Wer in den späten Zwanzigern das Bauhaus in Dessau besuchte, wurde von einem Gebäude begrüßt, das man in der Form noch nie gesehen hatte: eine Ansammlung weißer Quadrate und Rechtecke, Wände aus Glas, und ein augenscheinlich fehlendes Dach. Angesichts der neoklassizistischen Bauten, die zeitgleich in Deutschland errichtet wurden, kann man diesen stilistischen Spalt als symptomatisch für die gesellschaftliche Konstitution des frühen 20. Jahrhunderts begreifen.
Es gibt viele mögliche Narrative, die das Bauhaus in seinen historischen Kontext einordnen. Einige würden sicherlich auf die Entwicklung der Industriegesellschaft Bezug nehmen. Die Industrialisierung wandelte europäische Gesellschaften grundlegend. Das geschah vor allem durch die Vielzahl der transformierten Lebensbereiche: Arbeit, Familie, Wohnen, Kunst, und vieles mehr. Die Weltkriege kann man – ganz oberflächlich – als gesellschaftlichen Versuch der Rückkehr zu vermeintlich einfacheren Vergangenheiten verstehen.
Nach dem Ersten Weltkrieg ist Deutschland an einem Nullpunkt. Die völkischen Ideale sind mit dem Niedergang der Hohenzollern zerschlagen und können nur noch durch die „Dolchstoßlegende“ wiederbelebt werden. Nach Verdun und später Versailles entsteht nun die Weimarer Republik. Von 1919 bis 1933 ist die Weimarer Republik eine der einflussreichsten und kulturell kreativsten Perioden des 20. Jahrhunderts. Nach einer Phase der Zensur während des Ersten Weltkrieges entlädt sich die aufgestaute künstlerische Expressionslust unter anderem in Literatur, Kunst, Film und Architektur. Das Bauhaus ist die wohl einflussreichste Gestaltungsschule des 20. Jahrhunderts. Der Begriff „Schule“ ist dabei im doppelten Sinne der Lehrinstitution einerseits und intellektuellen Gruppe andererseits zu verstehen. Doch wer versammelt sich eigentlich unter diesem Namen? Sozialisten, Utopisten, Zionisten und Internationalisten arbeiten als Künstler, Fotografen, Kostümdesigner, Architekten, Stadtplaner, Weber, Töpfer, Designer und Erzieher. Ein Kernanliegen dieser Gruppe ist ein dynamischer Ansatz bei Lehrmethoden sowie ein besonderes Verständnis der Beziehung zwischen Kunst und Handwerk. Walter Gropius, der Gründer des Bauhaus und seinerseits Architekt, ist der Ansicht, die Kunst habe ihre Funktion in der Gesellschaft verloren. Entsprechend sollte das Bauhaus alle Formen der Kunst umfassen und Design für den Alltag produzieren. Dazu reduziert das Bauhaus die Kunst auf die blanke, freigelegte Idee, die dann nach Belieben verändert, angepasst und umgedacht werden kann.
Von Zeitgenossen werden Ästhetik und Philosophie des Bauhaus nicht nur positiv aufgenommen. So witzelt zum Beispiel der Kunstmaler Hermann Rombach in einer Karikatur über das Ideal des Neuen Menschen, der neben Sportgerät in seiner spärlich eingerichteten, farblosen Wohnung sitzt. Aus dem Fenster sieht man identische Reihenhäuser und im Hintergrund die qualmenden Schornsteine einiger Kraftwerke.
Gropius’ Ethos, in dem er die Maschine als Motor der Moderne begreift, wird also gesamtgesellschaftlich betrachtet nicht euphorisch aufgenommen. Kulturelle Erzeugnisse wie Fritz Langs „Metropolis“ von 1927 zeugen von einer eher ambivalenten Haltung gegenüber der modernen Industriegesellschaft. Im Nationalsozialismus überwiegt dann letztendlich die Verunsicherung und erneut flüchten sich Teile der Gesellschaft in völkische Allmachtsphantasien.
Die Geschichte der Weimarer Republik ist auch die Geschichte des Bauhaus. Umrahmt von zwei Weltkriegen kann man seine historische und ästhetische Entwicklung nur im Kontext ersterer begreifen. Das Bauhaus stand für ein in Deutschland mehrheitlich abgelehntes Gesellschaftsideal, welches die Industrialisierung und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Wandel nicht als Gefahr, sondern als mit künstlerischen Mitteln zu nutzende Chance begriff.
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