Wer in Deutschland bauen möchte, braucht entsprechende Baurechte. Als der Gesetzgeber 1960 das Bundesbaugesetz erlassen hat, hatte er die Vorstellung, dass das Baurecht letztlich bundesweit weitestgehend über Bebauungspläne nach § 30 BauGB vermittelt werden sollte. Lediglich für eine Übergangszeit – bis alle Bereiche mit Ausnahme des planungsrechtlichen Außenbereichs nach § 35 BauGB, der grundsätzlich von baulichen Anlagen freigehalten werden sollte, überplant sind – sollte § 34 BauGB als Planersatzvorschrift fungieren.
Die Überlegungen des historischen Gesetzgebers sind leider (?) nicht aufgegangen. Wir sind weit davon entfernt, alle relevanten Bereiche mit einer die Bebauung steuernden Planung versorgt zu haben. Neben der Komplexität, der Unhandlichkeit und der in ihrer Rechtsform fußenden hohen Angreifbarkeit von Bauleitplänen, ist ein weiterer Grund dafür sicherlich, dass sich auch über die eigentlich nur für vorübergehende Zwecke vorgesehene Planersatzvorschrift städtebaulich ebenso akzeptable wie sachgerechte Ergebnisse finden lassen. Ein Bedürfnis nach einer steuernden Bauleitplanung besteht häufig nur dort, wo sich über den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen – sei es mit Blick auf den städtebaulichen Maßstab oder die prägenden Nutzungsarten – nicht zu den städtebaulich gewünschten Ergebnissen kommen lässt.
Vor dem Hintergrund, dass Bauleitplanverfahren zur Schaffung von Wohnraum und/oder Gewerbe gerne zwei bis drei Jahre Zeit in Anspruch nehmen können, ist es lohnenswert, sich nochmals näher mit den Möglichkeiten zu beschäftigen, die die Schaffung von Baurecht über § 34 BauGB – ggf. in Verbindung mit städtebaulichen Verträgen zur Feinsteuerung – bietet.
Im Ausgangspunkt gilt es, sich zu vergegenwärtigen, dass die Vorhabenrealisierung über § 34 BauGB reine Rechtsanwendung – Gegensatz zu Planung – ist und der Genehmigungsbehörde weder Ermessen einräumt noch Beurteilungsspielräume im engeren Sinne vermittelt. Streng genommen wird über § 34 BauGB auch kein Baurecht geschaffen, sondern bereits vorhandenes Baurecht „lediglich“ bestätigt. Dies wird in der Praxis nicht selten verkannt, wenn in Abstimmungsprozessen mit der Genehmigungsbehörde gestalterische Argumente gegen ein bestimmtes Vorhaben ins Feld geführt werden.
Auf der Grundlage von § 34 BauGB sind – vereinfacht ausgedrückt – solche Vorhaben zulassungsfähig, die sich in Bezug auf die relevanten Kriterien (Art und Maß der Nutzung sowie die zu überbauen vorgesehene Grundstücksfläche) auf Vorbilder in ihrer näheren Umgebung berufen können. Während es für die
Eignung als Vorbild unerheblich ist, welcher Nutzungsart die heranzuziehenden Baulichkeiten zuzuordnen sind (BVerwG Urt. v. 08.12.2016 – 4 C 7/15, juris), ist zu berücksichtigen, dass ein Rosinenpicken in Bezug auf einzelne relevante Maßfaktoren nicht zulässig ist. Maßstabbildend können daher im Grundsatz nur solche Baulichkeiten sein, die dem zur Genehmigung gestellten Vorhaben in allen relevanten Aspekten zumindest sehr weitgehend entsprechen.
Häufig wird allerdings dem Umstand nicht hinreichend Beachtung geschenkt, dass § 34 BauGB eine durchaus flexible Vorschrift ist, die gerade keine strikte Einheitlichkeit verlangt. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits sehr früh verdeutlicht und auch später immer wieder betont, dass sich auch solche Vorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen können, die den aus ihr ableitbaren Rahmen bei streng digitaler oder mathematischer Betrachtung überschreiten. Bei der „Einfügung“ geht es nämlich weniger um „Einheitlichkeit“ als um „Harmonie“. Daraus, dass ein Vorhaben in seiner Umgebung überhaupt oder jedenfalls in Bezug auf den einen oder anderen Belang ohne Vorbild ist, folgt daher mitnichten zwingend, dass es einem solchen Vorhaben an der harmonischen Einfügung fehlt. Der Vorgang des Einfügens schließt – mit anderen Worten – nicht per se aus, etwas zu verwirklichen, das es in der Umgebung bisher nicht gibt (BVerwG, Urt. v. 26.05.1978 – IV 8.77, juris).
Nicht genehmigungsfähig ist eine Überschreitung des Rahmens erst und nur dann, wenn die Überschreitung selbst oder infolge ihrer Vorbildwirkung geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche und erst noch ausgleichsbedürftige Spannungen zu begründen oder bereits vorhandene Spannungen zu erhöhen. Eine solche Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass das Vorhaben eine vorgefundene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet und dadurch das Bedürfnis hervorruft, die Voraussetzungen für seine Zulassung unter Einsatz der Mittel der Bauleitplanung (mit einem abwägenden Ausgleich widerstreitender Belange) zu schaffen.
In Abstimmungsprozessen mit den Genehmigungsbehörden wird eine entsprechende Situation regelmäßig schon dann gesehen, wenn ein Vorhaben den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen überschreitet. Das ist allerdings deutlich zu kurz gesprungen. Denn allein der Umstand, dass durch ein zur Genehmigung gestelltes Vorhaben seine Umgebung ggf. dergestalt in Bewegung gerät, dass das Vorhaben seinerseits Vorbild für wieder größere Vorhaben sein kann, reicht gerade nicht aus, um beachtliche bodenrechtliche Spannungen zu erzeugen. Denn die der Vorhabenzulassung entgegenstehenden Spannungen müssen negativ sein. Allein der Umstand, dass sich die bauliche Ausnutzbarkeit von Grundstücken – möglicherweise auch schleichend – verändert, begründet für sich genommen aber gerade noch keine negative städtebauliche Entwicklung, denn einerseits würden einer entsprechenden Entwicklung früher oder später die Abstandflächenvorschriften einen Riegel vorschieben und andererseits verpflichtet § 1 a Abs. 2 BauGB ohnehin zu einem reduzierten Flächenverbrauch.
Neben den vermeintlichen bodenrechtlichen Spannungen wird in der Praxis häufig auch größeren Vorhaben, die auf der Grundlage von § 34 BauGB an sich realisiert werden könnten, vorgeworfen, sie lösten ein Planungsbedürfnis aus, das der Erteilung der begehrten Baugenehmigung entgegenstünde. Ein wie auch immer geartetes Planungsbedürfnis ist indes kein Belang, der einem nach § 34 BauGB im Übrigen zulässigen – sich also einfügenden – Vorhaben entgegengehalten werden kann. Mit dem Begriff des Planungsbedürfnisses ist lediglich eine ggf. aus § 1 Abs. 3 BauGB ableitbare Pflicht angesprochen, städtebauliche Entwicklungen bauleitplanerisch zu steuern. Wenn von einem Planungsbedürfnis gesprochen wird, sind daher häufig Umstände gemeint, die aus Sicht der Genehmigungsbehörde wünschenswert sind, mit Blick auf die Struktur des § 34 BauGB – bei einem bestehenden Rechtsanspruch auf Erteilung der Baugenehmigung – jedoch nicht durchgesetzt werden können.
Anstelle von komplexen Planverfahren zur Umsetzung von städtebaulichen Vorstellungen der Gemeinde, die, rechtlich betrachtet, unterhalb der Schwelle eines Planungsbedürfnisses gem. § 1 Abs. 3 BauGB liegen, durchzusetzen, bieten sich städtebauliche Verträge als Instrument zur konsensualen Schaffung von Baurecht an. Gerade der häufig anzutreffende Wunsch der Kommunen, einen bestimmten Anteil von gefördertem Wohnungsbau im Zuge der Projektumsetzung zu realisieren, lässt sich so rechtlich und effektiv sowie ohne die Durchführung eines komplexen Bauleitplanverfahrens bewerkstelligen.
Die Schaffung von Baurecht über § 34 BauGB stößt erst dort an seine Grenzen, wo die Flächen, die auf der Grundlage von § 34 BauGB bebaut werden sollen, aufgrund ihrer Größe und/oder Lage nicht mehr dem Bebauungszusammenhang angehören und daher der Anwendungsbereich von § 34 BauGB nicht eröffnet ist; entsprechende Situationen sind aber gerade in innerstädtischen Bereichen eher selten anzutreffen. In entsprechenden Situationen kann der mit dem Gesetz zur Erleichterung von Planvorhaben im Jahr 2007 eingefügte Bebauungsplan der Innenentwicklung helfen, der es unter bestimmten weiteren Voraussetzungen zulässt, Bebauungspläne im beschleunigten Verfahren und mit den damit verbundenen Verfahrenserleichterungen (keine Notwendigkeit zur Änderung eines FNP im Parallelverfahren, keine Eingriffs-/ Ausgleichsmaßnahmen, Absehen von der frühzeitigen Beteiligung und Erörterungen mit TÖBs) aufzustellen. Denn der Begriff der Innenentwicklung geht über den Begriff des Bebauungszusammenhangs hinaus und erfasst beispielsweise auch nach § 34 BauGB nicht mögliche Hinterlandbebauung oder die Bebauung von Außenbereichsinseln, die noch baulich geprägt sind.
DR. TASSILO SCHIFFER
ist als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Partner der bundesweit tätigen Anwaltssozietät CBH Cornelius Bartenbach. Er berät Unternehmen und öffentlich-rechtliche Körperschaften in allen Belangen des Bau- und Fachplanungsrechtes. Einen besonderen Schwerpunkt bildet dabei die Begleitung von Verkehrsinfrastrukturprojekten und damit zusammenhängend das Recht der Enteignungsentschädigung.
Schreibe einen Kommentar