
© Enea Landscape Architecture
In der Öffentlichkeit werden Sie mal als Picasso der Gärten, mal als Baumflüsterer oder Star Landschaftsplaner bezeichnet. Bevor wir ins Detail gehen: Finden Sie sich in diesen Beschreibungen wieder?
Die Landschaftsarchitektur ist für mich eine Art Kunst, die den Raum und somit die Dreidimensionalität nutzt. Anstelle von Pinsel und Ölfarbe nutze ich Bäume und Pflanzen, um den Raum zu gestalten und ein spezielles Mikroklima zu erschaffen. Das Resultat ist etwas Gebautes. Insofern bin ich zu Beginn Künstler, wenn ich eine Vision entwickle und werde im weiteren Verlauf Ingenieur, Handwerker, Gärtner etc.
Sie haben zunächst Industriedesign und anschliessend Landschaftsarchitektur in London studiert. Aus welcher Motivation heraus haben Sie sich dann der Natur zugewandt und inwiefern hat Sie Ihr Wissen aus dem Studium dennoch weitergebracht?
Als Student war ich sehr technikaffin. Damals wie heute versuche ich Technik und Natur sinnvoll miteinander in Einklang zu bringen. Eine Art Schlüsselerlebnis hatte ich mit meinem Großvater: Als ich ein kleiner Junge war pflückte er mir einmal einen frischen Pfirsich vom Baum und zeigte mir damit, welch wunderbare Geschenke uns die Natur macht. Und auch wenn ich mir der Kraft der Natur in diesem Moment noch nicht bewusst war, hat mich dieses Erlebnis doch nachhaltig beeinflusst – so sehr, dass ich eine regelrechte Leidenschaft für Bäume entwickelt habe. Heute sehe ich es als unabdingbare Notwendigkeit an, Technik und Natur in Einklang miteinander zu bringen. Wenn wir uns weiterhin von der Natur abwenden und zugleich stetig weiter industrialisieren, gibt es für uns keine Zukunft.
Apropos Zukunft: Sie schenken solchen Bäumen, die gefällt werden sollen eine neue Zukunft, in dem Sie sie mittels einer bestimmten Technik umsiedeln. Dabei heisst es doch eigentlich sprichwörtlich, dass man einen alten Baum nicht verpflanzt.
Wissen Sie, das ist ein altes Sprichwort aus einer Zeit, in der es noch keine entsprechenden Techniken hierfür gab. In unserer gegenwärtigen “neuen Welt” sind wir dazu fähig. Das Wunderbare ist, dass wir auf diese Weise einerseits den Baum retten und andererseits auch ein bisschen Zeit einfangen können. Oder umgekehrt: Roden wir alte Bäume, vernichten wir Zeit sowie wichtige Ressourcen, die zu unseren Lebzeiten nicht mehr neu nachwachsen werden.
Aus welcher Motivation heraus ist diese ungewöhnliche Idee überhaupt entstanden?
Mein damaliger japanischer Karate-Lehrer war ein passionierter Bonsai-Züchter. Er war es, der mir die traditionelle, japanische Wurzelschnitttechnik gezeigt hat. Dieses sehr resolute in Form bringen der Bäume mit Hilfe von Draht empfand ich als viel zu streng, und als gebürtiger Italiener hatte ich ohnehin ein anderes Verhältnis zur Natur. Die Ästhetik gefiel mir, aber die Technik wollte ich “italienisieren”. Infolgedessen entwickelte ich meine eigene Technik: Die Bäume schneide ich so in Form, dass sie sich wieder leichter entfalten können. Das ist mein Ansatz – the Italian way!
Verfolgen Sie darüber hinaus bei der Realisierung Ihrer Projekte ein bestimmtes Gestaltungsprinzip?
Wir folgen bei all unseren Projekten immer dem genius loci: Der Ort bestimmt, was wir tun. Für mich ist ausschlaggebend, was mir der Ort gibt, und wie ich dies mit meiner Arbeit verbinden kann, so dass daraus ein nachhaltiger Mehrwert für Mensch und Biodiversität mit Sicht auf die kommenden 80 bis 100 Jahre entstehen kann. Das bedeutet auch, sich für Ideen zu öffnen und etwas zu planen, dass man vielleicht selbst nicht mehr in Fülle erleben wird. Neben dem genius loci, also einer nicht fassbaren, abstrakten Kraft, orientieren wir uns aber auch an harten Fakten, wie z.B. Daten aus Grundstücksanalysen, die unsere Expert:innen erheben. All dies fließt dann in unsere Gestaltung mit ein.
Apropos Analyse: Im Zuge der klimatischen Veränderungen, sind heutzutage z.B. auch die Ausgangsbedingungen für heimische Pflanzen ganz andere, als noch vor wenigen Jahren. Ehemals heimische Pflanzen können heute nicht mehr gut in unseren Gefilden gedeihen. Inwiefern beobachten auch Sie diese Entwicklung und greifen ggf. auf Bäume und Pflanzen zurück, die wir ad hoc nicht als heimische Pflanzen kennen?
Ein sehr wichtiger Gedanke! Jeder, der diese Entwicklung anzweifelt oder entsprechende Analysen belächelt, ist nicht mehr am Puls der Zeit. Unser größter heimischer Baum, die Buche, kann heutzutage kaum mehr in unseren Wäldern gedeihen, weil sie zu wenig Wasser bekommt und zusätzlich vom Borkenkäfer befallen wird. Unser Büro hat zu diesem Thema auf der Art Basel 2022 eine Installation realisiert. The Isle of Trees zeigte auf der einen Seite Buchen als “Bäume unserer Gegenwart” und auf der anderen Seite die “Future Trees”, also resistenzstarke Baumsorten, die in nicht allzu ferner Zukunft zu unseren neuen heimischen Bäumen werden. Im Kontext der Art Basel ist es uns gelungen, die Öffentlichkeit für Themen des Klimaschutzes zu sensibilisieren und zu zeigen, wie man mit geeigneten Pflanzen den Herausforderungen des Klimawandels entgegenwirken kann.
Wie offen gegenüber solchen Ideen und Visionen zeigen sich denn Architek:tinnen und Projektentwickler:innen in Ihrer täglichen Zusammenarbeit? Nehmen wir hierzu doch gern einmal Düsseldorfs spektakuläres Architekturprojekt, den Tadao Ando Campus direkt am Mörsenbroicher Ei, als Beispiel. Wie findet man hier eine gemeinsame Sprache?
Unser Büro war nicht von Anfang an im Projekt involviert. Die ersten Entwürfe zur Grünflächengestaltung sahen einen eher französischen Ziergarten vor; eine Idee, die dem Bauherrn nicht hundertprozentig gefiel. Er bat uns einen Gegenvorschlag einzureichen. Mit Tadao hatte ich bereits schon einige Male zuvor zusammengearbeitet. Unsere Ansätze sind sehr unterschiedlich: Er sieht Zement, ich sehe Grün. Aber genau hierin liegt die große Herausforderung und das Potenzial – aus vermeintlichen Gegensätzen ein harmonisches Ganzes zu kreieren. Wichtig ist – und das gilt vor allem für künftige Architekt:innen-Generationen: Grün ist integraler Bestandteil von Lebensräumen, keine Dekoration! Das bedeutet auch, dass Architektur und Landschaftsarchitektur von Beginn an zusammenarbeiten müssen. Es reicht nicht nach Fertigstellung noch schnell einen Garten anzulegen oder das Gebäude mit Buchenhecken zu begrünen – das ist dekorativ, aber alles andere als biodivers. Wir verfolgen die Prämisse, dass Grün die Architektur immer umarmen sollte.
Denken Sie, dass sich infolgedessen auch die Ausbildung von Architekt:innen verändern müsste?
Das wäre wünschenswert. Sehen Sie: Die Architektur fokussiert gegenwärtig sehr stark das Thema Umbau. Damit einher könnte auch die Fragestellung behandelt werden, wie denn Grün “umgebaut” werden kann; wie also Bäume verpflanzt und in die neuen Kontexte integriert werden können. Das wäre ein Ansatz eine wahrhaftig “grüne Architektur” voranzutreiben und keine, die Grün nur als Add-On im dekorativen Sinne versteht. Dieses Verständnis auch unter Architekt:innen zu schärfen, ist unbedingt notwendig.
Lassen Sie uns noch einmal zurück auf Düsseldorf kommen. Wie konnten Sie letztlich mit Ihrem Entwurf überzeugen?
Aufgrund unserer gründlichen Vorabanalyse des Ortes und der daraus von uns entwickelten Erzählung zur Zukunft dieses urbanen Raumes, war unser Gegenvorschlag sowohl für den Bauherren als auch für Tadao verständlich und überzeugend. Die übergeordnete Vision des Campus ist es, dass er mit der Umgebung verbunden wird. Er sucht die Integration mit einem biodiversen Wald und wird selbst so gestaltet, dass auch hier Schmetterlinge und Bienen ein neues Zuhause finden. Die Natur erobert sich sozusagen ihren Raum zurück. Aus dem verkehrsreichsten Knotenpunkt der Stadt wird ein zukunftsfähiger urbaner Raum. Unser grüner Gürtel legt sich nicht nur einmal um das gesamte Gebäude, sondern wird auch den in unmittelbarer Nähe befindlichen Kittelbach mit einbeziehen. Unser Ziel ist auch hier den genius loci spürbar werden zu lassen, also einen Ort zu entwickeln, der sich trotz aller Neuerungen immer noch wie Düsseldorf anfühlt.
Stichwort Fühlen: Kommen wir von diesem großen Maßstab noch einmal zurück zu Ihnen. Sie sagten einmal, Sie fühlen sich immer dann als Künstler, wenn Sie zum allerersten Mal ein Grundstück betreten, das sie gestalten sollen. Was fühlen Sie in diesem Moment?
Vermutlich geht es mir ähnlich wie Ihnen, wenn Sie vor einem weissen Blatt Papier sitzen und anfangen sollen zu schreiben. In diesem Moment fokussiere ich mich nur auf die Wahrnehmung des genius loci und auf meine Intuition. Dadurch versuche ich zu erkennen, an welchen Stellen neue Lebensräume für die Nutzenden entstehen können. Nach diesem intuitiven Impuls entwickle ich eine erste Design-Idee, die auch unsere Analysen zum Ort berücksichtigt. Letztere geben uns verlässliche Informationen darüber, wie eine sinnvolle Außengestaltung aussehen kann, so dass sie über mehrere Generationen hinweg funktioniert und auch Freude bereitet. Kurzum: Die Mischung macht den Zauber des fertiggestellten Gartens aus. Erst das Gefühl – die Intuition, dann die Analyse – also die Fakten zu Bodenbeschaffenheit, Wasservorkommen, Niederschlag, Sonneneinstrahlung etc. Infolgedessen entsteht ein natürliches, spannendes und funktionierendes Gefüge aus Technik, Natur und Kunst.
Welche Stellschrauben müssten denn Ihrer Meinung nach justiert werden, so dass Projekte an Langlebigkeit gewinnen? Gegenwärtige Versuche Grün zu integrieren sehen auf dem Plan oft gut aus, funktionieren in der Realität aber eher suboptimal.
Da gebe ich Ihnen Recht. Wunsch und Realität klaffen noch immer sehr weit auseinander. Ich empfinde das momentan als komplett verpasste Chance; und mitunter sogar als lächerlich. Die gegenwärtigen Projekte sind nichts weiter als ein Abbild unseres Denkens. Sie zeigen wie hart wir geworden sind – mit uns selbst und auch im Umgang mit anderen. Hart gesagt: Rendite schlägt noch immer Lebensqualität. Es gibt noch viel Luft nach oben: Würde der Landschaftsarchitektur mehr Budget zur Verfügung gestellt, sähen unsere Quartiere bereits ganz anders aus. Dann sprächen wir nicht nur über begrünte Dächer, sondern auch über begrünte und lichtdurchflutete Tiefgaragen, also komplett grün geplante Gebäude. An Möglichkeiten und Technik mangelt es uns nicht! Was wir brauchen, ist das Bewusstsein für den Mehrwert solcher Investitionen!
Ist das ein typisch deutsches Problem und gibt es andere Länder, die in dieser Hinsicht bereits innovativer denken? In puncto Architektur blicken wir ja gerne in Richtung unserer skandinavischen Nachbarn.
Auch wenn man es hierzulande kaum glauben mag: Während meiner 30-jährigen Arbeit in diesem Bereich ist mir aufgefallen, dass es v.a. bei den Amerikaner:innen an der Ostküste Klick gemacht hat. Unsere Auftraggeber in Miami haben den Mehrwert solcher Investitionen vollends verstanden. Dieser ist natürlich nicht nur ökologischer, sondern auch wirtschaftlicher Natur, denn eine Immobilie gewinnt letztlich auch durch unsere Landschaftsgestaltung an Wert. Positiv auffällig ist jedenfalls, dass uns unsere amerikanischen Kunden von Anfang an in den Planungsprozess einbeziehen. Der Dialog ist sehr viel offener und flexibler; und der Wandel der Zeit deutlich spürbar. In Deutschland ist das bislang noch nicht der Fall – trotz hervorragender Voraussetzungen. Denken Sie nur an die Technik-Kompetenz der Deutschen! Hier braucht es noch eine große Portion Innovationsmut und ein stärkeres Gespür für Ästhetik und den Wert der Nutzbarkeit.
Das Gespür für Ästhetik wird auf jeden Fall in Ihrem Baummuseum geschärft, das Sie im Jahr 2010 direkt neben dem Haupthaus Ihres Unternehmens in Rapperswil-Jona auf 75.000 m2 angelegt haben. Anders als in anderen Museen leben und entwickeln sich die hier befindlichen „Exponate“, 50 vor der Abholzung gerettete Bäume, weiter. Welche Wirkung hat dieser Ort auf Ihre Arbeit? Nutzen Sie Ihn auch als Kraftort?
… und hier doch wieder in einen neuen Lebenszyklus eingebunden wird. Das ist spannend! Lassen Sie uns noch kurz folgenden Gedanken diskutieren: Sofern Sie einen alten Baum ausgraben und ihn an einem anderen Ort wieder einpflanzen, klingt das für mich nach einem Aufbrechen von Raum und Zeit. Als Zeuge der Vergangenheit wirkt und lebt der alte Baum in der Gegenwart weiter und wird dies auch in Zukunft tun. Spüren Sie darin ein natürliches Verbunden-Sein mit Allem, was uns umgibt, und das vielen von uns verloren gegangen ist?
Das ist ein absolut spannender Gedanke! Der Baum hat in der Tat eine sehr viel höhere Lebenserwartung als ein Mensch. Wir werden nie genügend Zeit haben, einen Baum in seiner vollen Pracht zu erleben. Das ist ein Punkt, den ich relativ früh erkannt habe. Bislang mangelt es vielen von uns an Bewusstsein darüber, welcher Wert in einem alten Baum steckt: Fälle ich eine 200-jährige Buche, müsste ich für ihn 2.000 Jungbäume nachpflanzen, um seine Kraft – jährlich 6 t CO2 zu filtern – ersetzen zu können. Das macht keiner – nicht einmal ein Bill Gates. Wären mehr Menschen sich dieser Kraft bewusst, würden sie entweder weniger Bäume fällen oder Mittel und Wege finden, diese zu erhalten. Um Geld dürfte es an dieser Stelle jedenfalls nicht mehr gehen. Letztlich geht es nämlich um Zeit: Zeit, die ein Baum benötigt, um zu wachsen und seine Kraft zu entwickeln. Und genau die können wir uns nicht kaufen. Da ist uns die Natur weit voraus.
Das ist ein guter Abschlussgedanke. Vielen Dank für diesen ungewöhnlichen Einblick in Ihre Arbeit, die so viel mehr ist.
ENZO ENEA
wurde im Jahr 1964 in Rüti im Schweizer Kanton Zürich geboren. Nach einer Ausbildung zum Industriedesigner studierte er bis 1984 Landschaftsarchitektur an der University of Green- wich und am Chelsea Physic Garden of London. Danach reiste Enea nach Brasilien und Hawaii, wo er sein erstes großes Landschaftsprojekt für ein Sheraton-Hotel entwarf. Enzo Enea erhielt zahlreiche goldene und silberne Preise auf den Giar- dina-Messen von Basel und Zürich. Außerdem wurde er 1998 mit dem Newcomer-Preis der renommierten Chelsea Flower Show in London ausgezeichnet. Eine umfassende Dokumentation seiner Werke findet sich im Buch «enea private gardens». Neben seiner Tätigkeit als Landschaftsarchitekt zeigt Enea ein großes Interesse für Kunst. Er selbst ist Sammler und stellt ausgewählte Werke im Baummuseum aus, darunter Arbeiten von namhaften Künstler:innen, wie Ugo Rondinone, Sylvie Fleury, Jean Dubuffet und Jaume Plensa.
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