Seit mehreren Jahren ist gerade in deutschen Großstädten der Trend zum urbanen Wohnen zu beobachten (vgl. Polis-Beitrag „Urbanes Wohnen – rechtliche Fragen und Entwicklungen“, Heft 2/2016). Nunmehr reagiert auch der deutsche Gesetzgeber auf diesen Trend.
So liegt inzwischen der Referentenentwurf eines Gesetzes „zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt“ vor. Mit diesem Gesetz soll in der Baunutzungsverordnung ein sogenanntes „Urbanes Gebiet“ (§ 6 a BauNVO-E) eingeführt werden. Dieses urbane Gebiet soll die kleinräumige Nutzungsmischung von Wohnen, Gewerbebetrieben sowie sozialen, kulturellen und anderen Einrichtungen ermöglichen. Damit soll insbesondere in innerstädtischen Lagen die Planung eines funktionsgemischten Gebiets der kurzen Wege erleichtert werden.
Eine solche Durchmischung soll dadurch erreicht werden, dass nur Gebäude, die zu einem erheblichen Anteil, aber nicht ausschließlich, dem Wohnen dienen, allgemein zulässig sein sollen. Nur ausnahmsweise sollen Gebäude zugelassen werden können, die ausschließlich dem Wohnen dienen. Zudem sollen in der Erdgeschossebene Wohnungen straßenseitig ebenfalls nur ausnahmsweise zulässig sein. Diese Vorgaben sollen es ermöglichen, eine kleinräumige Nutzungsmischung zu erreichen. Gerade die Beschränkung der Zulassung von Wohnungen im Erdgeschoss soll dazu dienen, Flächen für Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften und sonstige Gewerbebetriebe zu schaffen. Da aber wohl vor allem bestehende 1b-Büro- und Geschäftslagen für die Umnutzung in urbane Gebiete in Betracht kommen, stellt sich die Frage, ob diese zwingende Vorgabe, wonach das Erdgeschoss teilweise nicht dem Wohnen zur Verfügung steht, durchgehalten werden kann. Denn gerade wenn ältere Bürogebäude umgebaut werden sollen, muss sehr genau geprüft werden, ob sich die Erdgeschossebene aufgrund der baulichen Gegebenheiten überhaupt für gewerbliche Nutzungen eignet. Falls dies nicht der Fall ist, kann dann die zwingende Vorgabe des Entwurfs, dass das Erdgeschoss grundsätzlich nicht für Wohnungen genutzt werden darf, ein Hemmnis für die Entwicklung eines urbanen Gebiets sein.
Gleiches gilt auch für die geplante Vorgabe, dass Gebäude nicht ausschließlich dem Wohnen dienen dürfen. Auch bei einer angestrebten Nutzungsdurchmischung kann es nämlich durchaus sinnvoll sein, dass einzelne Gebäude komplett dem Wohnen dienen, in anderen Gebäuden dagegen vermehrt Einzelhandelsbetriebe angesiedelt werden.
Weiterhin sollen in einem urbanen Gebiet auch Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften sowie Betriebe des Beherbergungsgewerbes zulässig sein. Auffällig ist hier jedoch die Vorgabe des Referentenentwurfs, dass nur nicht großflächiger Einzelhandel, also Einzelhandelsbetriebe mit weniger als 800 m² Verkaufsfläche, zulässig sein soll. Gerade vor dem Hintergrund, dass insbesondere im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels der Trend zu beobachten ist, dass Lebensmittelmärkte regelmäßig diese Grenze der Großflächigkeit überschreiten, stellt sich die Frage, ob mit einer solchen Beschränkung auf nicht großflächige Einzelhandelsbetriebe die angestrebte kleinräumige Nutzungsmischung erreicht werden kann. Dies gilt umso mehr, da gerade dem Lebensmitteleinzelhandel in einer solchen kleinräumigen Nutzungsmischung eine besondere Bedeutung zukommt.
Ebenso fällt auf, dass Geschäfts- und Bürogebäude im Gegensatz zu deren allgemeiner Zulässigkeit in Misch- und Kerngebieten (§ 6 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO und § 7 Abs. 2 Satz 1 BauNVO) nicht allgemein zulässig sein sollen. Gerade solche Geschäfts- und Bürogebäude sind aber bei einer angestrebten Nutzungsmischung, die auch eine enge räumliche Verknüpfung zwischen Wohnen und Arbeiten ermöglichen soll, von besonderer Bedeutung. Denn nur wenn auch neben Einkaufen und Wohnen das Arbeiten in ein solches Gebiet integriert werden kann, kann ein wirkliches „urbanes Gebiet“ entstehen.
Das urbane Gebiet soll auch der Nachverdichtung dienen. So sieht der Entwurf vor, dass in einem urbanen Gebiet zwar die gleiche Grundflächenzahl von 0,6 wie in einem Mischgebiet, jedoch deutlich höhere Geschossflächenzahlen, nämlich 3,0 statt 1,2 im Mischgebiet zulässig sein sollen (§ 17 BauNVO-E). Diese genannte maximal zulässige Grundflächenzahl bleibt allerdings deutlich hinter der eines Kerngebiets zurück. Dort ist nämlich eine vollständige Überbauung (Grundflächenzahl 1,0) zulässig. Um die angestrebte Nachverdichtung zu ermöglichen, könnte es daher durchaus angezeigt sein, eine höhere Grundflächenzahl als 0,6 zuzulassen.
Weiterhin lässt sich dem Referentenentwurf entnehmen, dass der Bundesgesetzgeber auf eine Erhöhung der Geräuschimmissionen, die mit der geplanten Nutzungsdurchmischung einhergehen kann, reagieren will. So wird eine Änderung der TA-Lärm angekündigt, nach der in einem urbanen Gebiet 63 dB(A) tags und 48 dB(A) nachts als Grenzwerte festgelegt werden sollen. Im Vergleich zu den bisherigen Vorgaben für Misch- und Kerngebiete würde dies eine Erhöhung um 3 dB(A) bedeuten.
In der Sache bleibt festzuhalten, dass das im Referentenentwurf vorgesehene urbane Gebiet ein Schritt in die richtige Richtung ist, um auf die Entwicklungen im Städtebau zu reagieren. Gleichwohl muss sicherlich noch im Einzelnen geprüft werden, ob nicht gerade in Bezug auf die Zulassung von großflächigem Einzelhandel und den Ausschluss von reinen Wohngebäuden noch Anpassungsbedarf besteht.
Das zuständige Ministerium geht davon aus, dass das durch den Bundesrat zustimmungspflichtige Gesetz bis Ende 2016 verabschiedet wird.
Dr. Johannes Grooterhorst
studierte an den Universitäten Münster und Lausanne / Schweiz, Premier cycle de Droit Comparé, Faculté International de Droit Comparé Straßburg. Er promovierte zum Dr. jur. und erhielt den Universitätspreis und Förderpreis der deutschen Kreise, Städte und Gemeinden zur Förderung der Kommunalwissenschaften. 1994 gründete er die wirtschaftsrechtliche Kanzlei Grooterhorst & Partner RA.
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