Im Gespräch mit Manfred Günterberg, Mitglied des Vorstandes der Wolfsburg AG
Wie sehen die Ziele der Stadt Wolfsburg vor dem Hintergrund der VW-Entwicklung aus? Sind diese durch Volkswagen getrieben oder unabhängig?
Wolfsburg ist natürlich eine selbstständige Stadt. Allerdings haben die Stadt und VW seit der großen Krise in den 90er-Jahren die Verantwortung für die Entwicklung gemeinschaftlich übernommen. Die Wolfsburg AG, als 50/50-Gesellschaft, ist bewusst gegründet worden, um das damalige Konzept zur Halbierung der Arbeitslosigkeit und Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur umzusetzen. Insofern steht VW nach wie vor zu dieser Verantwortung. Das können Sie auch an der Besetzung unseres Aufsichtsrates ablesen, wo der Finanzvorstand und der Betriebsratsvorsitzende des Konzerns sowie der Oberbürgermeister wesentliche Protagonisten sind.
Welche Herausforderung würden Sie für die Stadt in den nächsten Jahren im Zusammenhang mit der Beauftragung der Wolfsburg AG sehen?
Zunächst einmal muss man sagen, dass wir uns als Wolfsburg AG von fast allen Strukturentwicklungs- oder Wirtschaftsförderungsgesellschaften dahingehend unterscheiden, dass wir ein eigenes Geschäftsmodell haben. Das heißt, wir verdienen seit 16 Jahren unser Geld auf dem Markt. Das gibt uns natürlich auch ein Stück Freiraum, um Dinge zu pilotieren, die nicht auf rein finanziellen Profit ausgelegt sind, aber auf lange Sicht zu einer entsprechenden Strukturentwicklung beitragen.
Welche Herausforderungen sehe ich nun? Die Probleme haben sich in den letzten 15 Jahren umgekehrt. Wolfsburg hat mittlerweile nahezu so viele Arbeitsplätze wie Einwohner. Wir haben 75.000 Pendler jeden Tag und kommen damit auf eine Einwohnerzahl von ungefähr 200.000. Die Verkehrsinfrastruktur muss also dringend angepasst werden. Wir brauchen mehr Wohnraum. Der Oberbürgermeister hat das Ziel ausgegeben, bis zum Jahr 2020 6.000 neue Wohneinheiten zu schaffen. Und wir müssen natürlich weiter an unserem Image arbeiten. Wolfsburg hat zwar schon erhebliche Fortschritte gemacht, aber an dieser Stelle haben wir noch Nachholbedarf. Wir sind mitten im Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte. Und da wollen wir hier in Wolfsburg natürlich entsprechende Zeichen setzen.
Bezieht sich eine solche Ansiedlungspolitik auf die Region oder auf einen überregionalen Zuzug?
Deutlich überregional. Denn aus der Region heraus schaffen wir es einfach nicht. Wir haben in Wolfsburg eine Arbeitslosenquote von etwa 4,5 %, also nahezu Vollbeschäftigung. Somit sind wir drauf angewiesen, dass wir attraktiv werden für Menschen aus Süddeutschland, aus Ost- und Westdeutschland. Und hier müssen wir einfach noch stärker nach vorne gehen.
Das reine Schaffen von Wohnraum reicht demnach also nicht aus, oder?
Wohnraum gehört eher schon zur notwendigen Infrastruktur. Den muss man bieten, das bringt kein Alleinstellungsmerkmal. Was wir in Wolfsburg in den vergangenen Jahren aber geschafft haben, ist, den Freizeitwert und damit die Lebensqualität erheblich zu steigern. Das ist heute ein ganz wesentlicher Standortfaktor. Der Arbeitgeber ist wichtig, aber das Umfeld ist heute mindestens genauso ausschlaggebend. Hier haben wir sicherlich schon eine gute Entwicklung vorzuzeigen, allerdings dürfen wir nicht nachlassen, sondern müssen weiterhin an den nach wie vor vorhandenen Schwächen arbeiten.
Von welchen Schwächen sprechen wir genau?
Im Freizeitbereich haben wir deutliche positive Akzente setzen können. Was aber fehlt, ist eine attraktive Einkaufs- und Fußgängerzone. Gerade im Angebot des Einzelhandels haben wir nach wie vor Nachholbedarf.
Kann man diesbezüglich überhaupt gegen andere große Wett- Hamburg . bewerber gewinnen? Bei Wolfsburg denkt man ja schon als Erstes an viel Landschaft und fragt sich, wie seine Kinder hier mondän aufwachsen könnten.
Ich glaube, es geht weniger um mondän, als darum, ein attraktives Gesamtangebot zu schaffen. Bildung, Kultur, Infrastruktur, Gesundheitsversorgung gehören dazu. Auch das Thema Einkaufen ist ein ganz wichtiger Standortfaktor, den man befriedigen muss. Wir haben in Wolfsburg rund acht Millionen Touristen jährlich. Und da müssen wir schauen, dass diese möglichst viele Umsätze in der Stadt lassen. Zudem müssen wir das Hotelangebot deutlich ausweiten. Wenn Sie sich die Preise hier in Wolfsburg ansehen, dann liegen die auf Frankfurter Niveau. Deswegen haben wir am Wochenende Probleme, die Hotels zu füllen. Denn die Touristen sind nicht bereit, 200 Euro für eine Nacht in Wolfsburg zu zahlen. Die Leute kommen, aber uns muss es gelingen, sie über Nacht hier zu halten. Deswegen arbeiten wir mit Hochdruck an einer Verbesserung des Hotel- und Shoppingangebotes.
Kann man so weit gehen zu sagen, dass Wolfsburg mit den acht Millionen tatsächlich auch ein Tourismusstandort ist? Mittlerweile ja. Das zeigen uns alle Analysen ganz deutlich. Gibt es noch weitere Attraktionen, die man gerne in Wolfsburg ansiedeln möchte?
Ich kann nur sagen, Stillstand ist Rückschritt. Wir arbeiten ganz intensiv an anderen Attraktionsbausteinen. Wir haben ja nicht nur das Phaeno, sondern auch die Autostadt. Wir haben den Allerpark und das Outlet-Center. Das ist schon eine ganze Menge, aber wie gesagt wir arbeiten an weiteren Bausteinen.
Ist die Entwicklung des Outlet-Centers problemlos abgelaufen? Wie hat der Einzelhandel reagiert?
Die Realisierung des Centers hat sechs Jahre Arbeit gekostet und war durchaus nicht problemlos. Gerade am Anfang waren die Vorbehalte sehr groß. Sowohl vonseiten der Politik als auch des Einzelhandels. Heute hören Sie überhaupt nichts mehr davon. Ganz im Gegenteil, das Center wird als Bereicherung angesehen. Es bringt uns Gäste in die Stadt, die wir sonst nicht hätten, und der Einzelhandel profitiert davon. Das haben wir durch eine breite Beteiligung des Einzelhandels, der IHK und der politischen Vertreter erreicht. Die Ansiedlung des Outlets wird heute allseitig als wichtiger Erfolg für Wolfsburg gefeiert.
Hat das auch was mit Architektur zu tun?
Nicht so sehr mit Architektur, eher mit Städtebau. Wir haben in den 70-Jahren eine ehemals vierspurige Straße zu einer Fußgängerzone umgebaut. Und da können Sie sich vorstellen, dass die Breite nicht darauf angelegt ist, den Begriff „density“ zu untermauern. Ich glaube, man wird hier auch stadtstrukturell noch einmal herangehen müssen, um eine Einkaufsatmosphäre zu schaffen.
Aus meiner Perspektive braucht man immer starke Bilder, die das Image einer Stadt tragen. Gibt es in dieser Richtung Bemühungen?
Ja, aber wir wollen hier nicht nur Wolfsburg betrachten, sondern die ganze Region. In der letzten Woche hat der Aufsichtsrat der Regionalentwicklungsgesellschaft Allianz für die Region GmbH beschlossen, dass wir jetzt das Thema Regionalmarketing angehen. Da werden wir neue Akzente setzen müssen. Wir brauchen einen regionalen Internetauftritt. Wenn sich jemand für Wolfsburg interessiert, muss er auch sehen, was die Region zu bieten hat. Wir sind nun mal keine universelle Attraktionsstadt wie Berlin oder Hamburg. Wir müssen in bestimmten Nischen punkten und das wollen wir zum Beispiel auch über das Thema Mobilität tun. Denn Wolfsburg wird nun mal durch Volkswagen mit diesem Thema verbunden.
Wenn Sie von Region sprechen, wen beziehen Sie da mit ein?
Das sind die drei Städte Braunschweig, Wolfsburg und Salzgitter und die fünf umliegenden Landkreise Gifhorn, Peine, Helmstedt, Wolfenbüttel und Goslar. Wolfsburg und Braunschweig stehen auf Augenhöhe. Wolfsburg ist durch Volkswagen sicherlich der wirtschaftliche Motor. Aber Braunschweig darf nicht unterschätzt werden. Diese beiden Kommunen sind die Treiber des ganzen Prozesses, ungeachtet der politischen Fusionsdiskussionen. Eine Stadt wie Wolfsburg allein kann die ganze Breite gar nicht leisten. Man kann es wie eine Aufgabenverteilung unter Kommunen sehen. Wolfsburg wird nie eine Altstadt haben. In Braunschweig hingegen finden Sie eine sehr schöne Altstadt. Außerdem hat Braunschweig ein großes Dienstleistungsangebot. Dort sind auch öffentliche Behörden angesiedelt, die Wolfsburg so einfach nicht hat. Dieser Schulterschluss der beiden Städte, was die Regionalentwicklung angeht – und dazu haben sich die beiden Oberbürgermeister verpflichtet –, ist genau richtig.
Mobilität ist ja dann unausweichlich auch ein Bestandteil eines solchen regionalen Entwicklungskonzeptes. Wie will man das weiter vorantreiben?
Wir wollen Benchmarks setzen, was die intermodulare Vernetzung angeht. Bei uns am Bahnhof entsteht gerade ein Mobilitätszentrum – erst einmal als Test –, wo die verschiedenen Verkehrsmittel Schiene und Bus mit Individualverkehr, Auto und Fahrrad vernetzt werden. Darüber hinaus wollen wir eine Art Schnellradweg von Wolfsburg nach Braunschweig realisieren, um den Pendlerströmen neue Möglichkeiten zu eröffnen. Das sind rund 25 km und bevor ich mich eine Stunde in den Stau stelle, kann ich zum Beispiel mit dem E-Bike viel schneller da sein.
Regenerative Energien sind ja auch ein Leitgedanke, den Sie in die Kommunikation mit einbringen. Kann man das Thema auch in Richtung Benchmark denken?
Da bin ich immer etwas vorsichtig, wenn ich es im interkommunalen Vergleich bewerte. Wir verbinden die Themen regenerative Energie mit E-Mobilität, einem für den Automobilstandort Wolfsburg authentischen Thema. So sind wir Betreiber einer E-Tankstelle für Elektroautos. Die Tankstelle nutzen wir als Showroom, als Kommunikationsplattform und Infrastruktureinrichtung. Außerdem ist Wolfsburg aktiv im Schaufenster Elektromobilität Niedersachsen. Da geht es auch um den Aufbau einer modernen E-Ladeinfrastruktur. Wir wollen also schon Beispiele setzen und diese nach außen tragen.
Trauen Sie der Diskussion um eine substanziell nachhaltige Stadtentwicklung viel zu oder sind die Ansätze doch noch sehr unausgereift?
Ich glaube das Thema Nachhaltigkeit ist heute schon genauso oft missbraucht worden wie das Thema Innovation. Alle Entwicklungen berufen sich darauf. Aber natürlich, wenn ich heute Stadtentwicklung betreibe, muss diese nachhaltig sein. Anders habe ich gar keine Chance. Denn wenn ich private Investitionen hierher holen will – nehmen wir mal an, im Wohnungsbau –, dann muss sich der Investor auf eine nachhaltige und zielgerichtete Stadtentwicklung verlassen können. Passiert das nicht, haben wir ein Problem.
Ist das auch wichtiger Bestandteil einer qualitativen Kommunikation für diejenigen, die nicht nur Ansprüche an ihren Arbeitsplatz stellen, sondern auch an ihr Wohnumfeld?
Ja natürlich. Auch die erwarten qualitativ hochwertiges Bildungs- und Versorgungsangebot. Das heißt, dass zum Beispiel eine gute Kindergartenversorgung vorliegt, dass ein ausgezeichnetes Schulangebot vorhanden ist und so weiter. Das sind alles wichtige Aspekte, die heute für zuziehende Arbeitskräfte relevant sind. Man will sich schließlich nicht nur für ein Jahr niederlassen.
Wo könnte Wolfsburg aus Ihrer Sicht in zehn Jahren stehen?
Ich glaube, Wolfsburg hat in den vergangenen 15 Jahren schon Meilensteine gesetzt, was das Thema konzentrierte Stadtentwicklung angeht, und das werden wir auch in den nächsten zehn Jahren tun. Und wenn die Leute in zehn Jahren sagen, Wolfsburg hat es geschafft, die Einwohnerzahl in dieser Zeit um über 10.000 Einwohner zu steigern, und hat in der Stadtentwicklung neue Wege aufgezeigt, an denen sich andere orientieren können, dann wäre das eine Sache, auf die wir richtig stolz sein könnten.
Auf jeden Fall. Ich finde, das ist ein schönes Schlusswort.
Vielen Dank für das Gespräch.
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