TRIPOLIS: URBANE KUNST BELEBT STADTVIERTEL NEU

© Eva Studio

Die Krise in Syrien hat auch das Nachbarland Libanon stark belastet. Durch den Zustrom zahlreicher Geflüchteter – rund 14,5 % der dort lebenden Menschen sind syrische Geflüchtete – wurde der bereits herrschende Druck auf Infrastruktur, Wirtschaft und Gesellschaft zusätzlich verstärkt. Im libanesischen Tripolis leben die Geflüchteten oftmals in dicht besiedelten Gebieten wie dem Viertel Qobbe, deren Verhältnisse meist schon vor Kriegsbeginn in Syrien prekär und konfliktbehaftet waren. Eines der Schlüsselthemen ist die schlechte Erreichbarkeit des eigentlich zentrumsnahen Viertels, wodurch das Gebiet vom sozialen und strukturellen Gefüge der Stadt abgeschnitten ist. Dafür sind auch dessen Hügellage sowie der Fluss Abu Ali als natürliche Barriere verantwortlich. Diese Isolation sowie der Mangel an öffentlichem Raum erhöhen das Konfliktpotenzial zwischen Geflüchteten und Einwohnerschaft, förderliche Begegnungen bleiben aus.

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Verbindungswege wie die Charaani-Treppe sind deshalb umso notwendiger. Sie ist ein wichtiger Zugangspunkt zum Viertel und ist darüber hinaus zu einem bedeutsamen sozialen Knotenpunkt geworden, an dem reges öffentliches Leben stattfindet. Zuvor war allerdings ihr desolater Zustand problematisch. Nicht nur während Regenperioden war sie kein sicherer Ort. Auch die schlechte Beleuchtung, gepaart mit einer unbeständigen Stromversorgung, machten die Treppe zu einer No-Go-Area – v.a. für Frauen.

Die französische Nichtregierungsorganisation Solidarités International (SI) setzt hier seit vielen Jahren an. Das Ziel: Durch einen integrativen Ansatz die Lebensbedingungen der Bevölkerung vor Ort verbessern und gemeinschaftsübergreifend Probleme angehen. Hierzu werden viele Bereiche einbezogen, in denen Verbesserungsbedarf besteht – wie die Infrastruktur und Erreichbarkeit, die Wegeführung, das Wassermanagement sowie der Zustand des Wohnraums. Im Fokus steht die Aufbesserung des öffentlichen Raums, der als Startschuss für einen gemeinsam initiierten Wandel Interaktionen, den Austausch von Fähigkeiten zur Erweiterung beruflicher Horizonte, und gemeinsame Aktivitäten zu ermöglichen soll. In einem ersten Projekt von SI wurden hunderte Wohneinheiten renoviert, 30 Gemeinschaftsräume in bestehenden Gebäuden Instand gesetzt, das Überschwemmungsrisiko erfolgreich reduziert, zahlreiche Abfallbehälter sowie eine neue Straßenbeleuchtung installiert.

Ein weiteres bedeutsames Projekt, Charaani Stairs, das SI gemeinsam mit dem Architekturbüro Emergent Vernacular Architecture (EVA Studio) umgesetzt hat, widmete sich der Sanierung des öffentlichen Raums, von dem die lokale Bevölkerung sowie das städtische Gefüge insgesamt stark profitieren. Die Treppe und der öffentliche Raum drumherum wurden nicht nur durch die Schaffung kleiner Grünflächen sowie neuer Sitzgelegenheiten stark aufgewertet. Insbesondere das eindrucksvolle Mural des Beiruter Künstlers EPS verleiht den Charaani Stairs besondere Ausstrahlungskraft. Nicht nur die Malerei selbst ist beeindruckend, sondern auch die Geschichte, die dahintersteckt: An der Wand befand sich vormals ein Schriftzug mit dem Namen eines jungen Mädchens, das vor einigen Jahren an einer Krankheit starb. Für das Wandgemälde setzte sich EPS mit den Eltern des Kindes zusammen, um gemeinsam das Kunstwerk zu entwerfen – ihnen war dabei besonders wichtig, den Namen des Mädchens in dem Mural zu verewigen. Das farbenstarke Wandgemälde zeigt ein Mädchen, das zum Zentrum von Tripolis schaut – auf symbolische Weise verbindet sie dadurch Qobbe mit dem Rest der Stadt und gibt die Richtung vor, in die der angestrebte Wandel gehen soll.

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Das Projekt half nicht nur beim Aufbau einer kollektiven Identität, sondern sorgte auch für eine stärkere Bindung innerhalb der Gemeinde. Dies wurde auch durch die Integration von lokal hergestellten Bodenfliesen erreicht, die Qobbe neues Leben einhauchen. Aber auch die kontinuierliche partizipative Beteiligung der lokalen Bevölkerung und Behörden am Transformationsprozess durch Workshops, Fragebögen und Gesprächen trugen dazu bei. Das Ergebnis: eine inklusive Plattform in einem visuell ansprechenden öffentlichen Raum.

Die Wandgemälde beweisen, wie bedeutungsvoll Kunst(handwerk) bei der Schaffung neuer Räume sein kann – das gilt gleichermaßen in Tripolis wie überall auf der Welt. Gut nutzbare öffentliche Räume wiederum haben das Potenzial, herrschende Spannungen aufzulösen sofern sie zu Räumen werden, in denen kommunikativer Austausch stattfinden kann. Gleichzeitig ist man dem Ziel, Qobbe in einen sichereren, saubereren und attraktiveren Ort zum Leben zu verwandeln, einen Schritt nähergekommen.

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