Bochum ist nicht Opel

Im Gespräch mit Dr. Ernst Kratzsch, Stadtbaurat der Stadt Bochum.

Sie sind vor acht Jahren aus Rheine nach Bochum gekommen – haben Sie diese Entscheidung bereut?
Nein, das habe ich nicht. Es gab hier ganz neue, spannende Aufgaben zu meistern – Aufgaben, die echte Herausforderungen waren und immer noch sind. Bochum befindet sich in einem großen, elementaren Strukturwandel, den wir momentan als Bochum 1.0, Bochum 2.0, Bochum 3.0 – Steinkohle, Stahl, Automobilproduktion – definieren. Da stellt sich die Frage, wie wir uns weiterentwickeln. Die Universität und die anderen Bildungseinrichtungen, die wir hier in Bochum haben, sind sicher ein ganz wichtiger Schlüssel. Das thematisieren wir weiter unter dem Stichwort Bochum 4.0.

Die Entwicklungsgeschichte der Stadt hat extreme Herausforderungen mit sich gebracht. Wie stellt sich das stadträumlich und im urbanen Umfeld dar?
Man muss die Maßstabsveränderung betrachten. Während wir früher große Flächen, große Investoren und große Ansiedlungen hatten, werden es in Zukunft unzählige kleinere Ansammlungen in unterschiedlichen Größenordnungen sein. Das heißt, man kann die Probleme nicht mehr mit ein, zwei umfangreichen Planungen lösen, sondern braucht viele kleine.

Bis in die 1990er-Jahre bestand die Hoffnung, dass man in Bochum Nachnutzungen in gleicher G rößenordnung realisieren kann. Lässt man sich heute vermehrt auf kleinere Skalierungen ein?
Ja, die Strukturen sind aufgebrochen worden und verschiedene Unternehmen haben sich auf den Flächen angesiedelt. Heute werden hier insgesamt mehr Mitarbeiter beschäftigt als zuvor bei einem einzelnen Arbeitgeber. Die Nutzung ist kleinteiliger und vielfältiger geworden. Dies ist aber auch schlichtweg notwendig: Wir brauchen mehr Varianten für die Flächen und damit mehr Offenheit und Flexibilität.

Warten Sie bei der Planung für solche Nachfolgenutzungen auf die Nachfrage aus dem Markt oder schaffen Sie entsprechende Rahmenbedingungen, die dann ihrerseits Nachfrage erzeugen?
Ich glaube, man darf nicht warten. Es ist wichtig, projektiv auf die Themen zuzugehen. Wir sind heute in der glücklichen Situation, dass wir ein Jahr bevor Opel schließt, schon wissen, was wir danach machen wollen. Es handelt sich um einen robusten städtebaulichen Entwurf, der sicherlich ganz verschiedene Ausgestaltungen haben und unterschiedliche Nutzungsformen aufnehmen kann.

Planungen nicht zu streng festzulegen, um Offenheit zu fördern und holprige Entwicklungen zu vermeiden – ist das zukünftig eine Notwendigkeit für Kommunen, die einhergeht mit einer Z usammenarbeit mit privatwirtschaftlichen Interessen und der Immobilienwirtschaft?
Bei der Strukturierung wurde es von uns eigentlich immer andersherum gehandhabt. Bereits im Vorfeld haben wir uns sehr intensiv mit Interessenten, Investoren, Beteiligten und Nachbarn, aber auch mit der IHK und den Einzelhandelsverbänden in Bezug auf die Zieldimensionen ausgetauscht. Es wurden viele Gesprächsrunden zum Thema Opel, aber auch zur Universität angeboten und so die Bedürfnisse der einzelnen Gruppen ermittelt. Im nächsten Schritt haben wir die Planungen auf diese Bedürfnisse ausgerichtet, planungsrechtlich festgelegt und über städtebauliche Verträge feingesteuert. Das Vorgehen ist ein anderes. Wir fangen nicht mit dem öffentlich-rechtlichen Vertrag an, sondern mit dem Dialog. Danach kommt der Bebauungsplan und dann wird über Detailpläne privatwirtschaftlich nachgesteuert. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.

Das heißt, diese dritte Phase des privatwirtschaftlichen nachgängigen Planens bietet im Dialog mit den Investoren genügend Möglichkeiten und Optionen, um die Korridore weiter auszugestalten?
Der Investor hat natürlich eine bestimmte Interessenlage, aber er braucht auf der anderen Seite auch einen qualifizierten Gesprächspartner. Das sollte jemand sein, der gut begründen kann, welche Strukturen wo und warum benötigt werden. In vielen Stadtumbaugebieten, zum Beispiel an der Universität, gibt es schon Eigentümer. Freie Felder, wie wir sie früher hatten, auf denen gebaut wird, liegen heute kaum noch vor. In neunzig Prozent der Fälle sprechen wir mit dem Eigentümer, um ihn zum Handeln anzuregen. Wenn die öffentliche Hand etwas unterstützt, dann zieht auch der private Eigentümer nach. Wir machen die Erfahrung, dass jeder von der Stadt investierte Euro von sieben bis acht Euro aus privatem Engagement begleitet wird. Wenn das Land NRW 100 bis 120 Millionen Euro ausgibt, um die Universität zu modernisieren, dann sprechen wir als Stadt gleichzeitig mit den Eigentümern der Wohngebiete ringsum, um zu klären, wo die künftigen Studenten und Arbeitnehmer wohnen und wie Kultur und Unterhaltung gestaltet werden können. Man muss ein Bild entwickeln von dem, was man als Stadt begreift. Der Investor oder der Markt alleine tun das nicht.

Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass G espräche mit Ihnen und anderen Akteuren von Investoren gewünscht werden?
Ja, natürlich. Ein Investor investiert sein Kapital. Aber damit daraus ein Vermögen wird, braucht er ein Umfeld und den Dialog. Denn kein Investor kann einen Standort alleine entwickeln. Es geht nur durch ein Miteinander aller Beteiligten. Und da sollte die Kommune gewährleisten, dass sich die einzelnen Investitionen in einen sinnvollen und nachhaltigen Rahmen einfügen. Über das Stichwort Nachhaltigkeit sind beide Seiten miteinander verknüpft und haben ein gleiches, qualitatives Verständnis. Die Baubranche ist viermal so groß wie die Automobilindustrie. Es wird gebaut, investiert und gestaltet. Es geht darum, eine Situation zu schaffen, die für alle Beteiligten Vorteile in der Nachhaltigkeit bietet. Und das schafft man am besten im Dialog. Vielfach sind die Eigentümer geradezu dankbar dafür, dass die Stadt diese koordinierende Rolle ein Stück weit übernimmt.

Zurzeit sind Sie bemüht, an der Viktoriastraße ein Einkaufszentrum zu realisieren. W ie stellt sich für Sie die Innenstadtsituation in Bochum jetzt und in Zukunft dar?
Die Innenstadtsituation war immer durch den Konkurrenzstandort Ruhrpark belastet. Dieser ist auf der grünen Wiese entstanden und kann nicht ignoriert werden. Wir haben hier in einem mehrjährigen Prozess eine Modernisierung beschlossen, die dazu führte, dass der Ruhrpark momentan für 80 bis 100 Millionen Euro umgebaut wird und eine andere Versorgungsstruktur erhält. Das bedeutet gleichzeitig, dass – wenn man kein Atoll hier in Bochum schaffen will – auch in der Innenstadt etwas verändert werden muss. Wir sind nun in der glücklichen Situation, dass die Justiz des Landes den Bau eines neuen Standortes unterstützt. Dadurch wird eine ein Hektar große Fläche in der Innenstadt frei. Wir haben eine sehr intensive Diskussion mit der IHK und dem Einzelhandelsverband zu der Frage geführt, wie wir dort ein ergänzendes Einzelhandelsangebot aufbauen können. Die Innenstadt selbst ist geprägt durch die kleinteilige Parzellenstruktur des Wiederaufbaus. Dort ist es kaum möglich, große Flächen anzubieten. Deswegen soll das Einkaufszentrum so gestaltet sein, dass wir ergänzende Nutzungen unterbringen können. Ein guter städtebaulicher Entwurf von der HBB Hanseatische Betreuungs- und Beteiligungsgesellschaft mbH organisiert das Ganze wie ein Quartier mit mehreren Höfen und Platzfolgen. Man kennt das aus Hamburg, Münster und München. Hinsichtlich der aktuellen starken Konkurrenz von Einzel- und Onlinehandel ist es für uns ganz entscheidend, den Erlebniswert in der Stadt weiterzuentwickeln. Bochum Marketing als städtische Wirtschaftsförderung tut das schon sehr erfolgreich mit unterschiedlichen Veranstaltungsformaten. Wir müssen schauen, dass uns diese Vielfältigkeit und die Ergänzung zum Bestand durch die neue Struktur weiter gelingen.

Das Internet und die globale Logistik sind tatsächlich belastende Entwicklungen für das städtisch-urbane und innerstädtische Gefüge. Haben Sie sich in Bochum schon strategisch damit auseinandergesetzt?
Wir stehen in einem regelmäßigen Dialog mit der IHK und dem Einzelhandel, in den auch Haus- und Grundbesitzer aus der Innenstadt mit eingebunden sind. Es geht nicht nur um Branchen oder einzelne Produkte, es geht auch um Parkmöglichkeiten, Erreichbarkeit, Rückvergütungssysteme, Veranstaltungsformate, Gastronomie, Öffnungszeiten usw. Wie schon gesagt, die Innenstadt konkurriert mit einem gut bewirtschafteten Einkaufszentrum, dem Ruhrpark. Von städtischer Seite haben wir in den Umund Ausbau der Straßen und Oberflächen investiert. Darüber hinaus wurde auch von den Eigentümern einiges getan, damit sich die Leute immer wieder in die Innenstadt begeben.

Gibt es Instrumente, durch die die Kleinteiligkeit der Eigentümerstruktur in andere Größenordnungen und Entwicklungspotenziale übertragen werden kann?
Das klassische Instrument dafür ist die Immobilienstandortgemeinschaft. Diese zu realisieren ist uns im ersten Schritt nicht gelungen. Aus meiner Sicht handelt es sich langfristig aber um das richtige Modell. Bei Bochum Marketing gibt es momentan Ansätze zu freiwilligen Lösungen und Kooperationsmodellen. Ob das auf Dauer funktioniert oder ob das Ganze nicht doch stärker institutionell zu verknüpfen ist, wird sich rausstellen. Keiner kann seinen Standort allein beeinflussen und die öffentliche Hand muss durch Mediation und Kommunikation erreichen, dass die Gemeinschaftsleistung organisiert wird. In der Hinsicht sind wir gut aufgestellt – sowohl auf sozialer als auch auf planerischer Ebene. Dazu existieren verschiedene Projektkreise, die sich beispielsweise mit der Universität, dem Stadtmarketing und der Außendarstellung der Stadt beschäftigen.

Kommen wir noch mal auf Opel zurück. W as haben Sie dort inhaltlich vor? Was erwarten Sie zukünftig für das Opel- Gelände?
Wir haben in Bochum drei Opel-Standorte. Zwei davon stehen noch als mögliche Logistikflächen für Opel zur Debatte. Auf der anderen Fläche werden ca. 30 Hektar übrig bleiben, die hochschulaffin genutzt werden sollen. Das heißt, dort werden sich zum Beispiel das Forschungsinstitut und eine Modellfirma der Universität ansiedeln. Aber Fort- und Weiterbildung kann sich nicht nur auf akademische Berufe beziehen, sondern auch auf eine duale Ausbildung. Es wird an diesem Standort also nicht nur um universitäre Fragestellungen gehen, sondern auch um Handwerk und Kleingewerbe. Dadurch wirken wir dem zukünftigen Fachkräftemangel, der auch durch den fortschreitenden demografischen Wandel bedingt ist, entgegen.

Ist die Universität für Bochum ein Glücksfall?
Ja, ohne Frage. Die Entscheidung in den 1960er-Jahren, die Universität hier zu gründen, war völlig richtig. Wissensorientierte Stadtentwicklung ist das entscheidende Stichwort. Denn die Industrie bleibt nur hier am Standort, wenn wir über entsprechende Forschungseinrichtungen verfügen. Das ist heute leider noch nicht der Fall und Opel geht genau deswegen weg. In dieser Richtung muss was passieren. Insgesamt kann die Akademisierung des Ruhrgebiets aber ohne Zweifel als Zukunft Bochums gesehen werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert