
v. l. Annelen Schmidt-Vollenbroich und Ana Vollenbroich © Berenika Oblonczyk
Ihr kennt euch seit dem Studium und teilt die Leidenschaft für Architektur und insbesondere für Bestandsimmobilien. Welchen Mehrwert seht ihr in dieser Immobilienklasse?
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Die Bausubstanz in Deutschland ist grundsätzlich sehr gut. Bauen im Bestand ist für uns vor allem ein nachhaltiger Ansatz, denn mit einer soliden, bereits vorhandenen Gebäudestruktur arbeiten zu können, lohnt sich in der Regel immer. Natürlich kann auch ein Neubau nachhaltig sein, doch in vielen Fällen ist z. B. die Ausnutzung eines Bestandsgebäudes effizienter größer als beim Neubau. Infolgedessen kann mehr Fläche generiert und somit nachhaltiger geplant werden.
Nachhaltigkeit spielt mittlerweile auch in der Immobilienbranche eine zentrale Rolle. Stand das Thema von Beginn an im Mittelpunkt eurer Arbeit?
Ana Vollenbroich: Ja. Bereits im Rahmen unserer Abschlussarbeit gehörten wir zu den wenigen Gruppen, die sich für den Erhalt und den Umbau einer Bestandsimmobilie aussprachen. Insofern war es schon immer unser Ziel, ein Stück Geschichte in die Zukunft zu tragen.
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Ich selbst hatte schon immer einen besonderen Blick für Baugeschichte und Baukultur. Die Entscheidung zum Abriss wird viel schneller gefällt, anstatt zunächst über die vorliegenden Gegebenheiten nachzudenken. Mangels baugeschichtlicher Kenntnisse werden infolgedessen interessante Ausgangsbedingungen und -aspekte übersehen. Gebäude sind häufig auch Zeitzeugen einer besonderen Epoche. Aus dieser Perspektive bedeutet Nachhaltigkeit für uns z. B. auch, Baukultur zu erhalten.
Beobachtet ihr, dass der Erhalt von Baukultur generell wieder an Bedeutung gewinnt – auch vor dem Hintergrund der Kritik, dass unsere Städte zunehmend gleichförmig aussehen?
Ana Vollenbroich: Die Bewahrung von Baukultur führt zweifelsohne zu einem vielfältigeren Stadtbild. Besonders im Falle der Nachkriegsarchitektur und Gebäuden, die mit dem Image des „Muffs der 50er Jahre“ zu kämpfen haben, gilt es, Vorurteile abzubauen. Wir interpretieren diese Epoche lieber positiv als Zeit des Aufbruchs und des Neuanfangs und als des Sich-öffnens zum gesellschaftlichen Leben. Letztgenannte Haltung ist gerade für unsere gegenwärtige Situation wieder sehr passend.
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Wir verstehen unter einer lebenswerten Stadt eine gewachsene Stadt. Diese formiert sich auf verschiedenen Ebenen – auf der gebauten und der gesellschaftlichen. Vor dem Hintergrund des Problems der Homogenisierung ganzer Stadtviertel braucht es neue Konzepte, die ein soziokulturelles Miteinander ermöglichen und fördern. Was die gebaute Ebene betrifft, gibt es mittlerweile viele Stiftungen und Initiativen, die sich in Form von Öffentlichkeitsarbeit und Architekturkommunikation mit dem Thema Baukultur befassen. Das ist wertvoll und wichtig. Doch auch Privatakteure wie wir können einen entsprechenden Beitrag leisten. Über die Art und Weise, wie wir unsere Projekte kommunizieren, vermitteln wir auch architektonisches Hintergrundwissen über bestimmte Epochen, das Fachfremden nicht zugänglich ist. Auf diese Weise sensibilisieren wir unsere Kunden für Architektur und Baukultur.
Ana Vollenbroich: Vielfalt spiegelt sich darüber hinaus auch in den verschiedenen Maßstäben wider. Neue Projektentwicklungen, die sich oft den Vorwurf der Gleichförmigkeit gefallen lassen müssen, sind häufig sehr großmaßstäblich. Das führt uns zurück zum Bauen im Bestand: Er ermöglicht es uns, in vielen unterschiedlichen Maßstäben zu agieren und auf diese Weise Vielfalt zu fördern.
Ihr realisiert primär Projekte im Düsseldorfer Umfeld. Was macht die Stadt so attraktiv?
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Wir glauben an den Standort, die Bewohnerinnen und Bewohner, die Entwicklungen sowie die Architektur. Düsseldorf hat eine sehr reiche Baugeschichte, die viel Potenzial bietet. Das wissen viele nicht, da Düsseldorf im Vergleich zu anderen Großstädten eher mit anderen Themen in Verbindung gebracht wird.
Schwenken wir zu eurem Tagesgeschäft: Welche Kriterien muss eine Immobilie erfüllen, um in euer Portfolio aufgenommen zu werden? Welche Punkte begeistern euch?
Ana Vollenbroich: Uns überzeugen Projekte, die wir selbst gern bewohnen würden – unabhängig davon, ob es sich um ein Miet- oder Kaufobjekt handelt oder ob es groß- oder kleinmaßstäblich ist.
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Ein Thema, mit dem wir uns momentan intensiver beschäftigen und nach dem wir derzeit auch unsere Projektauswahl treffen, sind neue Formen des Zusammenlebens und neue Wohnformen. Das ist kein Corona-spezifisches, sondern ein grundsätzlich wichtiges Thema, mit dem wir uns branchenübergreifend auseinandersetzen müssen. Unsere Gesellschaft entwickelt sich stetig weiter. Die Aufgaben existierten bereits vor der Pandemie. In puncto Wohnen gibt es schon seit längerer Zeit Werteverschiebungen, die sich immer mehr in Richtung gemeinschaftliche Formen entwickeln. Daher suchen wir momentan vor allem Projekte, in denen sich das in irgendeiner Form widerspiegeln lässt sowie solche, die neue Baumaterialien und -technologien zulassen.
Ana Vollenbroich: Das heißt wiederum nicht, dass wir klassische Wohnformen negieren wollen. Ein Einfamilienhaus hat nach wie vor seine Berechtigung. Im Moment reizt es uns jedoch, auch in andere Richtungen zu denken und diese neuen Strömungen in neue Konzepte einfließen zu lassen. Was die Substanz oder die Struktur angeht, sind wir relativ offen. Der Bestand gibt uns sozusagen den Rahmen vor, in dem wir kreativ sein dürfen – und genau das ist auch das Spannende.

© Berenika Oblonczyk
Was dürfen wir uns unter o. g. neuen Formen des Zusammenlebens vorstellen – gibt es hierzu seitens NIDUS schon konkretere Vorstellungen oder gar ein neues Projekt?
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Momentan erstellen wir den Entwurf zu einem neuen Projekt. Dabei geht es primär um die Frage, wieviel Fläche eine Individualperson oder eine Familie im Verhältnis zur Gemeinschaft benötigt; also wie sich flächenmäßig das Verhältnis von Privatheit und Gemeinschaft darstellt. Dazu gehören auch Fragen, wie, ob ein Gästezimmer sinnvoll ist, wenn der Platz auch für das alltägliche Leben genutzt werden könnte, oder, ob jedes Auto einen eigenen Stellplatz braucht, oder nicht auch Sharing-Konzepte genutzt werden können. Oberste Prämisse ist, dass unsere Konzepte zu dem Ort, in den jeweiligen Kontext und in die Typologie passen: eine Weiter- oder Neuentwicklung muss sich in Bestehendes einfügen. Unser neues Projekt liegt etwas außerhalb der Düsseldorfer Innenstadt und beschäftigt sich mit der Typologie des Hofes, der in dieser Gegend in Form von Vier- oder Dreikanthöfen sehr häufig vorkommt. In solchen Kontexten macht es Sinn, bestehende Typologien aufzugreifen.
Ana Vollenbroich: …und auch die Nachbarschaft zu berücksichtigen. Wir wünschen uns, dass sich nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner in der neuen Umgebung wohlfühlen und einfügen, sondern, dass das Projekt auch von Nachbarinnen und Nachbarn getragen und unterstützt wird.
Werdet ihr bei euren Projekten von externen Partnern unterstützt oder stemmt ihr alles alleine?
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Bei dem Entwurf zu dem o. g. Hof-Konzept wurden wir von externen Fachplanern, Ingenieuren und Tragwerksplanern unterstützt. Diese Kompetenzen liegen nicht bei uns im Haus. Die Projektentwicklung, die Wirtschaftlichkeitsanalysen, das Controlling, den Entwurf, die Architektur und letzten Endes auch die Innenarchitektur bis hin zur Vermarktung übernehmen wir. Das mag auf den ersten Blick viel auf einmal klingen. Da wir jedoch stets in ganzheitlichen Konzepten denken, macht diese interne Aufgabenbündelung Vieles einfacher.
Ihr sagt, eure Projekte stehen für eine „neue Einfachheit“. Ihr legt Wert auf natürliche Materialien und unterstreicht die Schönheit des Alltäglichen. Woher rührt dieser Wunsch nach Reduktion – ist dies eine persönliche Stilfrage oder eine Antwort auf gegenwärtige Projektentwicklungen?
Ana Vollenbroich: Beides. Wir glauben fest an das Leitprinzip „so viel wie nötig und so wenig wie möglich“. Ein gutes Konzept zeichnet sich dadurch aus, dass es keinerlei Beiwerk braucht, sondern aus sich heraus bereits eine gewisse Ästhetik, eine gute Nutzbarkeit und eine gute Drittverwendbarkeit mit sich bringt. Dieser Leitgedanke prägt nicht nur unser berufliches, sondern auch unser privates Leben.
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Der nächste Fortschritt ist der Rückschritt. Das Prinzip „höher, schneller, weiter, besser…“ hat in der Nachkriegszeit gut funktioniert. Mittlerweile sind wir jedoch an einem Punkt, an dem es für die Gesellschaft nur gesund sein kann, bestimmte Aspekte kritisch zu reflektieren. In der Bauwirtschaft gibt es z. B. viele Vorschriften, die primär Lobbyismus-Produkte sind. Sich dieser Tatsachen bewusst zu werden und nach alternativen Wegen zu suchen – darum geht es.
Ana Vollenbroich: Dadurch, dass wir viele Kompetenzen unter unserem eigenen Dach bündeln, sind wir zum Teil etwas freier, gute, individuelle Lösungen zu entwickeln. Und auch wenn wir für die Entwicklung mancher Lösungen mehr Zeit benötigen – das ist es uns wert.
Die von euch entwickelten Wohnimmobilien zeichnen sich durch hohe Individualität aus. Diese Architektur hat ihren Preis. Erlaubt mir eine provokante Frage: Ist schönes, individuelles Wohnen nur für den großen Geldbeutel möglich oder müssten Projektentwicklungen nicht grundsätzlich neu gedacht werden, um qualitativ hochwertiges Wohnen für alle Einkommensklassen ermöglichen zu können?
Ana Vollenbroich: Das ist eine Frage, die uns tagtäglich beschäftigt, da es innerhalb einer Stadt wie Düsseldorf aufgrund der hohen Ankaufspreise relativ schwierig ist, Lösungen anzubieten, die alle Einkommensstrukturen ansprechen. Dennoch bewegen sich unsere Projekte am ehesten in diese Richtung, weil wir nach kostengünstigeren Ansätzen suchen. Wir möchten ein möglichst breites Produktspektrum anbieten, das alle Einkommensklassen bedient. Dabei justieren auch wir bestimmte Stellschrauben, jedoch nie auf Kosten der Wohnqualität.
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Daneben ist und bleibt kostspieliges oder preisgünstigeres Wohnen eine Frage der Lage. Projektentwickler denken renditebezogen. Das ist zugleich verständlich und problematisch. Wir versuchen in unterschiedlichen Renditekategorien zu denken. Das verlängert in manchen Fällen die Projektlaufzeit, weil wir uns zu Beginn mit mehreren Lösungen beschäftigen und Alternativen diskutieren. Letzten Endes entsteht im Bestfall aber ein nachhaltigeres Projekt, das eine andere Rendite hat – eine architektonische, baukulturelle, soziale und wirtschaftliche. Letztgenannte betrifft dann alle Akteure – auch den Endnutzer. Von dieser Rendite haben wir in unserer Rolle als Projektentwickler nichts mehr, doch wir leben in einer gesamtgesellschaftlichen Struktur – und leisten so einen wichtigen Beitrag. Das mag sich idealistisch anhören, doch mit unserem überschaubaren Team können und wollen wir genau solche alternativen Lösungen ausprobieren. Große Projektentwickler haben es hier wesentlich schwieriger. Sie unterliegen anderen Zwängen. Wenn wir „Kleinen“ es nicht probieren, entstehen solche Projekte nicht. Insofern verstehen wir uns auch als eine Art Labor.
Mit unserem Titelthema REBIRTH möchten wir den Fokus auf solche Strukturen legen, deren ursprünglicher Wert entweder wiederentdeckt oder der in modifizierter Form weiterentwickelt wird. Gibt es aus eurer Perspektive architektonische Merkmale, die eine „Wiedergeburt“ erfahren?
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Mir fällt spontan die Konstruktion und Bauweise von Gebäuden ein. Wenn wir im Bestand arbeiten, dann sehen wir, wie früher gebaut wurde. Wir lernen viel darüber, wie sich Schichten zusammensetzten und mit welchen Details gearbeitet wurde. Und wir lernen sehr viel über Dauerhaftigkeit und Beständigkeit. Vergleichen wir diese Art des Bauens mit gegenwärtigen Prozessen und Produkten der Bauindustrie, denken wir, dass es durchaus sinnvoll sein kann, sich an historischen Bauweisen zu orientieren. Die Gebäude, die wir sanieren, sind zum Teil 150 Jahre alt. Sie funktionieren immer noch, weil ihre Grundsubstanz gut ist. Es gibt also bereits viel Qualität, die von den Generationen vor uns entwickelt wurde, und die eben nicht durch neue Produkte ersetzt werden sollte. Diese Haltung teilen bereits viele innerhalb unserer Branche. Der Fokus auf und das Bewusstsein für gute Qualität erfahren definitiv eine Wiedergeburt.
Ana Vollenbroich: Auch das o. g. Thema neuer Wohnformen in Form von Mischungen aus privaten und gemeinschaftlichen Nutzungen ist per se keine neue Idee. Die Art des Zusammenlebens wie im Falle unseres Hof-Konzeptes gab es schon früher. Neu ist tatsächlich die Abkehr von anonymen Wohnformen, wie Mikro-Appartements, hin zu Modellen, die Gemeinschaft zulassen sowie das Überdenken bestehender Strukturen – sei es im Innenraum oder in der Verbindung von Innen- und Außenräumen. Der Wert der Gemeinschaft erfährt an dieser Stelle genauso eine Wiedergeburt wie die Nutzung bereits vorhandener Strukturen, die nur auf die heutigen Bedarfe angepasst werden.
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Im Zuge der Corona-Pandemie hat sich v. a. die Sinnhaftigkeit kleinräumlicher Quartiere gezeigt. Solche Strukturen führen automatisch zu kurzen Wegen, die uns ermöglichen, dass wir uns in einem relativ kleinen Radius bewegen und trotzdem alles für das Leben Notwendige erreichen. Eine gute Nahversorgung und eine gute Infrastruktur innerhalb der Städte sind heute wieder wichtiger als noch vor 30 Jahren, als die großen Supermärkte am Stadtrand entstanden und jeder mit seinem Auto zum Einkaufen gefahren ist. Die Möglichkeit innerhalb der Stadt in kleinräumlichen, fast schon dörflichen Strukturen zusammen zu leben – das ist heute wichtiger denn je und kommt auch wieder in den Köpfen der Menschen an.
Das ist ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für diesen interessanten Einblick in eure Arbeit.
ANA VOLLENBROICH UND ANNELEN SCHMIDT-VOLLENBROICH
lernten sich 2016 während des Immobilienwirtschaftsstudiums in Frankfurt kennen und teilten sofort die gemeinsame Leidenschaft für die Architektur und das Interesse an Bestandsimmobilien. Schnell war klar, dass sie zusammenarbeiten möchten und gründeten NIDUS. Ana studierte Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, Annelen studierte Architektur an der ETH Zürich und am KIT Karlsruhe.
Im Januar haben wir über eines ihrer Projekte in Düsseldorf-Kaiserswerth berichtet. Hier gelangt ihr zum Artikel.
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