Bürgerbewegungen im Kampf gegen Wohnungsknappheit Die zunehmende Linkswendung politischer Organisationen wie Sinn Féin sowie der republikanischen Bewegung im Norden Irlands während der 1960er-Jahre stellten die Weichen für die wachsende Bedeutung sozialer Konflikte in der irischen öffentlichen Debatte. Im Zuge dieser Neuausrichtung konnten Zivilrechtsbewegungen, wie beispielsweise das Dublin Housing Action Committee (DHAC) aus der Gardiner Street, in Dublin an Einfluss gewinnen. Als Zielsetzung seiner Aktivitäten gab das DHAC die Durchsetzung des Wohnrechtes insbesondere für obdachlose Familien an. Die „kreative Zerstörung“ des Dubliner Stadtbildes durch die Immobilienwirtschaft wurde als verantwortlich für die Zerstörung sozialer Gemeinschaften und Beziehungen angesehen, vor allem in der hier auch heute noch ansässigen breiten Arbeiterschicht. In der Methodik spezialisierte sich die DHAC auf die Besetzung meist privater, leer stehender Häuser und Wohnungen, die auf nationaler Ebene durch den Prohibition of Forcible Entry and Occupation Bill (1970) von einer unerlaubten Handlung zur Straftat umgewandelt wurde.
Die Umsiedlung von Dublins Arbeiterschaft
Besonders in den 1970er-Jahren manifestierte sich der Trend der Suburbanisierung. Viertel wie Clondalkin, Blanchardstown und Tallaght wurden im Zuge der Umsetzung des Dublin County Development Plan aus dem Jahr 1972 gänzlich neu gegründet. Die neuen Vororte sollten durch eine geringe Wohnhausdichte geprägt sein, sowohl Sozialwohnungen als auch Privatgebäude wurden errichtet. Durch die großzügige Raumaufteilung und das wachsende Interesse vonseiten privater Investoren stiegen die Wohnraumpreise rapide an und die Entwicklung litt vermehrt unter Spekulationen. Dieses Problem hat bis zur heutigen Zeit Bestand. Waren vor der Wirtschaftskrise 2009 die Wohnpreise in Dublin auf Rekordhöhen gestiegen, fielen sie im Verlauf dieser stark ab, nur um seit dem Beginn der wirtschaftlichen Erholung wieder deutlich anzuziehen. Pläne für eine designierte strategische Entwicklungszone in der Docklands-Gegend in Dublin, die den Ausbau kommerzieller Gebäude vorantreiben soll und mit zwei Milliarden Euro von der National Asset Management Agency gefördert werden, haben bereits scharfe Kritik vonseiten der Einwohner hervorgerufen.
Darüber hinaus brachen 2008 fünf öffentlich-private Partnerschaften für den Bau von Sozialwohnungen infolge des Rücktrittes der Durchführer MacNamara/Castlethorn auseinander. Besonders die Gemeinde Michael’s Estate (Inchicore) hat Beschwerde beim Stadtrat gegen die Entscheidungen eingereicht, da viele Menschen ohne die versprochenen Wohnungen gezwungen waren, ihren Wohnort zu ändern, Gebäude beschädigt waren und weiterhin kein kohärenter Plan zur Unterbringung Bedürftiger abzusehen war. Projekte wie Granby Parks „popup park“ (2013) versuchen, die Zuteilung von Sozialbauten an Bedürftige zu erleichtern und den Betroffenen eine Möglichkeit zur Mitbestimmung am Management urbaner Räume zu geben.
Zu den wirtschaftlichen Problemen kamen schwerwiegende logistische Fehler vonseiten der Planer, die beispielsweise von einem Wachstum der privaten Automobilnutzung vergleichbar mit dem im Vereinigten Königreich in den 1960er- bis 1990er- Jahren ausgingen und so die verkehrstechnische Anbindung an das Zentrum und damit an den Arbeitsplatz vernachlässigten. Selbst im Jahr 1991 hatten 40 % der in Tallaght ansässigen Familien keinen Zugang zu einem Auto. Besonders für Frauen in den Vororten Dublins war diese Situation kompliziert, da das Familienauto morgens mit dem Mann verschwand und Frauen so extrem räumlich gebunden waren. Tallaght galt lange Zeit als Inbegriff der Isolation. So fehlten beispielsweise noch im Jahr 1991 in einem von 8.000 Menschen bewohnten Wohnkomplex in Killinarden, der vornehmlich aus Sozialbauten bestand, ein Supermarkt, Bekleidungsgeschäfte, medizinische und finanzielle Einrichtungen sowie eine Polizeistation. Viel wichtiger jedoch war das Versäumnis der Planer, die Bedeutung lokaler Beziehungen unter Menschen für das Funktionieren der Gemeinschaft anzuerkennen. Lang gewachsene Solidargemeinschaften unter Gemeindemitgliedern wurden durch die Suburbanisierung getrennt.
Urban Development von der Basis
Entgegen der widrigen Umstände entstanden in Tallaght Organisationen wie beispielsweise die Tallaght Welfare Society (TWS, 1969). Im Gegensatz zum DHAC im Stadtzentrum, dessen Fokus auf politisch motivierten Kampagnen lag, gehörte zur Zielsetzung der TWS die Bereitstellung lokaler Dienstleistungen wie Haushaltshilfen, Kinderbetreuung, Tagesstätten für Senioren oder Unterstützung bei der Beantragung von sozialen Dienstleistungen. Die TWS versuchte ihre Arbeit basisnah und demokratisch aufzubauen, indem sie jährlich Nachbarschaftsräte wählen ließ und andere Gemeindeinitiativen wie beispielsweise das Frauenhaus, die Traveller Development Groups oder das Arbeitslosenzentrum untereinander vernetzte.
Die Anstrengungen der sozialen Bewegungen der 1960er- und 1970er-Jahre waren wegweisend für ein Umdenken in der irischen Stadtplanung, weg von den alten Verfahren, hin zu einem neuen Verständnis der sozialen Bindungen innerhalb einer Gemeinschaft und zur Politisierung des Entscheidungsprozesses durch die direkte Partizipation der Betroffenen. Heute beherbergt praktisch jede der vielen Arbeitergegenden in Dublin lokale, partizipative und demokratische Institutionen und Dienstleister sowie Verwaltungseinrichtungen von Fördergeldern (Local Drug Task Forces und Partnerschaften), die stark an die TWS erinnern.
Institutionelle Experimentierphase
Während in den 1960er- und 1970er-Jahren die Entwicklung der Raumplanung in Dublin von oppositionellen Bewegungen geprägt war, sollte in den beiden darauffolgenden Jahrzehnten die Rolle des Staates in der Bereitstellung institutionalisierter Dienstleistungen in den Vordergrund rücken. Funktionen, die bis dahin häufig von Organisationen wie TWS erfüllt wurden, übernahm nun der Staat. Die Gemeinden suchten Zugang zu den staatlichen Fördergeldern, um lokale Projekte zu finanzieren, aber gleich zeitig die politische Eigenständigkeit zu bewahren. Durch den staatlich geförderten Aufbau einer Zivilgesellschaft sollten die Interessen der Bewohner bestmöglich gewahrt und gleichzeitig eine gewisse Kontrolle von NGOs, Partnerschaften und Initiativen durch den Staat erwirkt werden. So wurden beispielsweise formale Anforderungen und Qualifikationen von dem hier arbeitenden Personal gefordert.
Als problematisches Element der urbanen Entwicklung Dublins sollte sich insbesondere die stark lokale Konzentration der Organisationen erweisen. So konnten sich kaum stadtweite Netzwerke entwickeln, die in der Lage gewesen wären, großflächigere Projekte durchzuführen. Ein neuer Ansatz zur Vernetzung sozialer Bewegungen mit Lösungen über den Rand der Gemeinden hinaus scheint daher in Zukunft notwendig. Gerade in der Hauptstadt Dublin kristallisiert sich mehr und mehr eine Abkehr vom Begriff des Wohnrechts zum Begriff des „Stadtrechts“ heraus, das immer mehr Menschen in Anspruch nehmen wollen.
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