JUSTUS SCHUCHARDT: DIE PARTIZIPATION DER ZUKUNFT

© Urban Participation Lab

Im Jahr 2018 haben Sie gemeinsam mit Oskar Lingk das Urban Participation Lab gegründet, das digitale Beteiligungsformate entwickelt und somit als Schnittstelle zwischen Stadtentwicklung, Kommunikation und Bürger:innen agiert. Warum sind Digitaltools heutzutage für die Stadtplanung relevant? 

Mithilfe digitaler Methoden und Tools können orts- und zeitunabhängig viel mehr Menschen an dem Beteiligungsprozess teilhaben. Die höhere Erreichbarkeit spiegelt sich dabei nicht nur in der Anzahl, sondern auch in der Diversität der Teilnehmenden wider. Viele unserer Projekte zeigen, dass wir mit neuen digitalen Wegen auch neue Zielgruppen erreichen. Infolgedessen erhalten wir auch neue Erkenntnisse zu dem jeweiligen Projekt.

In jedem Beteiligungsprozess gilt es, verschiedene Interessen, Ideen und Bedenken der Projektbeteiligten für die Bürger:innen zu übersetzen und umgekehrt. Digitale Werkzeuge und Prozesse ermöglichen es uns, diesen Schritt wesentlich einfacher zu gestalten. Wir können beispielsweise anhand von Videos, 3D-Modellen, Ton-Spuren, oder Augmented-/Virtual-Reality-Konzepten komplexe Belange einfacher vermitteln und erklären. Zudem haben wir die Möglichkeit, über verschiedene Spracheinstellungen noch mehr Menschen zu erreichen. Wir sind davon überzeugt, dass digitale Beteiligung mittlerweile unabdingbar für erfolgreiche Stadtplanung ist und nicht mehr nur als eine nette Spielerei gelten soll. Sie bietet in Kombination mit analogen Methoden eine reelle Chance, unsere Partizipationsprozesse diverser zu gestalten, generationsübergreifend mehr Menschen einzubinden und eine neue Beteiligungskultur zu fördern.

Wie gelingt es, das richtige Format für die jeweilige Fragestellung auszuwählen?

Pauschal gibt es nicht das eine richtige Format für ein Projekt. Gute Stadtplanung lebt vom Umgang mit dem Kontext – das gilt auch für Beteiligungsprozesse. In Entstehungsphasen oder Bottom-Up Prozessen spielen kartenbasierte Tools, wie zum Beispiel senf.koeln, eine wichtige Rolle. Hier geht es primär um die Ideensammlung und Initiierung von Projekten und die Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen. Sobald der Rahmen für ein Projekt steht, hat es sich aus unserer Erfahrung als tauglich erwiesen, in frühen Phasen des Projektes Online-Umfragen zu initiieren. Anhand dieser können wir sehr gut Stimmungsbilder erstellen, Ideen und Bedenken sammeln und gleichzeitig auch noch viel Freiraum für jegliche Form von Kritik bieten. Diese Umfragen lassen sich ganz individuell gestalten: Entweder äußern Menschen über Ton- und Bildbeiträge ihre Ideen oder das Stimmungsbild wird anhand klassischer Umfragen oder qualitativen Interviews erstellt. Hauptaugenmerk liegt darauf herauszufinden, was die Menschen vor Ort beschäftigt. Wir nennen dieses Vorgehen das Generieren von “Insights”. Wir sehen die Bürger:innen als Expert:innen ihrer Nachbarschaften. Somit ist es für die Entwicklung der Räume vor ihren Haustüren essentiell zu wissen, was sie beschäftigt. Im späteren Verlauf der Projekte fokussieren wir uns dann stark auf visuelle Formate, wie beispielsweise interaktive 3D-Modelle oder AR-/VR-Konzepte. Sie helfen uns, verschiedene Planungsstände darzustellen und können auch komplexere Themen verständlich vermitteln. Eine gute Grundlage bietet z.B das Format von Form Follows You. Das Team um Max Rudolph hat eine geniale Grundlage geschaffen, um Entwurfsplanung zusammen mit Bürger:innen digital stattfinden zu lassen. In Zukunft liefern sie das Werkzeug und wir den Prozess. Gegenwärtig gibt es bereits viele gute und mitunter natürlich auch weniger durchdachte Tools auf dem Markt. Wir von UPLab konzentrieren uns auf die Anforderungen des Projektes, erstellen eine Prozessstruktur und verbinden diese dann mit den passenden Formaten.

Wie lassen sich die Bürger:innen besonders dazu animieren, an den digitalen Beteiligungsformaten teilzunehmen?

In Deutschland herrscht eine gewisse Affinität zum eigenen Lebensraum. Jede:r hat ihren/seinen Kiez, Veedel oder Stadtviertel mit dem er oder sie sich identifiziert. Wir denken, dass die Bürger:innen grundsätzlich daran interessiert sind, was in ihrem Umfeld passiert.  Oftmals bedarf es viel weniger als man denkt, um sie zum Mitmachen zu animieren. Viel wichtiger ist aus unserer Sicht die Frage, wie die betroffenen Bürger:innen erreicht werden können. Wir arbeiten mit einer Methode aus der Marktforschung und der Werbebranche, die sich Geo-Targeting (dt.: „Geolokation“) nennt. Mittels Geo-Targeting können anhand von IP-Adressen Menschen in definierten Gebieten gezielt angesprochen werden. Die Bürger:innen in den Befragungsgebieten erhalten die Einladung zur Partizipation direkt auf ihren Computer- oder Smartphone-Bildschirm in ihren Suchergebnissen, sozialen Netzwerken oder auf Nachrichtenseiten. Die Auswahl des jeweiligen Kanals ist ein wichtiger Schritt: Jüngere Menschen finden wir vor allem über Instagram, ältere Generationen hingegen über Facebook oder über Nachrichtenseiten. Der gesamte Ausspielungsprozess wird von uns begleitet und wir nehmen laufend Optimierungen vor, um die Interaktion und Teilnahme von Bürger:innen aller Altersklassen und Sprachen zu gewährleisten. Wichtig: Während des gesamten Prozesses werden keine personenbezogenen Daten erhoben.

Wie werden die Formate von Städten und Kommunen aufgenommen?

In dieser Hinsicht haben wir verschiedene Erfahrungen gemacht. Grundsätzlich erhalten wir viel positives Feedback und Interesse von Städten und Kommunen. Einige Städte sind offener gegenüber innovativen Wegen als andere. Oft scheitert es an internen Strukturen, bürokratischen Prozessen und politischen Entscheidungen. Vielen Entscheidungsträger:innen fehlt bislang leider noch immer der Zugang zu Themen wie Geo-Targeting, AR oder interaktiven 3D-Modellen. Daher arbeiten wir daran, unsere Prozesse so einfach und transparent wie möglich darzustellen. Insgesamt wünschen wir uns mehr Mut seitens der öffentlichen Akteur:innen. Wir müssen digitale Partizipation nicht nur als eine Chance begreifen, sondern sie hin zu einem festen Bestandteil von Beteiligungsverfahren entwickeln.

Gibt es neben der Etablierung von digitaler Beteiligung durch Städte und Kommunen weitere Hürden?

Zusätzlich dazu sehen wir die Schwierigkeit im Umgang mit digitalen Formaten, denn es gibt viele gute Formate, die jedoch leider niemanden erreichen. Das UX (User-Experience) -Design, das darauf ausgelegt ist, dem Nutzer ein positives Gefühl bei der Nutzung des Formats zu geben, ist oftmals nicht ausreichend durchdacht. Hier gibt es noch viel Verbesserungspotenzial, denn ein gelungenes UX-Design ermöglicht es, auch nicht digital-affine Menschen zu motivieren, sich mit Hilfe dieser barrierefreien Formate zu beteiligen. Außerdem sind wir der Meinung, dass analoge Methoden nicht vollständig durch digitale ersetzt werden sollten – im Gegenteil: Sie ergänzen sich wunderbar. Die Herausforderung liegt darin, sinnvolle Schnittstellen zu schaffen und die verschiedenen Methoden auf eine sinnvolle Weise miteinander zu kombinieren. Das ist eine unserer Hauptaufgaben im UPLab.

Wie wird Bürgerbeteiligung in Zukunft aussehen?

Wir beobachten ein verstärktes gesamtgesellschaftliches politisches Engagement. Insofern sollten wir auch bei städtischen Themen neue Wege finden, um Beteiligung anders zu denken. Bürgerbeteiligung muss zugänglich(er) gemacht werden für alle Bürger:innen – und das unabhängig von Ort, Zeit oder sozio-demografischen Hintergründen. Demokratische Prozesse und die Auseinandersetzung mit der Stadt der Zukunft müssen gefördert werden. Digitale Methoden können einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, diese Themen weiter zu etablieren.

Vielen Dank für das interessante Interview!

 


Justus Schuchardt

Nach seiner Ausbildung zum Mediengestalter studierte Justus Schuchardt Stadtplanung (B.Eng.) in Nürtingen und Sustainable Cities (M.Sc.Eng.) an der Aarlborg University in Kopenhagen. Im Zuge seiner Masterarbeit initiierte und leitete er ein Forschungsprojekt zur Entwicklung neuer Formate für digitale Bürger:innenbeteiligung. Aus dem Erfolg dieses Projektes resultierte die gemeinsame Gründung des UPLabs 2018 in Berlin. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent an der Technischen Universität Berlin beschäftigt er sich ebenfalls mit der Erforschung von neuen digitalen Partizipationsmethoden.

Eine Antwort zu “JUSTUS SCHUCHARDT: DIE PARTIZIPATION DER ZUKUNFT”

  1. Christian Gebel sagt:

    In der Politik scheitern solche Konzepte längst nicht mehr an Unkenntnis oder mangelnder Begeisterung für Innovation, sondern vielmehr am Unwillen der Entwickler, sich auf Konzepte wie Open Source oder Public Money Public Code einzulassen.

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