Strukturwandel beginnt im Kopf

Im Gespräch mit Prof. Dr. Hans-Peter Noll, Vorsitzender der Geschäftsführung der RAG Montan Immobilien GmbH

Herr Professor Noll, Sie sind verantwortlich für nahezu alle Liegenschaften des Steinkohlenbergbaus der RAG AG an Ruhr und Saar mit insgesamt über 10.000 ha – ausgenommen der Areale, die zu den drei aktiven Zechen in Ibbenbüren, Bottrop und Marl gehören. Hier handelt es sich in der Regel nicht um 1A-Lagen, aber die Standorte sind in den städtischen Kontext eingebunden. W ie gehen Sie mit der Revitalisierung der Flächen um?
Wir sind bemüht, aus den Brachflächen ein neues Stück Stadt zu schaffen und ihnen wieder Leben einzuhauchen. Unsere Flächen in den Regionen Ruhrgebiet und Saarland, mittelfristig auch im Tecklenburger Land, müssen entwickelt werden und wir versuchen, für jedes Areal die passende Nutzung zu finden, sowohl wirtschaftlich als auch raumplanerisch. Daraus entsteht natürlich eine unglaubliche Vielfalt von Nutzungsmöglichkeiten. Die Standorte haben Größen zwischen 2 und 200 ha und das, was wir hier planen, ist von Bedeutung, sowohl für die Entwicklung der jeweiligen Stadt, ihrer Lebensqualität als auch für die lokale bzw. regionale Wirtschaft. Daher ist es eine sehr vielfältige Tätigkeit.

Hinter den Entwicklungen der Flächen stecken sicher viele Begehrlichkeiten der betroffenen Kommunen. Wie gehen Sie damit um?
Es ist in der Tat eine interdisziplinäre Aufgabe, die unterschiedlichste Fakultäten betrifft. Die Aufgabe bezieht unheimlich viele Beteiligte mit ein: Politik, Verwaltung, Regionalverbände, Land, Bürger, Markt. Zwischen diesen müssen wir vermitteln. Man muss wissen, dass die Stilllegung eines Bergwerks zunächst eine Niederlage darstellt. Ein Betrieb wurde eingestellt und Menschen haben ihren Arbeitsplatz verloren. Für uns darf das dann kein Zeichen des Niedergangs, sondern muss ein Neubeginn sein. Strukturwandel beginnt im Kopf. Deswegen bespielen wir diese Standorte positiv in Zusammenarbeit mit den Kommunen. Denn wir brauchen die Akzeptanz und das Engagement der Menschen.

Die Entwicklung der Standorte ist ein langfristiger Prozess und wir können heute noch nicht mit Sicherheit wissen, wie der Markt in zehn Jahren aussehen wird. Das heißt, wir brauchen flexible Nutzungskonzepte und Bebauungspläne. Unsere Kunden zeigen erst Interesse, wenn wir die Flächen bereits aufbereitet und erschlossen haben. Mittlerweile gehen wir selbst auch einen Schritt weiter, investieren zunächst in die Entwicklung der Flächen und werden dann auch im Hochbau tätig.

Sie besitzen sehr viele Liegenschaften im Ruhrgebiet und im Saarland mit großem Potenzial. Worin besteht hier die Aufgabe bzw. die Verantwortung der RAG?
Die Verantwortung ist natürlich sehr groß. Denn wir wollen keine verbrannte Erde hinterlassen, da wo ein Betrieb stillgelegt wird. Wenn es der Region gut geht, dann sind unsere Flächen mehr wert. Und als Eigentümer haben wir selbstverständlich auch ein enormes Interesse daran, dass eine Region stark ist. Wir sehen uns an dieser Stelle mit unseren Standorten in der Verantwortung. Sie müssen regionalverträglich und marktgerecht entwickelt werden. Gerade das Thema Nachhaltigkeit ist uns sehr wichtig. Denn Grundlage von nachhaltigem Wirtschaften ist der bewusste Umgang mit der nicht vermehrbaren Ressource Boden – eben das Flächenrecycling, unsere Kernkompetenz. Wir gehen nicht in den Freiraum, sondern nutzen die Brachflächen der Industrie und bringen sie zurück in den Wirtschaftskreislauf. Das ist zutiefst nachhaltig.

Lassen sich die Ü berlegungen aus Ihrer unternehmerischen Perspektive mit den Erwartungen und W ünschen der kommunalen Ebene vereinbaren?
Nicht immer. Denn als regional bedeutsamer Flächeneigentümer verfolgen wir selbstverständlich einen regionalen Ansatz. Zum Beispiel gibt es ein Joint Venture mit dem Duisburger Hafen, mit dem wir die Gesellschaft logport ruhr GmbH gegründet haben. Damit wollen wir ausgesuchte, regional bedeutsame Logistikstandorte im Ruhrgebiet entwickeln. Das ist strategische Regionalentwicklung. Die muss nicht unbedingt mit einer lokalen und kommunalen Sicht übereinstimmen – darüber gibt es durchaus schon mal Diskussionen. Aber eine Auseinandersetzung ist für uns sehr wichtig, das gehört zu unserer Strategie. Am Ende des Tages muss es über die gesamten Entwicklungsziele einer Fläche eine gewisse Übereinkunft geben. Deshalb stärken wir auch ganz massiv den RVR, den Regionalverband Ruhr, als regionale Einheit in der Wirtschaft und Planung. Allerdings gibt es in solchen Prozessen auch schon mal Niederlagen: So hätte ich immobilienwirtschaftlich gerne schon vor Jahren in der Region ein Factory-Outlet auf einen Bergwerksstandort gesetzt. Das wäre für unser Grundstück eine hohe Wertschöpfung gewesen. Ich musste aber erkennen, dass solche Projekte hier im Ruhrgebiet planungsrechtlich und regionalökonomisch von der Seite der Politik und Stadtentwicklung nicht gewollt sind. Von diesem Vorhaben haben wir uns daher wieder verabschiedet.

Entspricht es der aktuellen und zukünftigen W irklichkeit im Ruhrgebiet, dass die kommunale Stadtentwicklung das Notwendige nicht mehr leisten kann?
Ja, so ist es. Ich denke, dass sich dort zukünftig viel verändern muss. Es müssen in den Kommunen neue Prozesse in Gang gebracht und neue Lösungen gefunden werden. Mit unseren Entwicklungen können wir ein Stück dazu beitragen, den Strukturwandel voranzutreiben. 200 Jahre Bergbaugeschichte haben hier in der Region Spuren hinterlassen: Durch die Industrialisierung wurde das Ruhrgebiet zu einem prosperierenden Ballungsraum, der sich immer wieder den Anforderungen des gesellschaftlichen und technischen Wandels stellen muss. Aber Strukturwandel ist kein dynamischer Selbstläufer, man muss mit den Hinterlassenschaften verantwortungsvoll umgehen und die Menschen mitnehmen. Die Kommunen müssen sich auch diesen teilweise schwierigen Fragen stellen und dabei auch regionalpolitisch denken lernen.

Welche Projekte sind in der regionalen Entwicklung momentan sinnvoll?
Alle Projekte, die die regionale Entwicklung stützen und wirtschaftlich tragfähig sind – unabhängig von den kommunalen Grenzen. Da, wo politische Wünsche erfüllt werden sollen und eine Wirtschaftlichkeit nicht gegeben ist, müssen Fördermittel eingesetzt werden. Ziel ist es, dass jede vorhandene Fläche wieder eine sinnvolle Nutzung erhält und in den Wirtschaftskreislauf aufgenommen wird. Das heißt, auch wenn wir verschiedene Projekte auf Brachflächen nicht realisieren können, versuchen wir dafür eine neue Funktion mit Mehrwert zu finden. Zum Beispiel in Form von Biomasseparks in Stadtparkqualität, die natürlich auch die Quartiere aufwerten und langfristig andere Entwicklungen vorbereiten können. Über die einfache Flächennutzung hinaus wollen wir auch Zukunftsstandorte entwickeln. Damit nehmen wir unsere soziale, regionalpolitische Verantwortung wahr.

Was sind die Grundlagen, auf die sich die RAG Montan Immobilien (oder ihr Unternehmen) investiv beziehen kann?
Wir haben unternehmerisch die günstige Situation, dass der Gesellschafter, die RAG AG, keine Ergebnisabführung verlangt. So können wir Eigenkapital bilden und für unsere Projektentwicklung einsetzen. Aber auch bei der Kapitalbeschaffung haben wir gute Erfahrungen gesammelt mit regional operierenden bzw. genossenschaftlich organisierten Kreditinstituten, die – genauso wie wir – ein Interesse an der Entwicklung der regionalen Wirtschaft haben.

Aber wir haben natürlich auch ein sehr interessantes Portfolio in Bezug auf Vermietung und Verpachtung. Letztlich sind wir bei allen lokalen und regionalen Verwobenheiten immer noch ein Wirtschaftsunternehmen. Am Ende des Jahres müssen wir schwarze Zahlen schreiben, auch um unser eigenes Potenzial nicht zu schwächen.

Wie sieht Ihre Schnittstelle zur Immobilienwirtschaft aus, wer sind da Ihre Partner?
Je nach Standort und Lage sind es Projektentwickler. An dieser Stelle haben wir uns aber weiterentwickelt und arbeiten viel mit unserem eigenen Potenzial. Hauptkunden sind zum Beispiel Handwerksbetriebe und die mittelständische Wirtschaft. Während wir in den letzten Jahren bei Wohnflächen viel mit Bauträgern zusammengearbeitet haben, veräußern wir Flächen nun eher an Endkunden. Im günstigsten Fall erfolgt eine breite Aufstellung über die komplette Wertschöpfungskette. Wichtig ist für die Leistungsfähigkeit von Projekt- und Regionalentwicklung auch die Integration aller von der Planung Betroffenen. Ohne das geht es heute gar nicht mehr. Wir brauchen die Politik, die Verwaltung und die Bürger. Transparenz und Seriosität ist in dieser Beziehung der Schlüssel. Das ist manchmal sehr anstrengend, für uns aber alternativlos.

Wie würden Sie die RAG beschreiben – als Regionalentwickler?
Ich glaube, sie ist ein regionaler Flächenentwickler mit einer hohen Wandlungskompetenz. Alle Regionen dieser Erde verändern sich. Das heißt, es wird zukünftig vermehrt um Wandlung gehen. Der klassische Immobilienentwickler fängt an, wenn wir fertig sind. Wir kümmern uns um alle Prozesse davor. In Bottrop versuchen wir zum Beispiel gerade gemeinsam mit der Innovation City GmbH – und das ist wirklich einmalig – eine nachhaltige Stadt zu bauen und diese Frage im Bestand zu beantworten. Nicht nur energetisch ertüchtigt, sondern auch als Prozessoptimierung in Bezug auf Wohnung, Gebäude, Straßenzug und Stadtteil. Die Erfahrungen, die dort in der „Innovation City“ gemacht werden, wollen wir auch auf andere Standorte übertragen. Dieses Know-how kann man weltweit verkaufen.

Wo sehen Sie das Ruhrgebiet im Wettbewerb? Was kann es in Zukunft leisten?
Es handelt sich erst mal um einen sehr vielfältigen Lebensraum mit einer unglaublichen Fülle an Standorten. Das Ruhrgebiet bietet eine Vielfalt an Themen, an Situationen, an Räumlichkeiten und lokalen Gegebenheiten, wie sie weltweit einzigartig ist. Es ist eine sehr ruppige Region, die sich nicht jedem sofort erschließt. Hier müssen Sie die einzelnen Standorte kennen und sich auch mal überraschen lassen. Durch die Industriekultur und Standorte wie die Zeche Zollverein hat das Ruhrgebiet eine unglaubliche Kraft und kann daraus auch Zukunftsbilder erzeugen. Es gibt hier viele Potenziale, die aber auf regionaler Ebene organisiert werden müssen. Damit stehen wir an einem Scheideweg. Die Entscheidung für eine konkrete Richtung muss viel bestimmter getroffen werden. Wir brauchen eine Re-Industrialisierung. Wir brauchen eine Diskussion: Wie organisiere ich Energie, Mobilität, Erholung, Kultur? Das, was wir als RAG Montan Immobilien tun, ist nicht nur unsere Sache, sondern ein Zusammenspiel vieler Akteure. Mit unserer Fläche alleine können wir gar nichts machen. Erfolg hat man nur zusammen. Auch da muss das Ruhrgebiet Beispiel für viele andere Regionen sein. Die Kommunikation ist hier schon etwas sehr Besonderes.

Wo steht die RAG Montan Immobilien in zehn Jahren?
Wir sind ein Unternehmen, das durch seine Einbindung im RAG Konzern zuverlässig zu der Verantwortung der Hinterlassenschaften des Bergbaus steht und diese Region damit nicht alleine lässt, sondern die Probleme auch zukünftig beispielhaft lösen wird. Wir sind, ausgehend von unseren Bergbauhinterlassenschaften, durch unsere Wandlungsfähigkeit ein anerkanntes, besonderes Immobilienunternehmen.

Was ist Ihr persönliches Ziel?
Ein großes persönliches Ziel habe ich mir vor zwei Jahren erfüllen dürfen, indem wir den Neubau unseres Unternehmenssitzes auf das Gelände des UNESCO-Weltkulturerbe Zollverein gesetzt haben. Auch dort sind wir also Pioniere auf dem Weg zur Entwicklung der Fläche als Büroimmobilienstandort. Das zweite Ziel ist es, für dieses Unternehmen eine ökonomische Basis zu legen, die langfristig sinnvoll für die Region und für unsere Mitarbeiter ist.

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