PAKETSTRÖME DER ZUKUNFT

Im Gespräch mit Frank Weber, Head of Industrial Agency Germany bei Jones Lang LaSalle

Die Logistikbranche prosperiert derzeit wie kaum eine andere Branche. Wird sich dieser Trend weiter fortsetzen?

Die Logistikbranche ist eine Branche, die im Dienstleistungsbereich angesiedelt werden kann. Es ist schwierig, sie definitionsmäßig genauestens einzugrenzen. Sollte das Transportgewerbe beispielsweise, also die Dienstleistung eines Lkw, die zweifelsohne Teil der Logistik ist, als eigenständige Branche angesehen werden oder nicht? Da gibt es einige definitorische Unklarheiten und Unstimmigkeiten. Einvernehmlich lässt sich trotzdem sagen, dass der Bereich der Logistik volkswirtschaftlich gesehen derzeit den drittgrößten darstellt, was Umsatz betrifft und Zahl der Beschäftigten angeht. Trotzdem würde ich nicht mit Sicherheit sagen wollen, dass dieser Erfolgstrend weiter anhält. Denn er beruht auf zwei unterschiedlichen Dienstleistungssegmenten: auf der Produktionslogistik, also derjenigen Logistik, die unsere Fabriken mit Waren versorgt. Und auf der Distributionslogistik, die weitgehend den Konsumenten betrifft. Die Voraussetzung für den Gesamterfolg ist also vor allem eine boomende Wirtschaft. Und die kann nicht garantiert werden.

Bleiben wir einmal bei der Distributionslogistik, dem Konsummarkt sozusagen. Das Dienstleistungsgeschäft wurde vor allem vom E-Commerce-Handel stark befördert. Sehen Sie hier noch weiteres Entwicklungspotenzial oder erreichen wir bald eine Art Sättigungspunkt? 

Wir verzeichnen seit Jahren ein kontinuierliches Wachstum im E-Commerce-Sektor von 10 bis 15 Prozent. Wir zählen 2,8 Milliarden Pakete, die in Deutschland pro Jahr bewegt werden, das hängt natürlich zu einem großen Teil mit dem E-Commerce-Handel zusammen. Der Anteil vom Einzelhandelsumsatz, der online abgebildet wird, beträgt mittlerweile etwa 50 Milliarden Euro Warenvolumen. Das ist sehr stark verbrauchergetrieben, aber wir dürfen nicht vergessen, dass es zunehmend auch B2B-Plattformen, also Handelsplattformen, gibt, die ihre Dienstleistungen und Angebote ebenfalls online abbilden. Und mehr Online-Anteil bedeutet mehr entsprechende Logistikstrukturen und mehr Logistikaufwand. Fazit: Wir sehen hier definitiv weiterhin eine starke und boomende Entwicklung und gehen davon aus, dass dieser Trend weiter zunehmen wird. Das Paketvolumen wird sich in den nächsten zehn Jahren noch einmal annähernd verdoppeln.

Mehr Online-Anteil bedeutet mehr entsprechende Logistikstrukturen und mehr Logistikaufwand. Das Paketvolumen wird sich in den nächsten zehn Jahren noch einmal annähernd verdoppeln.
Frank Weber, Jones Lang LaSalle

Stichwort „Predictive Analytics“ im Logistikbereich, also antizipierende Logistiken, die auf Grundlage von „Big Data“ vorausschauende Informationen für die Prozessoptimierung generieren. Entwerfen Sie tatsächlich solche Szenarien, die vor dem Bestellvorgang ablaufen?

Die Beschäftigung mit „Predictive Analytics“ oder der Vorhersageanalyse wird tatsächlich immer besser und auch wichtiger. Bei Amazon wird ja bereits ersichtlich, wie damit gearbeitet wird. Der Algorithmus weiß, was ich zuletzt bestellt habe, und zeigt mir entsprechende Angebote bei meiner nächsten Suche sofort an. In Zukunft wird durch diese immensen Datenvolumina, die da entstehen, das Kaufverhalten immer besser vorhersagbar sein. Es wird eine höhere Transparenz geben sowie eine höhere Vernetzung zwischen all den unterschiedlichen Datensätzen, die generiert werden. Daraus werden wiederum neue Zustellungs- und Logistikmodelle abgeleitet. Die Unternehmen werden wissen, dass dienstags oder mittwochs das Produkt A stärker nachgefragt ist als Produkt B. Entsprechend wird sich der Warenbestand auf diese Tage konzentrieren und es werden sich Transportmittel danach ausrichten lassen. Das geht sehr stark einher mit dem Online-Bestellverhalten, denn nur das ist entsprechend nachvollziehbar. Im Offline-Handel, beim Metzger um die Ecke beispielsweise, sind solche Methoden weniger möglich.

Nun gibt es die großen Verteiler-Knotenpunkte in Deutschland, Sie sprechen meist von den „Großen Fünf“. Welche Bedeutung haben die in diesem System des Umverteilens? 

In der Regel haben diese „Big Five“, also Logistikzentren nahe den bevölkerungsreichsten Städten und Regionen in Deutschland, keine zentrale Verteilerfunktion. Logistisch haben sie nur eine Funktion, nämlich die Ballungsraumversorgung mit dem Warentransport zum Kunden. Für die zentrale Lagerung und Verteilung befinden sich die großen Online-Retailer deshalb in Regionen um Kassel, Bad Hersfeld oder Erfurt. Hier finden wir eine größere Fläche vor, gleichzeitig liegen diese Zentren in Regionen, die ideal für die sogenannte Nachtsprung-getriebene Verteilung ist. Nachtsprung bedeutet, dass die Ware über Nacht von diesem einen Standort zum anderen gefahren und am nächsten Morgen von dort direkt an den Kunden verteilt werden kann. Der Vorteil solcher Nachtsprung-Zentren ist also, dass die Ware innerhalb von acht Stunden – in einer Lkw-Schicht – bis in alle relevanten Verteilzentren gelangt, darunter in die „Big Five.“

Bleiben wir bei diesen letzten Kilometern, der sogenannten „letzten Meile.“ Welche Probleme, Lösungen und Trends sehen Sie hier?

Fläche, Fläche, Fläche ist ein Problem! Es fehlt besonders an Lagerfläche. Eigentlich ist die „letzte Meile“ margenmäßig die interessanteste auf der Logistikreise, sie ist das Geschäft von DHL und Co. Transport- und Spritkosten – beispielsweise für Brennstoff – werden allerdings teurer und erschweren das Geschäft. Ein zweiter Trend ist, dass die Städte den Verkehr immer mehr eindämmen wollen, um sie vom Dieselverkehr frei zu halten. Waren sollen also zunehmend ökologisch und fair ausgeliefert werden. Ein dritter Trend: Immer mehr Menschen werden online Waren bestellen, also wird auch immer mehr Ware in die Städte reingehen. Und viertens: Die Waren, die reingehen, sind nicht gleich denen, die rausgehen. Wir haben eine Versorgung in die Stadt hinein und eine Entsorgung aus der Stadt hinaus. Das heißt, in Zukunft muss es eine höhere Kompatibilität und Konnektivität zwischen Ver- und Entsorgungsströmen geben, um mit diesen immensen Paketvolumina und Stoffmengen umgehen zu können. Die „letzte Meile“ ist also ein super spannungsgeladenes Feld, was uns die nächsten Jahre weiter stark beschäftigen wird.

Wie schätzen Sie logistische Experimente wie beispielsweise Drohneneinsätze ein?

Wir dürfen die Auslieferung nicht nur auf leichtgewichtige Waren begrenzen. Häufig wird im Logistikbereich auch immer noch ein Gabelstapler gebraucht, um zum Beispiel manuell Daten zu erfassen. Bei Inventuren ist das meist der Fall. Das ist unheimlich langwierig. In diesem Bereich sind Drohnen bereits in der Erforschung und teilweise sogar im Einsatz. Drohnen im Inventur- und Lagerbereich, da sehe ich ein Einsatzgebiet.

Was bedeutet das aber für die Städte? Was kann die Logistikbranche den Städten anbieten, um die Frage nach Fläche in den Griff zu bekommen?

Wir sind ja bereits auf einem entsprechenden Weg, wenn wir uns beispielsweise den künftigen Gebietstyp in der novellierten Baunutzungsverordnung ansehen, das „Urbane Gebiet.“ Es wird versucht, in der Stadt die verschiedenen Nutzungen besser zu verteilen und verträglicher untereinander zu gestalten. Es finden auch zunehmend Runde Tische statt, wo Kooperationsmöglichkeiten zwischen Stadt und Logistik diskutiert werden. Die Kommunen werden in Deutschland sicherlich sehr viel Druck machen, um die Logistikbranche dazu zu bewegen, wesentlich bessere und engere Kooperationsmodelle hinsichtlich der Verteiler-Struktur zu entwickeln. Schließlich wird es verkehrsprojektübergreifende Lösungen geben, das heißt, Fracht-U-Bahnen oder die gute alte Rohrpost könnten wieder zum Einsatz kommen. Für die großflächige Paketverteilung gibt es den Gedanken mit unterirdisch vernetzten Aufzügen, die quasi nach Fahrplan die Ware unterirdisch an den jeweiligen Ort transportieren und mit Grünstrom angetrieben werden.

Das Paket dient dem Menschen, nicht der Mensch dient dem Paket.
Frank Weber, Jones Lang LaSalle

Sind das Ihrer Meinung nach Modelle, die wirklich Substanz haben oder sind das modische Experimente?

Wenn wir wirklich ernst machen wollen mit der Ökologisierung des Verkehrs, Stichwort Nachhaltigkeit und E-Mobilität, dann wird es nicht anders gehen, als dass wir die Ware vor allem näher ran bringen an den Kunden, und das durch Parallel-Infrastrukturen und Röhrensysteme, die verkehrs- und straßenunabhängig Zustellungen möglich machen. Hierfür muss es natürlich entsprechende Investitionen oder Projektträger geben, die sich gemeinsame Finanzierungsquellen erschließen, um solche Vorhaben zu realisieren.

Wagen Sie einen Blick in die entferntere Zukunft: Wenn Sie den Logistikbereich für die nächsten 20 Jahre beschreiben sollen, welche Vision haben Sie? 

Es wird viele Online-Logistikflächen-Plattformen geben, die zeigen, wo und wie sich die Verfügbarkeit verteilt. Ein Pool an Lagerflächen, die online angeboten und vermietet werden können, Airbnb im Logistikbereich sozusagen. Da gibt es auch bereits Player, die langsam aber sicher den Markt durchdringen. Außerdem werden Logistikkosten zu 70 Prozent aus Personal- und Transportkosten getrieben, also muss an diesen beiden Stellschrauben gedreht werden. Deshalb wird meiner Meinung nach in naher Zukunft alles nur noch hochautomatisiert und standardisiert ablaufen. Es wird weniger Menschen in einem solchen Logistiklager geben und auch die Zustellung funktioniert teilweise mithilfe von fahrerlosen, autonomen Fahrzeugen. Ich denke, es wird zwei Infrastrukturen geben: die für den privaten und die für den Warenbereich. Eine Mobilität, bei der der Verkehr an einem Tag für abnehmende fossile und am nächsten für elektronisch angetriebene Fortbewegungsmittel geöffnet ist. Für Letztere wird sich ein zweiter Energieversorgungspark aufgebaut haben, der durch Wind und Solar betrieben wird.

Im Grunde können wir uns unsere Straßensysteme in Zukunft also vorstellen wie große Gleiskörper, die über elektronische Wege alle mobilen Einheiten steuern. Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Entwicklung der Innenstädte?

Es wird neue, stadtverträgliche Infrastrukturen geben – noch einmal das Stichwort Rohrpost. Die ist von den Abläufen her am kompatibelsten mit dem menschlichen Alltagsleben und wird an Knotenpunkten wie Bahnhöfen zugänglich sein. Menschen werden die Möglichkeit haben, sich in Echtzeit über den Verbleib ihres Pakets zu informieren. So können Pakete völlig losgelöst von bisherigen Auslieferungstechnologien an den geeigneten Stellen entgegengenommen werden. Alles andere – zum Beispiel Drohnen – halte ich für illusorisch. Es erscheint mir deshalb sinnvoll, diese Paketströme zu betrachten wie ein U-Bahn-System. So wird jede Wohnung künftig eine Paketempfang-Struktur haben, die Stadtplaner oder Architekten mitdenken werden. Sie werden ihre Planung nicht mehr für Menschen machen wie bisher, sondern sie werden für Waren planen, für Güter. Es wird zu einer immer höheren Verdichtung kommen, durch die es schließlich darum gehen wird, die Paketströme so gut wie nur möglich in den normalen Tagesrhythmus eines Menschen einzubauen, um keinen Mehraufwand mehr zu haben. Das Paket dient dem Menschen, nicht der Mensch dient dem Paket!

Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.

Das Interview führte Johannes Busmann


Frank Weber

leitet seit Oktober 2015 das Industrial Agency Team bei Jones Lang LaSalle in Deutschland. Seine berufliche Laufbahn begann der Jurist und Anwalt 1994 bei Vattenfall in Deutschland. Sein Schwerpunkt lag auf der Revitalisierung, Entwicklung und Vermarktung von großen Industriearealen in Ostdeutschland. Beginnend 2011 konzentrierte sich Frank Weber auf Projektentwicklungen mit Schwerpunkt Energieeffizienz und -beratung. Von 2013 bis 2015 verantwortete er das Vertragswesen und die Kühlhauslogistik der DIBAG Industriebau AG, dem Kernunternehmen der Doblinger Unternehmensgruppe.

Foto © Rainer Holz

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