DER WACHSTUMSSCHMERZ DER METROPOLEN

Im Gespräch mit Marion Schmitz-Stadtfeld, Leiterin des Kompetenzcenter Integrierte Stadtentwicklung und der Koordinierungsstelle Integrierte Flüchtlingsansiedlung bei Nassauische Heimstätte /NH ProjektStadt

Frau Schmitz-Stadtfeld, was machen Sie im Kerngeschäft bei NH ProjektStadt?

Ich bin bei der NH ProjektStadt für das Feld der integrierten Stadtentwicklung zuständig. Wir haben schon früh erkannt, dass die anstehenden Herausforderungen fachübergreifend bearbeitet werden müssen. Wenn wir unsere Städte, unsere gebaute Umwelt, nachhaltig weiterentwickeln möchten, brauchen wir eine Gleichzeitigkeit von baukultureller Qualität. Wir müssen soziale und städtebauliche Aspekte von Beginn an zusammen denken, um Nachbarschaften zu stärken. Wichtig ist natürlich aber auch die Berücksichtigung energetischer Standards. Letztlich „reparieren“ wir auch mit unseren Städtebauförderprogrammen in der integrierten Stadtentwicklung verschiedene Bereiche von Städten: vom Wohnquartier aus den 1950er-Jahren über Innenstädte bis hin zum Strukturwandel in vielzähligen interkommunalen Projekten.

Wäre so ein Ansatz rein privatwirtschaftlich denkbar und möglich?

Ja, ich denke schon. Wir sind als NH ProjektStadt  ein ganz normaler Dienstleister. Wir haben keine Wettbewerbsvorteile und nehmen genauso an klassischen Ausschreibungen teil und begeben uns in den gleichen Wettbewerb wie alle anderen Marktteilnehmer auch.

Ich habe gelesen, dass Sie landesweit in Hessen und Thüringen die Kommunen bei ihren zentralen Stadtentwicklungsfragen unterstützen. Ist das richtig?

Das stimmt. Wir beraten  etwa 150 hessische Kommunen und sind Eigentümer von Wohnungsbestand in etwa ebenso vielen Städten und Gemeinden. Dabei bringen wir vor allem die städtebaulichen Aspekte mit den Investoreninteressen zusammen. Wettbewerbliche Dialogverfahren (wie z. B. in Hanau oder Friedrichsdorf) bieten wir beispielsweise ebenfalls als Dienstleistung an wie alle Beratungen der integrierten Städtebauförderung.

Tragen Sie damit zu einem Know-how-Transfer bei, den die kleineren Kommunen aus sich heraus gar nicht leisten könnten?

Wir sind als Landestochter das Labor für das Land Hessen, das aber natürlich auch Geld verdienen muss. Diesen Spagat zu leisten und gleichzeitig generalisierbare Konzepte zu entwickeln und einen Transfer möglich zu machen, ist eine unserer zentralen Aufgaben.

Sie sprachen eben Hanau und das dialogorientierte Verhandlungsverfahren an. Dieses Instrument gibt es noch gar nicht so lange. Ist es Ihrer Meinung nach ein Modell, das zwar komplexer und aufwendiger ist, aber für die Zukunft auch sehr tragfähig sein wird?

Ich halte es für sehr belastbar, weil man dadurch nicht nur irgendwelche Architekturwettbewerbe macht, die dann in Schubladen verschwinden, wie es u. a. in Hanau vorher 20 Jahre lang der Fall war. Man sucht sich stattdessen kompetente Architektenteams in Verbindung mit Investoren und erreicht damit automatisch eine gewisse „wirtschaftliche Domestizierung“ von architektonischen Entwürfen. Das bringt man dann noch in Einklang mit dem öffentlichen Interesse, der integrierten Stadtentwicklung. Dadurch vermeidet man einige Konflikte, die sonst mit vielen solcher Entwicklungen einhergehen. Die Stadt Hanau hat da etwas in der Bundesrepublik Ewinzigartiges angestoßen. Die ganze Stadt wurde im Zuge der Innenstadtentwicklung mit umgebaut und den Architekten und Investoren gewisse Zugeständnisse und eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Ort abverlangt. Wichtig war hier aber auch, dass die Bürgerschaft von Anfang an in den Prozess eingebunden war. An unseren Veranstaltungen haben 5.000 Hanauer teilgenommen. Es war also kein „closed shop“, sondern es ging auch um Quantität. Zehn Prozent der Stadt- oder Quartiersgesellschaft zu erreichen, sind Pflicht bei der Beteiligung.

Für die Investoren bedeutet das natürlich eine nicht mehr nur auf Renditefragen ausgerichtete Orientierung, aber gleichzeitig wohl auch eine Planungs-, Prozess- und Projektsicherheit, die ein politisches Verfahren gar nicht leisten kann, oder?

Das ist richtig. Man muss Investoren natürlich in ihrer Funktion ernst nehmen und froh sein, dass man sie hat. Aber man kann eben im Rahmen dessen auch eine vertiefte Auseinandersetzung mit Themen der Stadtgesellschaft erwarten. Die Verfahren sind zwar wesentlich komplexer in ihrer Abwicklung, aber dadurch nicht aufwendiger. Wir haben zum Beispiel ein 125 Millionen-Projekt, die Ökosiedlung in Friedrichsdorf, in genau 12 Monaten in einem sogenannten dialogorientierten Verhandlungsverfahren abgewickelt – von der Projektausschreibung bis zur Auswahl der Sieger, inklusive Bürgerbeteiligungen. Davon sind auch die Investoren in allen Verfahren begeistert gewesen, denn nach der Entscheidung für den Sieger konnte es ohne weitere Widerstände sofort mit der Umsetzung losgehen. Es handelt sich daher auch um ein in der Wirtschaftlichkeit attraktives Verfahren für Kommunen.

Sie beschäftigen sich zwar vorrangig mit kleineren und mittelgroßen Städten, aber was denken Sie, welche Probleme die Großstädte derzeit haben?

Es geht derzeit um nichts anderes als den Wachstumsschmerz der Metropolen. Der wird durch die weltweiten Wanderungs- und Flüchtlingsströme größer. Doch sie sollten dieses Wachstum nicht alleine dominieren. In diesem Thema ist eine unglaubliche Bewegung. Ich bin sehr beeindruckt, was unsere Bundesbauministerin an diesem Punkt in der letzten Zeit alles auf den Weg gebracht hat. Im Hinblick auf kostengünstiges Wohnen, die Senkung von Standards, die Reduzierung von überbordenden Richtlinien und Paragrafen. Sie will offensichtlich „Entschlackung“ und die tut not. Da hat sich die Bundesregierung sehr viel vorgenommen und die Kommunen, ebenso wie die Investoren, müssen an der Stelle natürlich nun mitziehen. Aber im Grunde kennen sie ja alle diesen Leidensdruck, diesen Wachstumsschmerz. Daher können die angebotenen Lösungen nur das Thema Wohnen insgesamt umfassen.

Mein Kollege Dr. Marcus Gwechenberger, der verantwortliche Projektleiter und ich haben in diesem Zusammenhang vor Kurzem den Begriff des „Pop-up-Wohnen“, also Wohnen für das Existenzminimum – menschenwürdig, schnell und preisgünstig –, in den Raum gestellt. Denn wir glauben, dass auch das eine Antwort auf das Metropolenwachstum sein könnte.

Da sind also einfache Standards, leichte Objekte, die modular entwickelt werden können?

Wir haben das Konzept bereits 2014 auf der EXPO vorgestellt und sind noch etwas belächelt worden. Doch wir wussten schon damals um die Bedürfnisse, die auf uns zukommen werden. Wir sind jetzt so weit, dass das Thema Flüchtlingsansiedlung nicht mehr nur von den Sozialämtern bearbeitet wird. Es  gehört auch in die Planungsämter und in die Wohnungsämter. Wenn man hier nicht sehr schnell einen anderen thematischen Zugang findet, um sich dem Thema an anderer Stelle anzunehmen, gefährdet man den sozialen Frieden in der Gesellschaft.

Wir haben ein ganz großes, aus meiner Sicht zentrales Problem vor allem in den Metropolen: den unglaublich wachsenden Druck durch eine Wertsteigerung von Grundstücken, Liegenschaften und Objekten, die zu einer Verdrängung mittelständischer Bevölkerungsstrukturen führt. Wie wird man damit auf Dauer umgehen können und müssen?

Zum einen denke ich, dass es noch Stadtentwicklungspotenziale in den Städten gibt, die man ermitteln und nutzen muss. Natürlich kenne ich die Flächenknappheit und die Grundstückspreise, die eine soziale Kostenmiete kaum noch darstellbar machen. Das können aber durchaus auch bebaute Potenziale mit Geschossflächenreserven, Zwischennutzungen oder auch Leerstände sein. Bekanntermaßen hat die Bundesrepublik rund 1,7 Millionen leer stehende Immobilien. Diese befinden sich natürlich hauptsächlich im ländlichen Raum, aber man darf beim Thema Wohnen eben nicht nur die Metropolen beobachten. Ich halte diesen Trend auch eher für eine Mode. Es wird in Zukunft verstärkt um die Peripherien der Metropolen gehen. Gentrifizierung, so sozialdramatisch sie auch ist, kann immer auch dazu führen, dass die äußeren Ringe der Stadt gestärkt werden und neue, attraktive Infrastrukturen bekommen. Das heißt, diese Nöte der Innenstädte werden wir nur durch die Entwicklung der Peripherien und der Metropolregionen lösen können. Neue raumordnerische Lösungen des Wohnens müssen die Wachstumsschmerzen der Metropolen etwas entzerren.

Offensichtlich ist dieses Zusammendenken von Metropole und Region bzw. Umland ein zentrales Thema der kommenden Jahre. Im Mittelpunkt steht sicher die Frage der Mobilität, das Instrument, um dies leistbar zu machen. Was erwarten Sie, was im Bereich der Infrastruktur passieren muss?

Wie gesagt, es muss zunächst erst mal eine politische Ebene für diesen raumordnerischen Blick auf das ganze Land geben. Dann muss man natürlich diese doch dekadenten Leerstände, die sich unsere deutsche Gesellschaft leistet, angehen. Die Thematik sollte raumordnerisch und infrastrukturell betrachtet werden. Da ist nicht nur Mobilität – die ja auch ein großes Thema für den Klimaschutz ist – zu betrachten, sondern es geht zum Beispiel auch um andere Formen von Arbeitsplätzen, technischer Vernetzung und ländlichen Communities (the arrival countryside), die Sinn machen können. Und daneben muss man die Quantität beachten, eine richtige Maßstäblichkeit der Ansiedlung finden.

Ich glaube, Sie haben eben schon ganz richtig festgestellt, dass es sich eher um eine Mode der Metropolen handelt. Aber gleichzeitig ist es auch eine Chance, die Dinge zu relativieren und das Miteinander wieder mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Spielen Fragen der Klimaeffizienz – Sie haben ja auch das „Aktivhaus“ realisiert – aktuell überhaupt noch eine Rolle?

Das tun sie immer noch. Es wäre auch fahrlässig, wenn sie einfach so verschwänden. Wir haben für die Ausschreibung der Ökosiedlung in Friedrichsdorf beispielsweise sehr hohe Forderungen im Hinblick auf Energieeffizienz und Ökobilanzierung bei gleichzeitiger Diversifizierung von Wohnen an die Investoren gestellt. Das hat aber den Markt nicht abgeschreckt. Im Gegenteil, es gab zahlreiche deutschland- und europaweite Gebote. Klimaschutz und Preis darf man genauso wenig gegeneinander ausspielen wie Metropole und ländlichen Raum. Man sollte es miteinander denken und die wirtschaftliche Darstellbarkeit erkennen. Das ist für mich auch kein Luxus, sondern Luxus bedeutet, sich eindimensionale Lösungsansätze zu leisten.

Was erwartet man sich in den nächsten Jahren von der Politik, im Grunde der entscheidenden Kraft im kommunalen und regionalen Kontext?

Man erwartet zunächst erst einmal eine klare Haltung. Was man auch erwarten kann, ist Konsistenz und eine Erkennbarkeit. Das nützt aber alles nichts, wenn dahinter kein Konzept steckt. Und dieses muss nicht nur da, sondern auch für die Bürger ablesbar sein. Für mich sollte idealerweise immer eine interdisziplinäre Annäherung an Probleme stattfinden, um integrierte und damit wirtschaftliche Lösungen zu finden.

Vielen Dank für das inspirierende Gespräch.

Das Interview führte Johannes Busmann


Marion Schmitz-Stadtfeld

studierte Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre und Soziologie. Als Leiterin des Kompetenzcenter Integrierte Stadt- und Gewerbeflächenentwicklung und der Koordinierungsstelle Integrierte Flüchtlingsansiedlung bei der Nassauischen Heimstätte beschäftigt sie sich besonders mit den Themen Integrierte Stadtentwicklungsmaßnahmen, Wettbewerbliche Dialoge (EU), Gewerbeflächenentwicklung, Klimaschutz und Energiewende sowie Wohngruppenprojekte und Wohnen im Allgemeinen.

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