MUT ZUR FARBE: WIE POLYCHROMIE FREUDE IN DEN GEBAUTEN RAUM BRINGT

© Nils Koenning

Es sind nicht nur die Form, die Gestalt oder die Masse eines Baukörpers, durch die er eine besondere Wirkung im Raum entfaltet. Auch der Einsatz von Farbe verleiht einer Architektur ihre ganz eigene Strahlkraft. In der Vergangenheit war Polychromie in der Architektur zeitweise durchaus beliebt; repräsentative Bauwerke wie Schlösser, Rat- und Bürgerhäuser wurden oft durch besondere Farbakzente hervorgehoben. Sogar die griechische Antike, in unserem Bewusstsein so strahlend weiß, war eigentlich bunt. Aber auch in der Neuzeit, von der Renaissance über den Barock bis zum Historismus hatte der Einsatz von Farbe in der Architektur immer wieder Konjunktur, wenn auch in unterschiedlichsten Ausprägungen. So verlegte man sich etwa im Jugendstil vor allem auf Pastellfarben. In der klassischen Moderne hingegen herrschte zeitweise alles andere als Einigkeit, ob bunt oder Weiß nun den gebauten Raum dominieren sollten. Der Begriff der „weißen Moderne“ kommt nicht von ungefähr. In ihren Bauten war Weiß Symbol höchster Perfektion und Klarheit im Sinne eines „Neuen Bauens“ nach dem Ersten Weltkrieg. Gleichzeitig setzte De Stijl auf die Primärfarben Rot, Gelb und Blau, die sich dann auch im Brutalismus ab Mitte des 20. Jahrhunderts punktuell wiederfanden. Die Postmoderne spielte dann nicht nur mit Formen, sondern auch mit überraschenden Farbakzenten aus Orange, Braun, Gelb oder Grün. Heute werden Bestandsbauten der Nachkriegsarchitektur im Zuge von Sanierungs- und Aufwertungsmaßnahmen gerne mit dem ein oder anderen Farbklecks versehen, um in neuem Glanz zu erstrahlen. Doch größtenteils dominieren Weiß und Grau den Städtebau. Es erweckt mitunter den Eindruck, als hätten die Gestalterinnen und Gestalter unserer gebauten Umwelt gegenwärtig vergessen, welche enorme Wirkung Farbe entfalten kann. Egal ob in der urbanen Dichte, im suburbanen Raum oder auf dem Land – uns allen sind diese seelenlosen Neubauprojekte bekannt, die scheinbar die immer gleichen Häuser aneinanderreihen und als das höchste der Gefühle eine Abwechslung der Farben Weiß, Grau oder Beige zulassen.

Doch wieso diese Tristesse, wenn es darum geht, uns neue Orte zum Wohnen, Arbeiten und vor allem Wohlfühlen zu schaffen? Insbesondere in dieser Zeit, die von negativen Schlagzeilen und Ereignissen geprägt ist, die Ängste schürt und Unsicherheiten hervorruft, erscheint die Notwendigkeit nach etwas Polychromie im gebauten Raum doch größer als je zuvor. Ja, es gibt sie, diese vereinzelten mutigen Landmarken, die uns mit ihren kräftigen Farben und mit ihren poppigen Akzenten erstaunen. International tätige Architekturbüros wie Sauerbruch Hutton oder die Niederländer von MVRDV sind dafür bekannt, Farbe zu einem Teil ihrer Arbeitsphilosophie gemacht zu haben. Insbesondere bei MVRDV wird immer wieder auf die starke Wirkung von Signalfarben gesetzt. Man denke an den zuletzt realisierten Rooftop Walk, der auf Wegen in Neonorange über die Dachlandschaft Rotterdams führte. Oder an das Didden Village, ein komplett in Hellblau getauchter mehrteiliger Dachaufbau ebenfalls in Rotterdam. Oder aber an das kunterbunte Tetris Hotel, das 2017 im Rahmen der Dutch Design Week eine Antwort darauf geben sollte, wie die Stadt der Zukunft aussehen könnte. Allesamt farbenfrohe Beispiele, wie sie in Deutschland tatsächlich selten zu finden sind. Hier scheint man dem Einsatz von Farbe mit einer gewissen Angst oder Scheu zu begegnen – was bei manchen schlussendlich den Eindruck erwecken mag, sich in einer farblosen Masse aus Stein zu bewegen. Paul Eis ist so einer. Vor einigen Jahren berichteten wir in einer Ausgabe des polis Magazins für Urban Development über den jungen Künstler, der den Anblick der grauen Fassaden in Deutschland satthatte und sie 2015 im Rahmen seines Architekturfotografieprojektes A colorful makeover of architecture mit digitaler Hilfe bunt einfärbte. Seine Kunst wirft die Frage auf, warum unsere Städte gegenwärtig derart grau, monoton und lebensfeindlich daherkommen und ob es nicht an der Zeit wäre, sie freundlicher, lebendiger – eben einfach bunter zu gestalten? Bis heute wurden die Arbeiten von Paul Eis vielfach international publiziert und ausgestellt, zuletzt im Rahmen der Architekturbiennale 2021 in Venedig. Er hat mit ihnen einen Nerv getroffen.

© Roman Mensing

Auf der Suche nach einem vornehmlich im deutschen Raum tätigen Architekturbüro ohne Angst vor Farbe, ist am Kreativbüro KRESINGS, das individuelle Lösungen für architektonisch nachhaltige Adressen entwickelt, kein Vorbeikommen. Spätestens seit dem 2019 fertiggestellten Raspberry House – ein in grelles Himbeerrot getauchter 50er-Jahre-Bau in Münster – ist das Büro vor allem auch für seinen Mut zur Farbe in aller Munde. Seien es Treppengeländer oder gleich ganze Fassaden, die sich fernab von Weiß und Grau bewegen. Die Freude an der Farbe ist bei den Projekten des Büros stets erkennbar. Dabei mag es der Betrachterin lediglich wie ein Spiel erscheinen, mit dem die Architekten ihre Arbeiten hier farblich akzentuieren. Tatsächlich steckt aber hinter jeder Farbe ein zuvor gut durchdachtes Konzept. Andernfalls verpufft die Wirkung.

© Roman Mensing

© Roman Mensing

Das weiß auch Kilian Kresing in unserem Gespräch über Farbe in der Architektur zu erzählen: „Farbe gehört zum Leben dazu und kann tolle Akzente setzen, aber sie muss eben auch in den Kontext passen. Erst dann kann sie ein Katalysator sein.“ Dabei betont er auch, dass in seiner täglichen Arbeit immer die Idee zu einem Gebäude am Anfang steht und erst zum Schluss über den Einsatz von Farbe entschieden wird. Und dann, ja, dann setzt er am liebsten auf Knallfarben, die eine ganz besondere Kraft ausstrahlen. Doch insbesondere die Motivation, Farbe konzeptionell in ein Bauwerk einzubinden, fehlt seines Erachtens nach so manch gestaltendem Geist. Hinzu kommt die Angst vor der Angreifbarkeit, legt man sich auf eine Farbe fest. Diese Zurückhaltung in Sachen Farbe habe sich schlussendlich auch auf die Industrie übertragen, ist er überzeugt. So bieten Hersteller mittlerweile kaum mehr große Farbpaletten an, kritisiert Kilian Kresing: „Mit Holz lässt sich die Farbigkeit noch verhältnismäßig gut regeln. Sobald wir aber beispielsweise an den Einsatz von leuchtend bunten Kunstofffenstern denken, werden wir als Gestalter mit einer verhältnismäßig dünnen Farbpalette konfrontiert. All das, was über die Standardfarben hinausgehen soll, wird dann sofort zu einer Frage von Mehrkosten.“ Viele Faktoren also, die schlussendlich zu dem Einheitsbrei aus Weiß und Grau beitragen.

© Jette Golz

Umso positiver zu bewerten ist der Mut des Büros, in seinen Projekten Farbe zu bekennen. Insbesondere das Bauen im Bestand profitiert dabei enorm und erhält nicht nur funktional, sondern auch visuell die Chance auf ein neues Leben. „Bestehende Gebäude sind in doppelter Hinsicht spannend, da sie oft bereits ein gewisses Farbspektrum mitbringen, bei dem man sich stets fragen kann, inwieweit man dieses mitnehmen und weitertreiben kann“, so Kilian Kresing. Genau dieses Mitnehmen und Weitertreiben ist KRESINGS unter anderem beim 2020 in Osnabrück fertiggestellten Projekt Hageloft gelungen. Wo einst Lenkergriffe und Tischtennisbälle hergestellt wurden, befindet sich heute ein neues Quartier zum Wohnen und Arbeiten, das vor allem auch durch seine Farben und Texturen im Kontext des historischen Mauerwerks aus dem Jahr 1897 hervorsticht. Die neu interpretierte Fassade schafft einen spannenden Bruch zwischen Alt und Neu, nicht zuletzt durch den farblichen Kontrast. Während der aufgebaute Kubus aus TecuGold bei jeder Lichtstimmung weich und lebendig wirkt, wurde der bestehende Klinker bewusst in einen Schwarzton getaucht.

© Jette Golz

Im Inneren wurde vor allem auf kräftige Farbakzente gesetzt – angefangen bei in Königsblau getauchte Treppenaufgänge über türkisfarbene Stahlträger bis zu pinken Fadenvorhängen. Hier zeigt sich, wie insbesondere Treppenhäuser, Flure oder Foyers von Farbe profitieren, die hier nicht zuletzt auch als wichtige Orientierungshilfe dient. Sie stärkt aber auch das soziale Miteinander, indem es dem Raum das Anonyme, das immer gleiche Farblose, nimmt. Ein positiver Aspekt von Farbe, der natürlich auch im Außenraum seine Wirkung erzielt und dafür sorgt, dass öffentliche Räume – seien es Plätze oder Unterführungen – zu mehr werden als zu reinen Transiträumen.

Farbe lädt zum Stehenbleiben ein, zum Innehalten und zur Begegnung. Im besten Fall bewahrt sie einen ganzen Straßenzug davor, im faden Einerlei zu versinken. Dies ist KRESINGS in gewisser Weise mit dem eingangs erwähnten Raspberry House im Hafenarbeiterquartier in Münster gelungen. Aus dem 50er-Jahre-Bau, der einst sechs Wohnungen und Gewerbe umfasste, sind schließlich durch Neuaufteilung und Aktivierung des Souterrains 15 Wohnungen mit großen Fenstern in Ost-West-Ausrichtung entstanden. Während dies bereits als Errungenschaft hervorzuheben ist, bleibt der Betrachterin aber vor allem die leuchtend rote Fassade nachhaltig in Erinnerung. Neu interpretiert und doch nicht fremd sticht das himbeerrote Gebäude als neuer Baustein im von Backsteinfassaden geprägten ehemaligen Arbeiterviertel hervor und macht anderen Besitzerinnen Mut: Keine Angst vor Sanierung, keine Angst vor Farbe! Die oftmals so angestaubten Häuser der 50er-Jahre können zu regelrechten Leuchttürmen im Stadtbild werden. Im wahrsten Sinne des Wortes.

© Roman Mensing

Weniger exzentrisch und um einiges zurückhaltender kommt das im spanischen Pollença realisierte Projekt Carrer del Sol N°3 daher: Hier wurde innerhalb einer mittelalterlichen Straße eines der historischen Gebäude bewusst in reines Weiß getaucht. Nicht ohne Grund: Denn nur so entfalten die beiden Farbtupfer – eine kräftig gelbe Eingangstür sowie eine neue Treppe von der Küche zur Terrasse – ihre volle Wirkung. Ein gelungenes Beispiel dafür, wie Weiß auch wirken kann und wie nur ein wenig Farbe zur Adressbildung beiträgt.

© Roman Mensing

Die Liste der von KRESINGS realisierten Projekte, die immer wieder durch den bewussten und konzeptionell integrierten Einsatz von Farbe überzeugen, könnte noch um einige weitergeführt werden. Von gänzlich in Grün getauchten Schulbauten bis hin zum Laborbau aus farbigem Industrieglas und knallgelber Freitreppe im Atrium. Eines eint sie allesamt: Sie sind ein Mehrwert für den oftmals so monotonen gebauten (Farb-)Raum, in dem wir uns tagtäglich bewegen. Und genau dieser Mehrwert ist es, der Kilian Kresing und sein Team motiviert, weiterhin keine Angst vor Farbe zu haben. Im Gegenteil: „Meine persönliche Einstellung ist, dass Architektur mit Farbe einfach mehr Spaß macht. Farbe trägt zur Freude bei“, bringt Kilian Kresing es auf den Punkt. Und ist es nicht genau das, was unsere verängstigte Gesellschaft aktuell braucht? Farbenfrohe Räume mit toller Ausstrahlungskraft. Außen wie innen. Räume, die uns die Freude zurückbringen.

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