DIGITALISIERUNG IST KEIN SELBSTZWECK

Es scheint absurd von „der Digitalisierung“ zu sprechen als sei sie eine einzelne Aufgabe, die es zu bewerkstelligen gilt. Vielmehr splittet sie sich in viele Teilbereiche auf, die auch innerhalb der Immobilienwirtschaft wieder ganz unterschiedliche Prozesse beeinflussen und verändern werden. Wie kann der Digitalisierungsprozess erfolgreich in einem Unternehmen implementiert werden?

Sie haben vollkommen Recht: “Die Digitalisierung” gibt es nicht. Die Immobilienwirtschaft ist eine Branche, die sehr heterogen ist und die bei weitem noch nicht den Professionalisierungsgrad erreicht hat wie andere Branchen. Auch entsprechende Untersuchungen bestätigen, dass in der Immobilienbranche erst unter 10 Prozent der Unternehmen im digitalen Zeitalter angekommen sind. Nichtsdestotrotz haben die meisten Unternehmen die Relevanz der Digitalisierung erkannt und diese auch auf ihrer Agenda. Wenn es um die Frage geht, wie Digitalisierung erfolgreich in Unternehmen implementiert werden kann, ist es unabdingbar im Vorfeld die Ziele zu definieren, die z.B. mit neuen digitalisierten Prozessen erreicht werden sollen, denn Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Innerhalb der Immobilienwirtschaft sind es auf der deinen Seite die Kunden, die von der Digitalisierung profitieren sollen und auf der anderen Seite die Mitarbeiter. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Mitarbeiter früh in die Veränderungsprozesse einzubinden und ein effektives und sukzessives Change-Management aufzusetzen. Auf diese Weise kann verhindert werden, dass sich Mitarbeiter durch zu viele Veränderungen und neue Aufgaben, die die Digitalisierung natürlich auch mit sich bringt, überfordert fühlen. Gleichzeitig erwarten Mitarbeiter, dass durch digitalisierte Tools die Arbeit leichter und effizienter wird. Sofern die Ziele des Change-Managements seitens der Unternehmensführung verständlich und offen kommuniziert werden, können dann auch Bedenken, wie z.B. die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust, aus dem Weg geräumt werden. Insofern ist das Change-Management bei der Umsetzung der Digitalisierung als integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie  ein wesentliches Erfolgskriterium.

Ein Teil der Immobilienwirtschaft, der laut Untersuchungen von Deloitte, großes Potenzial besitzt, von der Digitalisierung zu profitieren ist das Facility Management. Welche positiven Effekte sind hier zu erwarten?

Hier ist das Change-Management umso wichtiger, um Mitarbeiter und Kunden von den Vorteilen der Digitalisierung zu überzeugen. Dieses Branchensegment haben wir bewusst untersucht, da es in Bezug auf die Umsetzung der Digitalisierung noch mehr in den Kinderschuhen steckt als andere Bereiche der Immobilienwirtschaft. Gleichzeitig versprechen wir uns hier umfangreiche Effizienzgewinne und Kosteneinsparungen.

Das hört sich alles durchweg plausibel und positiv an. Dennoch: Fordert Digitalisierung nicht auch hohe Investitionsbereitschaft von den Unternehmen?

Definitiv. Das dieser Prozess Geld kostet, steht außer Frage, doch letzten Endes investiert an dieser Stelle jedes Unternehmen in die eigene Zukunft. Im Mittelpunkt steht die Transformation mittels technischer Innovation. Und diese kann natürlich nicht voranschreiten, wenn nicht die Bereitschaft besteht, entsprechende Mittel in die Hand zu nehmen. Doch ich sehe diesbezüglich auf allen Ebenen der Immobilienwirtschaft durchaus Bereitschaft, sich diesen Investments zu stellen. Diese Veränderungen können eine Chance sein, Verantwortung, Kompetenz, Risiko und damit Margen in der Branche neu zu verteilen. Denn letztendlich heißt es: Disrupt or be disrupted!

Denken Sie denn, dass es bestimmte Faktoren gibt, die das „Digitalisierungspotenzial“ beeinflussen?

Die gibt es definitiv. Betrachten wir Immobilien als Ganzes können wir natürlich grob zwischen Neubauten und Bestandsgebäuden unterscheiden. Smart Home Komponenten lassen sich viel einfacher in Neubauten integrieren, weil alle Parteien – vom Eigentümer, über den Betreiber bis hin zu den Mietern – das Interesse verfolgen, das Gebäude als „state of the art“ zu entwickeln. Insofern wird ein Neubau für Digitalisierungsvorhaben tendenziell immer geeigneter sein als z.B. eine Bestandsimmobilie aus den 50er oder 60er-Jahren. Eine weitere Unterscheidung würde ich zwischen Wohn- und Gewerbebauten machen, da diese Asset-Klassen ganz verschiedene Anforderungen an Digitalisierung haben.

Neubauprojekte mit Smart Home Komponenten sind bis dato relativ kostspielig und sprechen insofern v.a. finanziell gut gestellte Mieter an. Denken Sie, dass sich dieser Trend dahingehend entwickeln wird, dass sich solche Objekte auch Normalverdiener leisten können?

Ich denke, das ist – wie bei vielen neuen Entwicklungen und Trends – nur noch eine Frage der Zeit. Einige große Wohnungsbaugesellschaften bieten bereits Smart Home Technologien für ihre Mieter an. Sie versorgen ihre Mieter beispielsweise mit einem i-Pad, mithilfe dessen der Mieter direkt den Vermieter kontaktieren kann, wenn es in der Wohnung etwas zu reparieren gibt. Der Vermieter kann dies mittels dieser App sofort an den Immobiliendienstleister weitergeben und das Problem wird zügig behoben. Das gehört heute auch schon bei ganz „normalen“ Projekten zum digitalen Alltag. Ich bin mir sicher, dass viele Smart Home Komponenten in naher Zukunft zum Branchen-Standard gehören werden.

Die hier genannten Vorteile konzentrieren sich primär auf die Schaffung von mehr Komfort für Mieter, Vermieter etc. Welche weiteren positiven Effekte haben solche Komponenten?

Dank solcher Komponenten gelingt es künftig, kosteneffizienter zu arbeiten. Bei gleich bleibendem Komfort dürfen wir unter anderem mit Zeit- und Energieeinsparungen rechnen. Das gelingt u.a.  weil unsere Kommunikationswege kürzer werden: Per App und VR- oder AR-Tools kann der Immobiliendienstleister überprüfen, welche Störung in einer Wohnung vorliegt und muss nicht extra zum Mieter fahren. Unnötige Fahrten werden vermieden; auf lange Sicht könnte so auch der CO2- Ausstoß gesenkt werden.

Blicken wir in puncto Digitalisierung auch einmal in Richtung Wohnungsunternehmen. Die Digitalisierung ist hier zwar noch nicht fest verankert, doch Deloitte hat ein „Szenario Design 2030“ entwickelt, das zumindest einen kleinen Ausblick in die Zukunft wagt. Können Sie dies kurz erläutern?

Wir haben mit einem Team von Führungskräften aus der Branche einen Blick in die Zukunft der Wohnungsunternehmen in das Jahr 2030 gewagt. Insgesamt haben wir 80 Treiber aus den Themenbereichen Gesellschaft, Technologie, Umwelt, Wirtschaft und Politik identifiziert, die die Zukunft der Wohnungsunternehmen bestimmen können. Anhand dieser Treiber haben wir vier unterschiedliche Zukunftsszenarien entwickelt und einen Ausblick in Richtung Wohnungsmarkt 2030 gewagt. Auf dieser Basis haben wir in Zusammenarbeit mit dem Topmanagement der Wohnungswirtschaft Szenarien festgelegt, wie sich denn die Wohnungswirtschaft und die Gesellschaft im Jahre 2030 verändern könnten. Entwickelt wurden vier verschiedene plausible Zukunftsszenarien (»Silicon Valley«, »Schweden-Idylle«, »Anti-Kalifornien« und »It’s complicated«) sowie sieben Aktionsfelder , um die Zukunft strategisch anzugehen.

Gibt es ein Szenario, das sich als besonders beliebt herausgestellt hat?

Nein. Unser Ziel war primär, das wissenschaftliche Gespräch zwischen Experten und den Praktikern der Wohnungsunternehmen zu suchen und so  mögliche Zukunftszenarien zu kreieren, die zumindest als Grundlage für die Strategieplanung – auch für die Strategieplanung Digitalisierung – dienen können.

Leisten Sie hiermit eine willkommene Hilfestellung für Wohnungsunternehmen, die andernfalls ggf. mit dem Thema überfordert wären?

Viele Wohnungsunternehmen sind schon weiter als man glaubt; und das nicht nur im Denken, sondern auch im Handeln. Dennoch erleichtert es einem, die strategischen Ziele zu setzen, wenn man eine Unterstützung hat oder vor Augen geführt bekommt, in welche Richtung man sich entwickeln könnte. Insofern ist der Strategieansatz des „Szenario Design 2030“ sicherlich eine gute Basis, um in die Pläne einzusteigen und die eigenen Zielvorstellungen zu definieren.

Nun haben wir viel im Detail über Digitalisierung in der Immobilienwirtschaft gesprochen. Wo steht Deutschland denn im internationalen Vergleich, was den Digitalisierungsfortschritt in den diskutierten Bereichen angeht?

Das ist schwer abschließend zu beurteilen, da die Digitalisierung in der gesamten Wertschöpfungskette der Immobilienwirtschaft greift und diese länderspezifisch unterschiedlich ausgestaltet ist. Die Digitalisierung umfasst u.a die Erstellung eines virtuellen Gebäudemodells (Digital Twin) durch den Planer/Bauunternehmer, die Gebäudeerstellung in industrieller Vorfertigung (Serielles Bauen), die Automatisierung des Bauprozesses (BIM), die Online-Vermarktung unter Nutzung von Internet-Plattformen sowie die virtuellen Gebäudebegehungen mithilfe VR- und AR-Tools. In Deutschland sind wir in diesen unterschiedlichen Feldern unterschiedlich weit. Auf internationaler Ebene beobachte ich, dass insbesondere im amerikanischen Raum das Thema schon länger bekannt und in seiner Entwicklung weiter vorangeschritten ist. Aber auch in Europa gibt es eine breite und innovative Proptech-Szene und viele interessante Ansätze und Lösungen.

Zum Abschluss: Die Digitalisierung geht nicht zuletzt einher mit einer massiven Sammlung nutzerspezifischer Daten. Unser Smart Home ist fast schon die „Datenkrake“ par excellence. Sind Daten u.U. das „neue Gold“?

Die entscheidende- und bis dato  noch nicht abschließend beantwortete – Frage ist meiner Meinung nach, wer denn eigentlich Eigentümer dieser Daten ist? Ist es der Investor, dem das Gebäude gehört? Ist es der Immobiliendienstleister bzw. der Facility Manager, der mit den Daten „spielt“ oder vielleicht ausschließlich der Nutzer oder Anbieter von Smart Home Anlagen? Diese Frage wird künftig maßgeblich den Wert der Daten bestimmen. Dennoch denke ich auch, dass wir in Deutschland ein relativ hohes Verbraucherbewusstsein haben und stark ausgeprägte Regulierungen, so dass ich diesbezüglich in Deutschland künftig keine beunruhigende Entwicklung erwarte. Dennoch muss natürlich diskutiert werden, wer das Verwertungsrecht solcher Daten hat und was es beinhaltet.

Vielen Dank für dieses interessante Gespräch.
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Michael Müller

studierte Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Passau. Er ist Steuerberater und Wirtschaftsprüfer und seit 2005 Partner bei Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Dort verantwortet und leitet er als Industry Leader Real Estate Deutschland und als Geschäftsführer der Deutschen Baurevision GmbH die bundesweiten Aktivitäten von Deloitte im Bereich Real Estate. Zudem ist er Mitglied im Global Real Estate Executive von Deloitte. Michael Müller ist u.a Dozent für internationale Rechnungslegung (IFRS), Mitglied des Immobilienwirtschaftlichen Fachausschusses des IDW und des innovativen Think Tanks des ZIA sowie Mitglied der DVFA Immobilien-Kommission.

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