
© Klaus Englert
Die CAD-Technik machte vieles möglich, wovon die Avantgardisten des Bauhauses nur zu träumen wagten. Man denke nur an die einstürzenden Neubauten eines Frank O. Gehry oder die neoexpressionistische Architektur von Coop Himmelb(l)au.
Ein Meilenstein in dieser Entwicklung war das Jahr 2000. Damals errichtete Werner Sobek am Hang des Stuttgarter Talkessels ein Wohnhaus, dessen Glashülle ein alter Traum der modernen Architekten war. Doch nicht die kubische Glashaut war revolutionär, wirklich epochal war die Anwendung smarter Technologie, die das Wohnen in dem Glashaus, das Sobek einfach R 128 nannte, zu einem ungekannten Erlebnis machte.
Sobeks Ziel war nichts weniger als die Revolution des Wohnens mithilfe neuester Technik. Mit einer Technik, die dem Bewohner dienen sollte. An oberster Stelle steht im „Haus Sobek“ der Wohnkomfort. Ein Leben ohne Türgriffe und Lichtschalter. In dem hochmodernen Glashaus regeln Leuchtdioden die Herd- und Wassertemperatur. Über Infrarotsender wird das Licht ein- und ausgeschaltet, während die Türen dem Kommando der Bewegungssensoren gehorchen. Das R 128sollte das erste Wohnhaus sein, das ein Maximum an Wohlfühlklima erzeugt. Rückblickend lässt sich sagen, dass Sobek damals das erste smart house errichtet hatte.
Doch der Weg zum smart home sollte noch eine Weile dauern. Er startete zu einem Zeitpunkt, als der Kühlschrank mit dem Auto zu kommunizieren begann. Plötzlich wurden die Dinge autonom. Im Gegensatz zum smart house, das noch an physische Parameter geknüpft ist, befreit sich das smart home von derartigen Beschränkungen. Hier können Menschen mit beliebigen Dingen kommunizieren, und vor allem: Die smarten Geräte kommunizieren untereinander, jede physische Grenze des smart home wird aufgehoben. Ein Nutzer ist dann gar nicht mehr notwendig. Der Eigentümer eines Hauses oder der Fahrer eines Autos geben peu à peu ihre Selbstständigkeit und Kontrollbereitschaft an eine smarte Dingwelt ab. An dieser Stelle beginnt eine Überwachung, die nicht mehr von den Nutzern – traditionell gesprochen: von den Subjekten – ausgeht.
Smart home war noch auf den gewohnten Umkreis der jeweiligen Nutzer beschränkt. Dagegen ist die smart city die konsequente Weiterentwicklung von smart house und smart home. Sind die technischen Möglichkeiten erst einmal vorhanden, dann ist es allenfalls eine Frage politischer Ethik, ihnen Beschränkungen auferlegen zu wollen. Die technologische Logik beschäftigt sich allerdings nicht mit derartigen Problemen. Sie drängt darauf, sich benachbarte Felder einzuverleiben. Deswegen ist die smart city, die Übertragung smarter Technologien auf das gesamte städtische Umfeld mitsamt Infrastruktur, in dieser Entwicklungslogik inbegriffen.
Hinter dem Rücken der Nutzer hat sich ein globales Überwachungssystem aufgebaut. Ein System, das umso perfekter funktioniert, als es mit dem Einverständnis eines großen Teils der Bevölkerung rechnen kann. Der amerikanische Stadtplaner Adam Greenfield, der das urban computing in die Stadtplanung eingeführt hatte, sagte einmal über seine Landsleute: „In den Vereinigten Staaten vertraut man einzig konventionellen Technologiekonzernen wie Facebook. Diese Technologien beeinflussen mein alltägliches Verhalten in der Stadt, meine Freiheit. Unsere Erfahrung von Stadt ist vorab von ihnen geprägt.“
In Deutschland gibt es etliche Erfahrungen mit smart cities, etwa das EU-Projekt Smarter togetherdas in München durchgeführt wird. Der das Projekt betreuende Stadtplaner Klaus Illigmann kennt sehr gut ihre Schattenseiten: Die chinesischen smart cities, die ein perfektes Überwachungssystem installierten, das die Daten von knapp einer Milliarde Menschen erfasst. Dort gehen privatwirtschaftliche Interessen, etwa die von Tencent, der die Kurznachrichten-App Wechat herstellt, mit denen staatlicher Behörden Hand in Hand.
In Deutschland gibt es glücklicherweise einige Vorbehalte, distanzlos den amerikanischen oder chinesischen Vorgaben zu folgen. Denn im europäischen Kontext gilt weiterhin die in der Öffentlichkeit wenig bekannte „Leipzig Charta über die nachhaltige europäische Stadt“, die auf eine integrierte Stadtentwicklungspolitik und eine Aufwertung benachteiligter Stadtquartiere setzt. Als Weiterentwicklung des 2007 von den Vertretern der 27 EU-Mitgliedsstaaten unterschriebenen Vertrags entstand schließlich 2017 die deutsche „Smart City Charta“. In ihr steht der denkwürdige Satz: „Kommunen sollen Akteure der Stadtentwicklung und Digitalisierung werden und bleiben.“
Die Frage ist: Wie verändern die smarten Technologien den Stadtraum? Es ist hinlänglich bekannt, dass viele einst europäisch geprägte Städte in den Vereinigten Staaten heute kaum noch wiederzuerkennen sind. Die früher pulsierende, multiethnische Market Street in San Francisco hat sich binnen weniger Jahre von Grund auf verändert. Heute dominieren dort Apple, Twitter, Uber, der Social-Media-Anbieter Yammer und der Musikstreaming-Dienst Spotify. Unweit davon siedelten sich natürlich auch die üblichen Verdächtigen Microsoft und Google an. Das alte, immer etwas chaotische San Fran wurde peu à peu von den white collars der IT-Intelligenz unterwandert.
Schon heute geht der Einfluss, den die IT-Branche auf das hat, was unser Verständnis von Stadt ist, so tief, dass derartige Veränderungen gar nicht infrage gestellt werden. Adam Greenfield, der in New York die Agentur Urbanscale gründete, propagiert heute den „Kampf um die die Seele der smart city“. Damit meint er: Das Handlungsfeld darf nicht den großen amerikanischen Konzernen überlassen werden, vielmehr komme es darauf an, nach der Rolle des einzelnen Bürgers zu fragen. Denn die individuellen Nutzer sollten imstande sein, Gestalt und Funktionsweise einer smart city nach ihren Interessen mitzubestimmen. Eine Open-Source-Plattform, an der sich jeder Bürger beteiligen kann, würde beispielsweise dazu beitragen, den öffentlichen Nahverkehr benutzerfreundlicher zu machen. Eine auf Bürgernähe angelegte Online-Plattform käme zweifellos auch den Kommunen zugute, die so manche sachfremde Expertise einsparen könnte. Schließlich würde sich ihre Abhängigkeit von den großen Internetkonzernen verringern. Dieser Schritt wäre eine reelle Chance für eine – ökologische und demokratische – smart city.
DR. PHIL. KLAUS ENGLERT
ist Buchautor und Architekturkritiker für Rundfunk und Presse. Zu seinen zuletzt erschienenen Werke Publikationen gehören „Wie wir wohnen werden. Die Entwicklung der Wohnung und die Architektur von morgen“ (2019), und der „Architekturführer Barcelona“ (2018). Von 2002 bis 2013 war er als Berater der Entwicklungsgesellschaft Zollverein in Essen tätig.
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