinen zu überwinden, Investitionen in eine „lebensdienliche“ Ökonomie, die Finanz- und Kapitalflüsse nach einem neuen Denken, einem neuen Blick auf die Welt ausrichtet, um Aufbau statt Raubbau zu fördern und Lobbyisten der Profiteure des Systems in die Schranken zu weisen, um der Politik den „Green New Deal“(Naomi Klein)  abzufordern, damit diese Welt noch zu retten ist.

„Europa hat die Werte, die Mittel, die Fähigkeiten und die Freiheit, absolut an der Spitze der wissenschaftlichen Welt zu stehen.“(Sir Paul Nurse) Bündeln wir diese Kräfte und Qualitäten, so besteht mehr Grund zur Hoffnung als wir gegenwärtig glauben.

Was wir erkennen sollten, um endlich ins Wirken zu kommen: Wir überschätzen die Risiken der Veränderung und unterschätzen unsere Kräfte, sie zu bewältigen. Wir müssen es wagen, einen ökonomischen Paradigmenwechsel in Angriff zu nehmen, um nicht alles, was wir lieben und was uns als Menschheit ausmacht, zu verlieren.


ULI MAYER-JOHANSSEN

etablierte nach Mitbegründung von MetaDesign, einer der renommiertesten deutschen Markenagenturen, 2015 mit der UMJ GmbH ein Unternehmen, das mit „identitätsbasierter Unternehmens- und Markenführung“ zahlreiche wegweisende Visions- und Transformationsprozesse gestaltet. Unter anderem lehrte sie als Gastprofessorin an der UdK. 2016 gründete sie mit „designier future“ eine Invitiative, die innovative Ansätze im Bereich der systematischen Nachhaltigkeit setzt und wurde 2018 als Mitglied, 2019 ins Präsidium der Deutschen Gesellschaft Club of Rome berufen.

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