Leerstände und Brachflächen finden sich in allen deutschen Städten und Gemeinden, egal ob schrumpfend oder wachsend. Sie begegnen allen Stadtbürger*innen alltäglich, gleichzeitig können sie unterschiedliche Raumnöte und Konflikte um die gebaute Umwelt lösen. Deswegen sorgen im Leerstandsmelder Bewohner*innen gemeinsam für Transparenz im Wissen um die ungenutzten Möglichkeitsräume.
Entstehung und Idee von Leerstandsmelder
Der Anfang des Leerstandsmelders liegt bereits mehr als sechs Jahre zurück. Im Zuge der Besetzung des Hamburger Gängeviertels im Jahr 2009 wurde im darauffolgenden Jahr die Idee eines Instruments zur kollektiven kritischen Kartierung und online Visualisierung von Leerständen entwickelt. Die Idee und Zielsetzung des Leerstandsmelder in Zeiten stetig wachsenden Nachfrageüberhangs von Räumen liegt auf der Hand: Ungenutzte Potenziale sollen sichtbar gemacht und als Möglichkeitsräume den ansässigen Menschen wieder zugeführt werden. Zugleich sollen diese Informationen kreative Nutzungsideen und damit einen nachhaltigen Umgang fördern. Dadurch wird ein gemeinsamer, für alle zugänglicher und von privaten oder städtischen Informationskanälen unabhängiger Daten- und Raumpool generiert. Durch diesen Grundgedanken erfolgt ein freier, offener und interaktiver Wissensaustausch, der die Informationsgleichheit zwischen den Nutzern*innen der Stadt und den Akteur*innen des Immobilienmarktes herzustellen versucht. Der Anspruch des Leerstandsmelders ist die Förderung der institutionell und politisch unabhängigen Teilhabe an Stadtentwicklungsprozessen und die Verringerung der Intransparenzen des Immobilienmarktes.
Technische Konzeption und Handhabung des Leerstandsmelders
Die Onlineplattform ermöglicht jeder Person nach einmaliger Anmeldung die Eintragung eines Leerstands. Neben der Ortsinformation können weitere Daten wie die Dauer des Leerstands, die Nutzungshistorie, Fotos und Anmerkungen eingepflegt werden. Als Resultat entsteht eine gemeinsam generierte, offene und interaktive Leerstandskarte. Zur Verbesserung und Aktualisierung der Daten können Nutzer*innen bestehende Einträge kommentieren oder Benachrichtigungen an die Administrator*innen abschicken, falls eine Editierung oder Löschung des Leerstands vonnöten ist. Durch diese Herangehensweise wird stetig neues Wissen über Leerstände eingepflegt, gemeinschaftlich genutzt, verändert und korrigiert.
Eine wichtige technische Neuerung betrifft die Entwicklung der Leerstandsmelder-App, welche in Kürze abgeschlossen sein wird. Durch diese Anwendung für mobile Geräte wird es den Benutzer*innen möglich sein, einfach und komfortabel Leerstände direkt aus dem Stadtraum einzutragen. Zudem wird die Homepage optimiert und mit erweiterten Funktionen ausgestattet.
Reichweite und Struktur des Leerstandsmelders
Mittlerweile gibt es den Leerstandsmelder in 30 Städten von Rostock bis Basel. Die Betreiber*innen sind überwiegend ehrenamtlich oder gemeinnützig arbeitende lokale Initiativen und Vereine mit unterschiedlichen Schwerpunkten: Sie setzen sich u. a. politisch für eine Entspannung des Wohnungsmarktes ein und stellen sich gegen neoliberale Stadtentwicklung, sie realisieren kulturelle (Zwischen-)Nutzungen, engagieren sich für den Schutz von Baudenkmälern und treten für eine nachhaltige Nutzung der gebauten Umwelt ein. Die Gruppen sind miteinander vernetzt und treffen sich zum regelmäßigen Austausch zu Kongressen wie dem „LEERgang“ und Workshops. Die unterschiedliche Zusammensetzung und jeweils eigene thematischen Zielsetzung der Akteur*innen bedingt eine hohe Reichweite und Informationsdichte. Zudem zeugt die hohe Aufmerksamkeit der Medienberichterstattung von der überregionalen, gesellschaftlichen Bedeutung des Leerstandsmelders.
Bedeutung und des Leerstandsmelders
Die Stärken des Leerstandsmelders werden durch mehrere Aspekte deutlich: Zum einen sorgt der offene Charakter als kollektives Webmapping-Tool für ein gesteigertes Bewusstsein für die Leerstandsproblematik und Transparenz in der jeweiligen Stadt. Das Informationsgefälle zwischen RaumnutzerInnen, EigentümerInnen, der Immobilienwirtschaft und der Politik wird auf diesem Wege verringert und führt bestenfalls zu einer Aktivierung und bottom-up-Einbindung der Bewohnerschaft. Gleichzeitig kann der Leerstandsmelder auf das Bewusstsein von EigentümerInnen einwirken, zur Öffnung und Nutzung von Leerständen animieren und den Druck auf die politischen Einflusssphären der Stadtentwicklung erhöhen.
Eine weitere herausragende Bedeutung liegt in der Kartierung von Leerständen selbst: In vielen Städten sind Leerstände nicht einheitlich und konsequent erfasst bzw. kartiert. Nicht ohne Grund beklagt der BBSR „einen deutlichen Verbesserungsbedarf bei Leerstandserhebungen. Bisher besteht keine kontinuierliche, amtliche Erfassung der Wohnungsleerstände in Deutschland. Nicht-amtliche Erhebungen sind entweder räumlich begrenzt, nur für bestimmte Gebäudesegmente verfügbar oder aber über Stichproben ermittelt“. Der Leerstandsmelder kann aufgrund seiner Erfassungsmethodik und seiner begrenzten Mittel zwar nicht als vollständiges und absolut valides Leerstandskataster betrachtet werden, jedoch wird er mittlerweile auch seitens der öffentlichen Hand verwendet, wie z. B. die Stadtverwaltungen Bremen, Berlin und Kaiserslautern.
Zukünftige Perspektiven des Leerstandsmelders
Dem Entstehungsmoment sowie den Ambitionen und Zielen nach kann der Leerstandsmelder als ein neues Format und Instrument für eine Stadtentwicklung von unten interpretiert werden. Allerdings ist damit das Potential des Leerstandsmelders noch lange nicht ausgeschöpft. Besonders die stadtplanerische Integration eines solchen open-source und kollektiven Mappingtools und die aktivierende Wirkung der Informationssammlung bürgerinitiierter Wissensbestände auf den städtischen Raum stehen damit erst am Anfang. Die inneren Beziehungen zwischen neuen Medien, crowdsourcing Technologien und Stadtraum werden in Zukunft in vielfachen Themen an Bedeutung gewinnen und die Stadt der Zukunft mitgestalten. Die gegenseitige Verschränkung von crowdsourcing und kommunalen Datenbeständen kann zu einem erfolgreichen und zukunftsweisenden Leerstandsmanagement auf Augenhöhe führen. In Hinblick auf stetig wachsenden Bedarf von Möglichkeitsräumen – sei es in Form von (bezahlbarem) Wohnraum, niedrigschwelligen Entfaltungsräumen für Gewerbetreibende sowie Kunst- und Kulturschaffende oder als Unterbringungsmöglichkeit für Flüchtlinge und Wohnungslose – kann der Leerstandsmelder als ein Instrument dienen, um die aktuellen Anliegen und Forderungen nach Räumen als „shelter for all“ strategisch zu thematisieren.
Benjamin Kashlan
ist Dipl.-Geograph und betätigt sich in den Bereichen Geoinformationswesen und Stadtentwicklung (Leerstandsmelder, Hamburg/Mainz; Schnittstelle5 // Raum für Stadtentwicklung und urbane Projekte, Mainz)
Gregor Arnold
ist Dipl.-Geograph und arbeitet seit 2011 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geographischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz. Von 2011 bis 2013 war er als Projektmitarbeiter in diversen Planungsbüros tätig. Aktuell promoviert er über den Umgang mit Leerständen und Stadtentwicklung in prosperierenden Großstädten Deutschlands (Leerstandmelder, Mainz; Schnittstelle5 // Raum für Stadtentwicklung und urbane Projekte, Mainz).
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