
© Thomas Puschmann
Die Stadt Leipzig hat sich im 2015 beschlossenen Wohnungspolitischen Konzept (WoPoKo) für die Stärkung kooperativer Wohnformen ausgesprochen. Welche Ursachen lagen dem Entschluss zugrunde?
Die Stadt Leipzig blickt auf eine langjährige Erfahrung mit Wohnprojekten zurück, die noch aus Zeiten der Schrumpfung stammt. Noch bis 2010 konnten Gruppen für 50.000,00 – 60.000,00€ eine Immobilie erwerben und ausbauen. Heute sind Baugemeinschaften vor dem Hintergrund aktueller Immobilienpreise kaum noch handlungsfähig. Innerhalb des wohnungspolitischen Prozesses wurde sich schließlich dafür ausgesprochen das „Bauen in Gemeinschaft“ zukünftig mit städtischen Mitteln zu unterstützen. Diese Mittel fließen insbesondere in Beratungsleistungen, Grundstücke und Verfahrenssteuerung. Mit dem „Netzwerk Leipziger Freiheit“, das wir als Büro (urban management systems GmbH) koordinieren, wurde die benötigte Koordinationsstelle geschaffen.
Wodurch zeichnen sich kooperative Bau- und Wohnformen aus? Was haben die unterschiedlichen Modelle gemein?
Die größte gemeinsame Schnittmenge ist, dass sich eine Gruppe von Menschen zusammentut, um selbstständig – unabhängig von einem Bauträger oder Entwickler – ihre Wohnzukunft zu realisieren. Die Motivation rührt dabei meist daher, dass der Markt keine geeigneten Angebote für die speziellen Wohnvorstellungen der Baugemeinschaft hergibt. Es gibt unterschiedliche Modelle von Baugemeinschaften: Typische Baugruppen sind die loseste Form von Gemeinschaft. Diese agieren während der Bauphase kooperativ, gründen eine eigene GbR und stimmen die Bauphase gemeinsam ab. Nach Fertigstellung des Objektes trennen sich die Mitglieder innerhalb des Objektes mehr oder weniger wieder in eine Wohneigentümergemeinschaft (WEG). Die Mitglieder wohnen demnach noch zusammen, der kooperative Prozess ist aber mit Bauabschluss beendet. Eine höhere kooperative Intensität besteht bei Genossenschaften. Dort dauert die gemeinschaftliche Struktur auch nach Erwerb oder Bau des Wohneigentums weiter an. Am Ende der gemeinschaftlichen Entwicklung steht kein Einzeleigentum, sondern das Mitglied wird als Teil des Wohnprojektes Mieter im eigenen Objekt. Verlässt ein Genossenschaftsmitglied das Wohnprojekt, werden ihm seine Genossenschaftsanteile ausgezahlt. Neben Baugruppen und Genossenschaften gibt es noch einige weitere kooperative Modelle, wie etwa das aus Freiburg stammende Modell des Mietshäusersyndikats. Solche Projekte weisen einen hohen idealistischen Anspruch vor, indem sie dem Markt bewusst Eigentum entziehen, um es zu vergesellschaften.
Das „Netzwerk Leipziger Freiheit“ setzt sich aus verschiedenen Netzwerkpartnern zusammen. Bedienen die Partner unterschiedliche Schwerpunktbereiche?
Die Partner des „Netzwerk Leipziger Freiheit“ vertreten allesamt die o.g. unterschiedlichen kooperativen Wohnprojektformen. Dennoch gibt es unter den Partnern Spezialisten für beispielsweise den Bereich der Baugruppen, für den Bereich der Genossenschaften oder aber auch für das Genossenschaftsrecht und das Vereinswesen. Jeder dieser Partner hat einen Rahmenvertrag mit uns abgeschlossen, in dem definiert ist, wie die Leistungen pro Beratungsfall entgolten werden. Als neutrale Stelle vermitteln wir interessierte Gruppen an den jeweiligen qualifizierten Fachexperten aus unserem Netzwerk. Die Gruppe erarbeitet dann mit dem Berater Schritt für Schritt ein Finanzierungskonzept mit dem sie schlussendlich einen Kredit von einer Bank erhalten kann, um das Grundstück oder das Gebäude zu erwerben.
Ist innerhalb der Gruppe Menschen, die sich für kooperative Wohnprojekte zusammentun und auf Sie zukommen, ein Muster erkennbar?
Nein, das ist glücklicherweise nicht der Fall und genau das macht unseren Job auch so spannend. Es kommen Gruppen von Senioren zu uns, die kurz davor stehen ihre Rente anzutreten und im Alter gemeinsam wohnen möchten. Es kommen Mietergemeinschaften zu uns, die verhindern wollen, dass der ursprüngliche Eigentümer sein Haus anonym in einen Fonds verkauft, indem sie es als Gemeinschaft selbst erwerben. Bei solchen Mietergemeinschaften handelt es sich dann natürlich um sehr heterogene Gruppen, die sich nicht selbst zusammengesucht haben, sondern die über die Geschichte der Vermietung eines Hauses entstanden sind. Und dann kommt natürlich auch der klassische Baugruppenfall zu uns. Das sind in den meisten Fällen Freunde, die sich für das gemeinsame Wohnen entschieden haben. Wir bedienen also nicht nur einen bestimmten Ausschnitt der Stadtgesellschaft. Wäre diese Durchmischung nicht vorhanden, hätten wir auch keinen wohnungspolitischen Rückenwind.
Im September 2017 hat die Stadt Leipzig zur Stärkung des kooperativen und kostengünstigen Wohnens zwei Grundstücke in einem Konzeptvergabeverfahren ausgeschrieben. Wie lief die Ausschreibung und womit waren die Baugemeinschaften gefordert?
Die Leipziger Wohnungsbaugesellschaft (LWB) hat zwei Grundstücke pilothaft vergeben. Der Ausschreibungsprozess ist abgeschlossen, die Vergabeentscheidung wurde getroffen und im September 2018 wurde der Vertrag unterzeichnet. Die LWB schließt für die beiden Grundstücke Erbbaurechtsverträge mit den Baugemeinschaften. Die Baugemeinschaften sollten dabei nicht mit dem Preis, sondern ausschließlich mit der inhaltlichen Qualität ihres Konzeptes überzeugen. Im Endeffekt ist es folgendermaßen: die Stadt vergibt ein kostengünstiges Grundstück und erwartet im Gegenzug eine sozial interessante Idee für das Stadtquartier. Die Baugemeinschaften waren beispielsweise gefordert bezahlbaren Wohnraum zu realisieren, der in den Lagen, in denen die beiden Grundstücke ausgewiesen wurden, Mangelware ist. Aber auch mit Ideen zum Mehrgenerationenwohnen, gemeinschaftlichem Clusterwohnen oder ökologischem Mehrwert konnten Konzepte überzeugen.
Inwiefern werden denn Wohnprojektinitiativen zu einem Instrument der Stadt, bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen?
Wohnprojektinitiativen können sicherlich nicht das soziale Wohnungsbauproblem lösen. Aber für all diejenigen, die einen Wohnberechtigungsschein haben – das sind in Leipzig 33% – kann das Modell durchaus eine Alternative darstellen. Leipzig ist noch nicht soweit wie beispielsweise Tübingen, das große Baufelder auf diese Weise entwickelt. Die Stadt Tübingen hat sich dazu bekannt, dass Baugemeinschaften sehr wohl in der Lage sind in einer Größenordnung Wohnraum zu realisieren, der normalerweise von der Stadt selbst oder einem Investor realisiert wird. In Leipzig müssen wir den Neubau erst noch lernen. Wir stehen grade dort, wo eine Stadt wie Tübingen vor 10 Jahren stand. Für eine derartige Größenordnung müssen wir die richtigen Strukturen aus Fachberatern schaffen. Das wird nicht von heute auf morgen gelingen, aber wir trauen uns das mit einer Perspektive von 5-6 Jahren zu.
Wie verhält es sich denn mit dem Anteil von Projekten die auf den Bestand zugreifen zu solchen die sich an den Neubau wagen?
Zu zwei Dritteln geht es in der Tat noch um den Bestand, bei dem anderen Drittel um Neubau. Wir sind ja erst seit April 2016 in der Beauftragung. Bei vier Gruppen steht jetzt langsam die erste Rohbauphase an.
Werden Wohnprojektinitiativen infolge der stetig steigenden Nachfrage nach Wohnraum an die Peripherie gedrängt?
Baugemeinschaften sind grundsätzlich sehr reflektierte Gruppen von Menschen. Sowohl im Bezug auf ihr Mobilitätsverhalten als im Bezug auf die Nutzung innerstädtischer Angebote. Sie benötigen keine Stelleflächen, da sie ein ganz anderes Mobilitätsverhalten aufweisen. Diese Gruppen sind absolut richtig in der Innenstadt. Vor allem aber sind sie wichtig für die Quartiere, da diese mit gemeinschaftlichen Wohnprojekten eine Stabilisierungsanker erhalten. Wohnprojektinitiativen identifizieren sich stark mit der Nachbarschaft und bieten beispielsweise im Erdgeschoss Gemeinschaftsflächen an, die vom gesamten Quartier genutzt werden können. Damit die Stadt diesen positiven Aspekt abschöpfen kann, möchten wir die Gruppen in den dichten innerstädtischen Quartieren halten. Grundsätzlich gelingt es Baugemeinschaften auch, die dichten und begrenzten Flächen kreativ auszuschöpfen. Eine unserer Gruppen hat eine schwierige Grundstückslage geradezu pionierhaft entwickeln können. Wir kommunizieren auch stärker ins Amt, dass diese uns die schwierigen Grundstücken in der dichten Lage zur Verfügung stellen mögen. Insbesondere weil Baugemeinschaften kreative und unkonventionelle Lösungen finden, die ein klassischer Investor nicht zwangsläufig finden würde.
Ist es eine große Herausforderung die Belange von Wohnprojektinitiativen und der Stadt in Einklang zu bringen?
Grundsätzlich nicht, nein. Die größte Herausforderung ist es, sich für die ein oder andere unorthodoxe Lösung zu öffnen. Denn das ist Baugemeinschaft per excellence: Unorthodoxe Lösungen. Für die Stadt ist das sehr spannend, da sie auf diese Weise Wohnmodelle nach Leipzig bekommt, die ihr der Markt nicht liefert. In Leipzig existiert kein Clusterwohnen außer im Baugruppensegment.
Ein Blick in die Zukunft: Was wünschen Sie sich für die künftige Wohnraumentwicklung in Leipzig? Welche großen Aufgaben gilt es gemeinsam zu lösen?
Ich wünsche mir Mut, den Baugemeinschaften auch eine andere Größenordnung zuzutrauen, damit Wohnraum mit mehr Umfang geschaffen werden kann. Außerdem wünsche ich mir, dass das Thema Baugemeinschaften nicht länger ein Nischenprodukt ist. Kooperative Wohninitiativen tun der Stadt gut, da dort in Gemeinschaft gelebt wird und das brauchen wir hier in Leipzig. Dazu muss den Baugemeinschaften zukünftig im Grundstückspreis entgegen gekommen werden. Als „Netzwerk Leipziger Freiheit“ haben wir außerdem noch eine ganz persönliche Wunschvorstellung, an der wir hart arbeiten, aber noch sehr weit entfernt sind: Wir möchten, dass das Thema auch niedrige Einkommensschichten stärker erreicht, um eine größere Breite in der sozialen Durchmischung solcher Wohnprojekte zu erzielen. Dazu müssen wir uns zukünftig überlegen, welche geeignete Unterstützung und Anreize wir schaffen können.
Das Gespräch führte Marie Sammet.
_______________________________________________________________________________________________________
Jens Gerhardt
Der Dipl. Architekt und M. Sc. In Urban Management war in seiner beruflichen Laufbahn bereits für verschiedene Planungs- und Visualisierungsbüros (Weimar, Jena, Wien und Leipzig), außerdem als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Leipzig und der Brandenburgischen Technischen Universität tätig. Seit 2007 ist er freiberuflicher Mitarbeiter des Büros |u|m|s| STADTSTRATEGIEN in Leipzig. Außerdem arbeitete er ab 2010 für vier Jahre als Gutachter für die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (giz). Seit 2016 ist er als Mitkoordinator für das Netzwerk Leipziger Freiheit zuständig.
Schreibe einen Kommentar