Lebensraum

Im Gespräch mit Prof. Peter Pabst, freier Bühnen – und Kostümbildner

Was ist ein Bühnenbild für Sie?
Ein Bühnenbild ist schon einmal kein Bild, denn es ist nicht zweidimensional, sondern ein dreidimensionaler Raum – ein Lebensraum für Schauspieler, Tänzer oder Sänger. Eine einzelne Blume auf der Bühne kann auch ein Bühnenbild sein, wenn sich daraus ein entsprechender Kontext ergibt. Ein gelungenes Bühnenbild schafft eine Welt, in der die Bühnendarsteller ihre Interpretation einer Geschichte erzählen können. Das kann auch ein sperriger oder schwieriger Raum sein. Für das Tanztheater habe ich oft Räume gestaltet, in denen es sehr schwer war, zu tanzen. Sie nutzen oft Elemente aus der Natur für Ihre Bühnenbilder.

Steht die Natur nicht im Kontrast zur Kunst?
Genau nach diesem Gegensatz suche ich gerade. Eine Bühne im Theater ist ein extremer Kunstraum. Sie ist erst einmal gar nichts und gleichzeitig alles, weil sie einziger Ort des Geschehens und somit die ganze Welt eines Stückes ist. Auf ihr wird all die künstlerische Essenz gebündelt. Die Natur bildet einen Gegensatz zu diesem Kunstraum und schafft Reibung und Spannung – denn Natur gehört und will nicht ins Theater. Ich arbeite oft mit Wasser, das dort schon allein wegen der Technik nichts zu suchen hat. Es schafft eine Menge Probleme, ist aber gleichzeitig ungeheuer sinnlich und strahlt eine Wärme aus, die fast nicht zu überbieten ist. Zudem ergeben sich aus natürlichen Materialien für das Theater unübliche Formen, durch die ich viele der üblichen – auch ästhetischen – Konventionen vermeiden kann. Das Stück „Viktor“, das ich für Pina Bausch eingerichtet habe, besteht aus riesigen Erdwällen. Jedes Mal, wenn das Stück neu aufgeführt wird, werden diese Wälle mit Leim überzogen und mit frischer Erde beworfen. Sie sind dann wie dunkler Samt – so warm. Er umhüllt die Tänzer wie ein warmer Mantel. Wärmen, Beschützen und Beherbergen – das sind sehr wichtige Kategorien für das Theater, die durch natürliche Materialien erzeugt werden können.

Rotes Meer – ein Berg von Rosenblüten im Stück „Der Fensterputzer“ Wie entwickeln Sie Ihre Ideen?
Ich habe noch nie herausgefunden, wo eine Idee hergekommen ist. Das wird von ganz vielen Komponenten beeinflusst. Das können unbewusste Erinnerungen von Bildern sein, die ich irgendwo gesehen habe, oder Träume. Und daraus entsteht plötzlich etwas. Ich schaue mir hingegen nie Kunstbücher oder -zeitschriften an, wenn ich nach Inspirationen für ein Bühnenbild suche. Die Dinge, die dort gezeigt werden, haben bereits ihre künstlerische Form gefunden und sind für mich zu. Ich muss meine eigene künstlerische Form schaffen. Das Kunstwerk ist somit keine gute Vorlage. Es ist nur eine gute Vorlage zum Kopieren. Das heißt aber auch, dass es sich weitgehend meiner Einflussnahme entzieht, ob ich etwas Kompliziertes oder etwas Einfaches mache. Ich würde wahrscheinlich lieber etwas Einfaches machen, aber das ist mir fast nie gelungen (lacht). Selbst dann, wenn ich gedacht habe, jetzt hätte ich irgendetwas Simples, hat sich herausgestellt, dass ich einfach nur nicht weit genug gedacht hatte. Bei weiterem Nachdenken wurde es dann auch immer kompliziert. Ob es schwierig wird oder nicht, ergibt sich immer erst im Arbeitsprozess. Die Stücke, die ich für Pina Bausch eingerichtet habe, sind eigentlich alle kompliziert und auf die unterschiedlichste Art und Weise extrem komplex gewesen. Besonders kompliziert war das Stück Wiesenland. Dafür habe ich eine riesige mit Moos und Gras bewachsene Wand entwickelt, aus der Wasser fließt – wie Perlenschnüre – und die mit einem Gewicht von etwa 5 Tonnen im Laufe des Stückes umgelegt und zu einer Spielwiese für die Tänzer wird.

Gibt es auch mal Unstimmigkeiten zwischen dem Regisseur, den Tänzern und Ihnen als Bühnenbildner?
Debatten gibt es immer, weil das Bühnenbild alle etwas angeht. Zwar nicht so sehr im Schöpfungs- oder Kreationsprozess, aber auf oder hinter der Bühne sind alle davon betroffen und müssen mit meinen Bildern arbeiten können. Zudem wird meine Arbeit erst durch die künstlerische Darstellung auf der Bühne belebt. Durch das Leben, das die Tänzer einbringen, tragen sie einen ganz wichtigen ästhetischen und wirkungsvollen Aspekt zu meiner Arbeit bei. Insofern hat auch jeder ein Recht darauf, mitzureden. Diskussionen haben im Wuppertaler Tanztheater jedoch sehr selten stattgefunden. Pina und ich mussten nur sehr selten miteinander reden. Wir hatten eine sehr ähnliche Denkweise und ein ähnliches Empfinden zu Problemen oder ästhetischen Fragestellungen. Außerdem sind wir mit demselben Ernst an unsere Arbeit gegangen.

Wie fühlt man sich, wenn ein Stück zum ersten Mal aufgeführt wird?
Das ist aufregend. Die Fertigung eines Bühnenbildes ist ein Vorgang, der nicht nur langwierig, sondern auch komplex und teuer ist. Der Erwartungsdruck ist hoch, weil alle von vornherein auf die Bühnenbilder schauen, wenn eine Produktion anläuft. Die Premiere ist für mich auch immer die Geburt und der Abschied von einem Bühnenbild am selben Tag. Das ist eine komplexe Mischung aus Gefühlen.

Anlässlich der Jubiläumsspielzeit des Tanztheaters haben Sie drei Installationen geschaffen, die sich auf die Welt von Pina Bausch beziehen. Was steckt hinter dem Namen der Ausstellung „Vorsichtshalber Vorsichtig“?
Es ist ein Zitat von Pina Bausch. Sie hat ja ihre eigenen Stücke gemacht. Dazu hat sie ihren Tänzern Fragen gestellt oder auch Reizworte gesagt, die die Tänzer beantworten, auf die sie In „Vollmond“ wird mit dem Element Wasser gespielt reagieren sollten, auf welche Weise auch immer. Aus dieser umfangreichen Materialsammlung hat sie dann ihre Stücke komponiert. Mich fasziniert die Poesie der Fragen – man liest da auch etwas über die Poesie der Person Pina Bausch, über ihre Denkweise und ihren Humor. Alle Fragen, die sie während ihrer fast 40 Jahre im Wuppertaler Tanztheater gestellt hat, finden Platz in dem kühl-sachlichen Glaspavillon des Skulpturen Park Waldfrieden. Es ist ein sehr zarter und leichter Raum, in dem die Worte in schimmerndem Licht auf weißen durchsichtigen Schleiern schweben. Jedes Wort lebt für sich. Man muss nicht die einzelnen Stücke kennen, um die Schriftzüge zu verstehen. Man muss nur lesen können. Mein Wunsch war es, einen Raum zu kreieren, in dem sich die Leute verlieren – in seiner Zartheit und der Poesie seiner Worte. Und das ist auch passiert. Das war sehr schön.

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