NEUE RÄUME EROBERN

Arbeit organisiert sich neu. In einer komplexen, hoch vernetzten Welt bildet auch sie immer mehr Netzwerk-Strukturen aus. Vor allem die Wissensarbeit entwickelt sich vielerorts zu echter Kollaborativarbeit. Sie findet in unterschiedlichsten Clustern, Projektgruppen und wechselnden „Wir-Konstrukten“ statt. Das lässt neue Orte und Vernetzungs-Plattformen in und außerhalb von Unternehmen entstehen.

Ihren angestammten Platz hat Arbeit schon lange verlassen. Statt nur auf Äckern, in Fabriken oder im Büro findet sie längst auch im »Zwischendurch« statt: Gedacht, entwickelt und geplant wird im Homeoffice, im Auto, am Flughafen oder per Videokonferenz. Trotzdem sind für viele Denk-Arbeiter ihre Ziele noch fix, die Prozesse klar und ihr Unternehmen eindeutiger Bezugspunkt aller Aktivitäten. Das wird sich in Zukunft ändern, denn eine vernetzte und agile Arbeitswelt wird uns vermehrt ein Arbeiten in temporären, uneindeutigen und selbstorganisierten Strukturen, Teams und Organisationen abverlangen. Nicht ,um es uns schwerer zu machen als nötig, sondern als Antwort auf die unklaren, schnell wechselnden Anforderungen einer komplexen Welt mit unruhigen und volatilen Märkten. Um darauf angemessen und vor allem schnell reagieren zu können, werden wir uns künftig anders organisieren müssen. Das bedeutet uns zusammenzuschließen und so etwas wie »soziale Gehirne«, Kollaborations-Konstrukte verschiedenster Art auszubilden. Sowohl in bestehenden Organisationen als auch zwischen ihnen. Und im freien Feld all derjenigen, die gewollt oder ungewollt zwischen selbständigem Ich-Unternehmer und modernem Tagelöhner oszillieren.

Innovationsarbeiter versus Human Cloud

Die Arbeit in der kollaborativen Ökonomie findet im Spannungsfeld zwischen Effizienz und Innovation statt. Das segmentiert den Arbeitsmarkt: Während Unternehmen für kreative Kernaufgaben händeringend geeignete Talente mit Netzwerkfähigkeiten suchen, drohen Angestellte mit »Standardkompetenzen« austauschbar und Teil einer gesichtslosen »Human Cloud« zu werden. Wie viele Menschen das in Zukunft betrifft, weiß niemand so genau, denn es steht in den nächsten Jahren eine schwer einschätzbare Konkurrenz in den Startlöchern: Algorithmen. Automatisierte Prozesse werden in Zukunft viele Aufgaben übernehmen und Menschen an immer mehr Stellen ablösen. In der Versicherungsbranche, so rechneten die Berater von McKinsey jüngst vor, könnten in den nächsten zehn Jahren rund ein Viertel aller Jobs wegfallen. Die neue Konkurrenz bedroht erstmals aber nicht nur einfache Jobs und Geringqualifizierte: Seit Monaten führen Roboter vor, wie sie juristische Recherchen durchführen, journalistische Texte schreiben und medizinisch präzise Einschätzungen vornehmen können. Die Human Cloud könnte somit in Zukunft größer werden als gedacht. Kollaboration wird in diesem stark wettbewerbs- und effizienzorientiertem Bereich des Arbeitsmarktes daher vollkommen anders aussehen als im innovativen High-end Bereich von Arbeit.

Doch wo und wie findet Kollaboration heute bereits statt? Welche neuen Konstrukte der Zusammenarbeit entstehen – und welche Räume erobern sie sich? Vier Phänomene sollen das illustrieren:

Innovations-Inseln

Unternehmen wissen, dass Innovation Kommunikation braucht. In vielen Konzernen und bei manchem Mittelständler entstehen deshalb neue Raumzonierungen und -konzepte. Farbe, ungewöhnliche Formen und offene Büromöbelsysteme sollen Gemeinsamkeit und Offenheit stimulieren und zu neuen Ideen anregen. Doch während es bei Google, Apple, Facebook und Co. längst schon zur Normalität gehört in nachgebauten Almhütten, auf Sitzbällen und Liegestühlen zu konferieren und zu brainstormen, wirken die Kreativzonen großer Konzerne trotz ansprechendem Mobiliar oft ein wenig steril. Zu deutlich zieht der Hauch der alten Individual-Kultur durch viele Flure. Viele Unternehmen brechen daher aus ihren eigenen Strukturen aus, gehen dorthin, wo das kreative Leben ist. Sie eröffnen abseits des Firmensitzes und oft an ganz neuen Standorten Innovationslabs, Inkubatoren und Hubs mit Platz und Kapazität für die eigene Innovationselite und je nach Konzept auch für externe Start ups.

Ideen-Cluster

Um auch »zufällige« Begegnungen, Kooperationen und Co-Kreation anzuregen, entstehen immer öfter ganze Innovationscluster. Sie sind gewissermaßen hochpotente »Möglichkeitsräume« für Vernetzung und Zusammenarbeit. Solche Ökosysteme für Innovation sind zum Beispiel das Silicon Valley oder die Region um Tel Aviv in Israel. Sie bewusst zu entwickeln ist kein schnelles und einfaches Unterfangen – und sehr investitionsintensiv. Trotzdem versuchen manche Investoren auch in Deutschland groß zu denken. So soll zum Beispiel 2017 im Großraum Rhein Main das »SmartCITY Silicon Valley of Europe« entstehen. Hier will man Platz für 10.000 Menschen schaffen, die auf 250.000 m2 zusammenarbeiten und wohnen können.

Sinn-Verbund

Im Verbund gearbeitet wird auch in Co-Working-Spaces. Zwar werden sie mittlerweile auch von Unternehmen gebucht, das (kreative) Arbeiten in gemeinsamen Räumen ist aber vor allem ein Konzept für Freiberufler, Selbstständige und Jungunternehmer. Meist geht es dabei um weit mehr als nur einen Arbeitsplatz zu mieten. »It´s not an office, it´s a collective.« beschreibt zum Beispiel der Co-Working Anbieter »The Fuelled Collective« in New York sein Angebot. Dass eine dezidierte Haltung hinter Co-Working steht, zeigt auch das Manifest der Co-Working-Bewegung: »Um eine nachhaltige Gemeinschaft zu entwickeln, die auf der Basis von Vertrauen funktioniert, schätzen wir Kollaboration mehr als Konkurrenz, Gemeinschaft mehr als Agenden, Partizipation mehr als reines Beobachten, Freundschaft mehr als Formalitäten«. Doch der Markt ist bunt. Neben reinen Sinn-Kollektiven drängen inzwischen auch stärker kommerziell ausgerichtete Anbieter und Ketten auf den Markt, die ihre Standorte teils weltweit aufbauen. Und das übrigens fürs Leben und Arbeiten gleichermaßen: In den USA sind bereits die ersten Co-Living-Anbieter am Start.

Koordinations-Plattformen

Je mehr sich Arbeit von realen Orten entkoppelt, desto häufiger werden Online-Plattformen zu Fixpunkten und Räumen für die Koordination und Abwicklung von Jobs. Im Segment der »Human Cloud« kann das aussehen wie beim »Mechanical Turk« von Amazon (mturk.com). Um zu echter Kollaboration zu kommen, muss man dafür aber nicht nur ansprechende Oberflächen und Interaktions-Schnittstellen designen, sondern vor allem die Strukturen im Hintergrund weiterentwickeln. In den USA laufen bereits erste Experimente, bei denen sich »Clickworker« zu Kollektiven zusammenschließen: Statt sich nur über Plattformen vermitteln zu lassen, werden sie deren Eigner und bilden so etwas wie Genossenschaften.

All diese Kollaborations-Konstrukte sind Versuche, für die zunehmende (digitale) Vernetzung der Welt passende Antworten und vor allem Arbeitsstrukturen zu finden. Ob sie passend und zukunftsfähig sind, werden wir gemeinsam herausfinden müssen.


Kirsten Brühl

arbeitet als Zukunftsforscherin für das Zukunftsinstitut Frankfurt/Wien. Ihre Schwerpunkte dort sind die Zukunft der Arbeit und New Leadership. Unter dem Titel »LinkingMinds« bietet sie darüber hinaus in eigener Praxis Coaching und Beratung für die Arbeitswelt von morgen an. Aktuell beim Zukunftsinstitut erschienen ist ihre Trendstudie „Die neue Wir Kultur“ (2015). Ihren Fokus auf die Zukunft und einen »Digital Mindset« entwickelte sie schon in den 90er Jahren als sie eine der ersten E-Consulting Agenturen Deutschlands mit aufbaute. Traditionelle Beratungspraxis sammelte die studierte Volkswirtin danach am Malik Management Zentrum St. Gallen, Schweiz.

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