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Wo liegen aus Immobilienwirtschaftlicher Sicht Wuppertals Qualitäten?
Im Altbau. Der immense Altbaubestand, über den die Stadt verfügt, wird als Qualität nach wie vor unterschätzt. Wenn wir in die Altstadtviertel von Berlin, Leipzig oder auch Düsseldorf schauen, dann sind das sehr häufig die mit Abstand am beliebtesten und auch teuersten Wohnviertel. Wo Altbau ist, findet das urbane Leben statt – dort tummeln sich Studierende und Künstler. Das gilt auch für Wuppertal. Zuerst beleben die Kreativen und Künstler diese Quartiere und erfahrungsgemäß gesellen sich nur sehr kurze Zeit später die Besserverdienenden dazu. Davon sind wir in Wuppertal aber in weiten Teilen noch entfernt. Nichtsdestotrotz lässt sich die Uhr danach stellen, dass diese Dynamik auch in Wuppertal in einer allgemeinen Aufwärtsbewegung münden wird. Die Angst vor einer umgreifenden Gentrifizierung ist hier dennoch nicht zu spüren.
Sind es Ihrer Meinung nach eher einzelne Objekte oder sind es Quartiere, welche die Kraft haben attraktiv zu sein?
Ein einzelnes Objekt müsste schon sehr groß sein um eine entsprechende Strahlkraft zu entwickeln. Aktuell entwickeln wir in Wuppertal-Barmen eine alte Fabrikanlage mit rund 10.000 Quadratmetern – da sehe ich tatsächlich das Potential, dass ein solches Areal aus sich heraus eine Wirkung erzielen kann. Grundsätzlich sind es aber wohl eher lebendige Quartiere, die mit diversen Angeboten und Möglichkeiten, nicht nur den Kreativen einen spannenden Nährboden bieten und am Ende für Menschen einen attraktiven Wohnort abbilden. Die Stadt Wuppertal hat dahingehend mit ihren großen Gründerzeitvierteln und den vielen Altbauwohnungen einen echten Trumpf in der Hand. Überraschenderweise wissen selbst Branchenkenner aus anderen Städten und Bundeländern nichts von diesem Schatz. Ein geschätzter Kollege von mir begab sich vor wenigen Wochen zum ersten Mal auf Erkundungstour durch Wuppertal und zeigt sich wirklich nachhaltig begeistert von der Atmosphäre dieser Stadt. Ein Areal wie wir es zum Beispiel rund um den Mirker Bahnhof vorfinden, wo alle Gesellschaftsschichten aufeinander treffen und in einmaliger Kulisse gemeinsam Musik hören, Ideen austauschen oder einfach nur ein mitgebrachtes Bier trinken, wäre in dieser Offenheit in den bekannten Metropolen undenkbar oder hätte sich längst in einen reinen Tourismus-Spot verwandelt.
Ist Wuppertal also eine sehr unterschätzte Stadt?
Absolut. Wuppertal wird aus meiner Sicht wahnsinnig unterschätzt und fühlt sich für mich aktuell wie ein zweites Leipzig an. Die Politik hat auch dort über Jahre probiert Anreize zu schaffen und vergeblich versucht gegen den wachsenden Leerstand in der Stadt anzukämpfen – heute ist es fast unmöglich dort überhaupt eine Wohnung zu finden. Diese Entwicklung war unter anderem möglich, weil die Kreativen die Freiräume in der Stadt erobert haben und über ihre Arbeit viele andere Menschen angezogen haben.
Sind die aktuell moderaten Mietpreise in Wuppertal dann ein Vorteil für die Stadt?
Ja, ich glaube schon. Die Wirtschaftswoche hat zwar vor geraumer Zeit die niedrigen Mieten in Wuppertal im Städteranking noch als Standortnachteil deklariert, weil kein Immobilienbesitzer sein Objekt mit Quadratmeterpreisen von 5 Euro beständig bewirtschaften kann, aber wie so oft im Leben hat alles zwei Seiten. Vor 10 Jahren, als Wuppertal noch viel schlechter dastand als heute und man lieber aus der Stadt weggezogen ist als anders herum, hat man gesehen was zu niedrige Mieten und schlechte Auslastungen für das Stadtbild bedeuten. Es wurde kein Geld mehr in die Objekte investiert und manche Gebäude wurden gleich ganz aufgegeben. Im Ergebnis prägten an vielen Ecken heruntergekommene Immobilien das Stadtbild. Heute sind die Mieten etwas teurer und der Quadratmeterpreis beginnt mittlerweile bei 6,50 Euro, aber das versetzt die Eigentümer auch wieder in die Lage in eine moderne Heizungsanlage zu investieren oder neue Fenster zu installieren.
Bedeutet das auch, dass der Immobilienmarkt in Wuppertal noch Entwicklungspotenziale aufweist? Anders als die Märkte in den A-Städten, die im Grunde ihren Peak schon erreicht haben?
Auf jeden Fall. Die Bergische Universität hat den Immobilienmarkt in Wuppertal erst zuletzt wieder analysiert – darum wissen wir das bei über 70 Prozent der Wohnimmobilien die letzte Grundsanierung mindestens 30 Jahre zurückliegt. Womit dabei niemand gerechnet hat, ist der qualifizierte Zuzug den die Stadt mittlerweile erfährt. Das sind Menschen, die aus deutlich teureren Städten kommen und es gewohnt waren das zum Teil Dreifache für ihren Wohnraum zu zahlen. So jemand möchte auch keine renovierungsbedürftige Wohnung für 4 Euro den Quadratmeter anmieten und erst einmal selber Hand anlegen. Wenn die Ausstattung und der Zustand es hergeben, sind diese Mieter auch gerne bereit einen entsprechenden Preis zu zahlen.
Was zeichnet die Stadt Wuppertal und das Leben in dieser Stadt darüber hinaus aus?
Durch die Nähe zu den Rheinmetropolen, verbunden mit den niedrigen Einstiegsmieten, droht theoretisch auch Wuppertal zu einer Schlafstadt im Schatten von Düsseldorf und Köln zu werden. Anders als Städte wie Ratingen oder Velbert, die sich damit arrangiert haben, ist Wuppertal aber groß und mannigfaltig genug um viel mehr als das zu sein. Die engen und gewachsenen Quartiersstrukturen machen Wuppertal zu einer Stadt der kurzen Wege. Wer interessante Gastronomie- und Freizeitangebote sucht, muss nicht ständig das Auto bemühen, sondern kann im Luisenviertel oder in der Nordstadt einfach ein, zwei Straßen weiter gehen. Wuppertal verfügt über das Potential, auch aus sich selbst heraus zu profitieren, da die Stadt groß und attraktiv genug ist um sowohl ein Ort zum Arbeiten als auch zum Leben zu sein. Darum kann die Stadt Wuppertal in den nächsten Jahren eine eigene und vor allem unabhängigere Geschichte schreiben. Diese beschriebenen und identitätsstiftenden Standortvorteile müssen nur noch viel besser kommuniziert werden.
Sehen Sie in Wuppertal auch eine großstädtische und urbane Struktur?
Wenn ich in Wuppertal am neuen Hauptbahnhof aussteige, fühlt sich das durchaus großstädtisch an. Das deckt sich auch mit dem Feedback von vielen Geschäftspartnern aus Österreich oder auch Berlin, die das Leben hier sehr wohl als großstädtisch wahrnehmen. Ich glaube aber, dass an dieser Stelle die Innenwahrnehmung sehr stark von der Außenwahrnehmung abweicht. Der Wuppertaler bleibt sehr gerne in seinem Stadtteil und nutzt die Stadt selten in der ganzen Länge. Ich selbst wohne in Barmen und ein Ausflug nach Elberfeld fühlt sich tatsächlich wie eine kleine Weltreise an, aber in den Kiez-Strukturen wie zum Beispiel in Berlin läuft das sehr ähnlich ab.
Welche Bedeutung schreiben Sie der Innenstadt in den nächsten Jahren zu?
Ich gehe davon aus, dass die Innenstadt immer stärker mit einem Bedeutungsverlust zu kämpfen hat. Wir haben in unserem Portfolio schon 2014 jedes Ladenlokal im Erdgeschoss und in Nebenlage in Wohnraum umgewandelt. Die bekannten Handelskonzepte funktionieren aber auch in direkter Innenstadtlage nur noch sehr bedingt. Gute Konzepte die ein Erlebnis-Shopping realisieren oder mit großen Anteilen an gastronomischen Bausteinen arbeiten, werden weiterhin erfolgreich sein können. Dennoch nimmt das Interesse an der abgetrennten Funktionsweise einer innerstädtischen Einkaufs-City insgesamt kontinuierlich ab – natürlich auch aufgrund des Online-Handels. Schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie war es in vielen Einkaufscentern nicht mehr möglich alle Ladenlokale zu vermieten und ich befürchte das dies zukünftig noch viel schwieriger wird.
Sie sind heute mit dem Fahrrad zum Interview gekommen – ändert sich die Mobilität in der Stadt?
Nein. Leider setzen in Wuppertal doch nur sehr wenige Menschen im Alltag auf das Fahrrad. Ich kann das aber sehr gut nachvollziehen. Wenn ich meine Strecken mit dem Fahrrad plane, baue ich viele Umwege und Schleichwege ein, da ich andernfalls Sorge habe, nicht sicher am Ziel anzukommen. Wuppertal ist insgesamt einfach nicht darauf ausgelegt mit dem Fahrrad entdeckt zu werden. Die Topographie der Stadt erschwert die Fahrten zusätzlich.
Abschließend noch einmal zurück zu den Gründerzeitobjekten die Sie entwickeln – was sind die widerspenstigen Aspekte, wenn man im Bestand arbeitet?
Ich nehme diese Arbeit tatsächlich gar nicht als widerspenstig wahr. Ich beschäftige mich seit 25 Jahren fast ausschließlich mit Altbauten und insbesondere mit dem Thema Denkmalschutz. Jedes Objekt ist aufgrund der individuellen Geschichte immer für eine Überraschung gut und das macht für mich auch den speziellen Reiz meiner Arbeit aus. Bevor wir Wände und Decken öffnen, wissen wir selber häufig nicht was uns erwartet und welche Arbeitsschritte und auch Kosten auf uns zukommen. Diese Planungsunsicherheit können wir nur aushalten, und auch ausgleichen, weil wir in der Breite so viele Projekte begleiten. Wir machen unsere Arbeit leidenschaftlich gerne und wissen, dass wir auch das Richtige tun. Denkmäler sind immer auch Klimaschützer, da wir im Verlauf der Sanierungen rund zwei Drittel der Baustoffe wiederverwenden können. Der WWF hat ermittelt, dass acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen auf die Bauindustrie zurückgeführt werden können – und damit ist in erster Linie nur die Zementherstellung beziffert. In diese Ermittlung sind der Materialtransport, Abriss- und Entsorgungsmaßnahmen und Entsorgung. Aktuelle Hochrechnungen zeigen uns, dass ein Neubau erst nach 50 Nutzungsjahren eine bessere CO2-Bilanz als die eines bestehenden Gebäudes aufweist. Wir müssen aber jetzt handeln und jetzt unsere Klimabilanz verbessern. Die Uhr tickt ohrenbetäubend laut.
Was wünschen Sie der Stadt Wuppertal ganz persönlich für die Zukunft?
Eine ausführliche Antwort würde hierzu wohl noch ein weiteres Magazin füllen, aber im Endeffekt wünsche ich der Stadt Wuppertal, dass sie eine der interessantesten Städte Deutschlands wird – denn das Potenzial dazu hat die Stadt.
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Wir bleiben gespannt. Vielen Dank für das interessante Gespräch.
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CHRISTIAN BAIERL
ist Vorstand der renaissance Immobilien & Beteiligungen AG in Krefeld mit Büro in Wuppertal. Zudem Mitglied des Vorstandes der RockHedge Asset Management AG in Krefeld. Das Kerngeschäft des Unternehmens liegt im Kauf, der Sanierung und der Bewirtschaftung von Mehrfamilienhäusern sowie der Nachnutzung von ehemaligen, historischen Fabrikanlagen. Der gelernte Bankkaufmann und Sparkassen-Fachwirt hat sich 1997 selbständig gemacht und war seitdem als Geschäftsführer und Vorstand in verschiedenen Unternehmen der Immobilienwirtschaft tätig. An der Europäischen Fachhochschule in Brühl hatte er zudem einen Lehrauftrag für Real Estate Management.
Als Hamburger (andere Welt), der lange und gerne in W-tal gelebt (auch denkmalgerecht saniert) hat, stimme ich Herrn Baierl durchaus zu. Die besondere Topografie, mit den erstaunlichen Straßenschluchten, den bewaldeten Höhenzügen, die weit hinab reichen, hätte er aber mehr hervorheben können, auch die neuerdings durchaus radfahrerfreundlichen Entwicklungen (Nordbahntrasse). Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Talsohle ein kriegs- und nachkriegsbedingt desolates Bild bietet, das viele Besucher zu einer schnellen Weiterreise veranlasst.
Interessant, wie man hier das Stadium der langsam beginnenden „Gentrifizierung“ (das Wort kommt einmal vor, vorher wird der Prozess elegant umschrieben) gezeigt bekommt.
Die Universität hätte als überregional und international ausstrahlender Faktor deutlicher hervorgehoben werden können, ebenso das Wuppertal Institut. Ganz zu schweigen von der historischen Rolle als früh führender Industriestadt in Deutschland, einschließlich der „Schattenseiten“ – siehe Friedrich Engels aus Barmen.
PS: Der Text hätte orthografisch schnell noch mal überarbeitet werden sollen …