INTELLIGENTE CITYLOGISTIK UND NEUE MOBILITÄTSKONZEPTE

In weniger als 25 Jahren wird sich die Zahl der in Städten lebenden Bevölkerung verdoppeln. Gleichzeitig wird der Stadtverkehr aufgrund des zunehmenden E-Commerce erheblich wachsen. Was bedeutet dies für künftige Citylogistik-Konzepte?

Citylogistik erfordert die Unterstützung von Stadt und Bürgern, die sich der geschilderten Situation bisher nur teilweise bewusst sind. Citylogistik-Konzepte müssen ganzheitlich erdacht und entwickelt werden. Der Prozess an sich ist an dieser Stelle erst einmal wichtiger als das Ergebnis. Die Situation wird zunehmend komplexer, da sich zur Frage der Urbanität nun auch die Frage des E-Commerce gesellt hat. In diesem Segment wächst das Volumen schnell und infolgedessen auch das Verkehrsaufkommen. Auf diese Entwicklung sind unsere Städte noch nicht ausreichend vorbereitet: Entweder mangelt es an Dialogplattformen oder die vorhandenen werden nur unzureichend genutzt. Der Austausch ist jedoch von essenzieller Bedeutung, da das Expertenwissen nicht nur von Stadtverwaltungen oder Städteplanern bereitgestellt wird, sondern auch von der Transport- und Logistikindustrie sowie dem produzierenden Gewerbe, wie z. B. von Automobil- und Technologiekonzernen. Neben dieser Wissensseite gibt es natürlich auch die Erwartungsseite; d. h. die Seite der Bürger, die ebenfalls an den „Tisch“ müssen. Zukunftsfähige Logistikkonzepte basieren im Kontext der verschärften Situation auf mehr Dialog und Zusammenarbeit. Was wir brauchen, sind intelligente und gemeinsam getragene Lösungen.

Was verstehen Sie unter sogenannten „intelligenten City-logistik-Plattformen“?

Intelligent impliziert „datenbasiert“. Das ist für mich der Kern intelligenter Modelle im Bereich Citylogistik. Um dorthin zu gelangen, muss der Lebens- und Wirkungskreis Stadt selbst intelligent werden, d. h., er muss kontinuierlich Daten generieren und diese den entsprechenden Akteuren bereitstellen können. Die Daten sind zur Steuerung und Analyse erforderlich: Die Ist-Daten-Analyse ermöglicht der Logistikindustrie beispielsweise, Touren zu planen und auf Störungen kurzfristig zu reagieren. Städteplaner erhalten über Datenanalysen ein objektives Bild über tatsächliche Verkehrsflüsse in der Stadt. „Intelligent“  beschränkt sich jedoch nicht nur auf Verkehrsmittel, sondern bezieht sich auch auf Güter. Das „Internet der Dinge“ bedeutet, dass die Dinge intelligent werden, dass sie miteinander verbunden Daten und Informationen abgeben, aufnehmen, austauschen und teilweise sogar auswerten. Die Verkehrssituation kann nicht nur durch die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur abgebildet werden, sondern auch mithilfe weiterer intelligenter Dinge wie z. B. Mobiltelefone, die zusätzliche Daten abgeben. Diese können beispielsweise zur Situationsvalidierung genutzt werden. Darüber hinaus können sie ebenfalls zur Analyse der Fußgängersituation dienen, die u. U. auch eine Rolle im Mobilitätskalkül spielen kann. Intelligent heißt für mich aber auch „wirtschaftlich“ und „sozial- bzw. umweltverträglich“. Es geht nicht nur um die rein technische Seite. Intelligenz heißt auch Optimierung. Optimale Verkehrsflüsse führen zu einem geringeren CO2-Austoß. Hier wirken auch alternative Antriebe, wie der Einsatz von Elektrofahrzeugen, Lastenrädern etc. „Intelligent“ bedeutet gleichzeitig auch systemisch. Wir müssen über die direkte Logistik hinaus darüber nachdenken, wie wir das System Stadt als Ganzes entlasten können. Zuletzt bedeutet „intelligent“ auch konsequent zu sein und die auf Analyse basierten gemeinsam entwickelten Erkenntnisse und Modelle auch wirklich umzusetzen.

Für die jüngere Generation ist das eigene Auto mittlerweile kein Statussymbol mehr. Hingegen wird der ÖPNV in Metropolen oder sogenannten Schwarmstädten immer stärker angenommen. Könnte diese Entlastung bereits Vorteile für den Güterverkehr bringen?

Ich begrüße die aktuelle Entwicklung, denn in Anbetracht der Belastung durch Zivilisation und der Menschendichte auf unserem Planeten müssen wir nach optimaleren Nutzungen von (Transport-) Kapazitäten suchen. Die Entlastung angesichts des Trends, auf das Auto zu verzichten, ist sicherlich spürbar. Trotzdem sollte man sich nicht gänzlich auf diese positive Entwicklung verlassen, sondern sie aktiv nutzen, um weitere Verbesserungen in der Mobilitätswelt zu erdenken und umzusetzen: Politik und Wirtschaft könnten sich beispielsweise mit den jüngeren Menschen zusammensetzen, um zu erfahren, wie sich diese die Mobilität der Zukunft vorstellen. Wir sollten die Energie und die Kreativität, aber auch die Masse der Jugend nutzen, um Impulse für neue Konzepte zu erhalten und die Bereitschaft zur Veränderung zu fördern. Ich denke hier v. a. an innovative Ansätze von Städten wie Helsinki, die mittels neuer Plattformen die erhebliche Verringerung des Individualverkehrs anstreben. Derartige Absichten und Realexperimente erfordern digitale Infrastruktur. Jede neue Mobilitätsinfrastruktur lässt sich für verschiedenste Bereiche des Transports nutzen. Durch kontinuierliche Erweiterung entsteht eine Art Eco-Lab: Durch Veränderung der Rahmenbedingungen im Mobilitätslabor entstehen neue innovative Prozesse und Anwendungen. Diese Dynamik kann die Reise in Richtung intelligente Stadt beflügeln.

Welche Konzepte erscheinen Ihnen in der Belieferung von Metropolen sinnvoll?

Im Weltwirtschaftsforum arbeiten wir mit den Partnern seit Jahren im Bereich der autonomen Mobilität. Das heißt Fahrzeuge und ihre Routen werden nicht mehr vom Menschen gesteuert und festgelegt, sondern durch Interaktion verschiedener Fahrzeuge im System gelenkt. Dies führt zu einer kontinuierlichen Optimierung des Systems. Hierzu gibt es bereits einige Tests, wie z. B. die Robo-Taxen. Uber experimentiert in Pittsburgh und auch in Singapur wird getestet. Wir sprechen also nicht nur über Gedankenkonstrukte, sondern wir befinden uns bereits mitten in der Erprobungsphase. Die Simulationen zeigen: Je konsequenter die Umsetzung, desto größer der Effekt. Sprich, solange ein Mischsystem aus autonomen Fahrzeugen und Individualverkehr existiert, wirkt der Individualverkehr disruptiv. Das autonome System muss den Individualverkehr permanent beobachten und Abschätzungen ins Kalkül mit einbeziehen. Dies ist suboptimal. Die Konzepte im Bereich der autonomen Fahrzeuge beziehen zunehmend die Beförderung und Zustellung von Waren mit ein. Auch im Bereich der Antriebe wird getestet. Nehmen wir beispielsweise Göteborgs „Electric City“: Hier pendelt ein Elektrobus zwischen zwei Universitätsgeländen. Dieser Bus ist nicht nur ein Beförderungsmittel, sondern auch ein Lebensraum des neuen Stils. Aufgrund seines elektronischen Antriebs, der kaum Geräusche verursacht, kann der Bus sogar in die Bibliothek fahren. Dass Verkehrsmittel in Gebäude fahren, ist zwar prinzipiell nicht ungewöhnlich, denken Sie nur z. B. an Züge. Neu an diesen Indoor-Konzepten ist, dass Elektrobusse in Zukunft z. B. direkt in Kaufhäuser fahren, um Menschen aufzunehmen, die ihre Einkäufe bequem in entsprechende  Güterkompartements einstellen werden können. Solche Busse können auch beliebig verlängert werden – dies erhöht nicht nur die Flexibilität, sondern reduziert, wie beim Lkw-Platooning, auch den Energiebedarf. Hierbei werden verschiedene Lkw miteinander digital vernetzt. Der erste Lkw fährt und die dahinter liegenden werden im digitalen Strom mitgezogen. Dies führt zu einer signifikanten Reduzierung des Treibstoffverbrauchs und CO2-Ausstoßes. Der Bus würde so zur flexiblen Straßenbahn, potenziell mit Cargo-Abteil. 

Sie haben einige internationale Städte genannt, die solche Konzepte erproben. Welche Rolle nimmt Deutschland in diesem Kontext ein?

Deutschland nimmt bei der Technologie eine führende Rolle ein. Die autonomen Metrolinien in Paris fahren mit deutscher Technologie. Natürlich experimentieren Automobilhersteller wie Volkswagen, Audi und Mercedes Benz mit verschiedenen Formen des autonomen Fahrens. Auch deutsche Städte experimentieren. In Hamburg erprobt z. B. Hermes in Kooperation mit Starship Technologies den Einsatz von rollenden Robotern. Zu berücksichtigen ist, dass Deutschland ein sehr auf Sicherheit bedachtes Land ist, das sich mit der Umsetzung neuer und wenig erprobter Konzepete immer etwas schwertut. Auch hier kann Dialog helfen, mehr Vertrauen zu schaffen.

Inwiefern sind auch kleine und mittelgroße Städte von der Zunahme des Verkehrs und insbesondere von der Zunahme des Warenverkehrs betroffen? Könnten diese Kommunen künftig eine entlastende Rolle übernehmen und würden sie so auch in ihrer Bedeutung gestärkt werden?

Das ist am Ende eine Frage des Gesamtkonzeptes. Lager in der Nähe von Großstädten zu platzieren macht Sinn und hilft u. U auch umliegenden Kommunen. Allerdings haben Stadtverwaltungen und Kommunen unterschiedliche Wählerschaften mit verschiedenen Situationen und Interessen. Das hilft nicht bei der Konzeption übergreifender Lösungen. Die Schwierigkeit der Kommunen ist, dass es sowohl für den Handel als auch für Transportunternehmen wenig attraktiv ist, vor Ort präsent zu sein. Folglich nimmt das Verkehrsaufkommen zu, weil für jedes Brötchen große Strecken überwunden werden müssen. Lager am Rand größerer Einzugsgebiete, die z. B. über Drohnen geringer besiedelte Regionen versorgen, könnten zu höherer Lebensqualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgungsmodelle beitragen. Wichtig: Drohnen sehe ich persönlich im Wesentlichen im Bereich der Versorgung ländlicher Regionen. Dort bestehen weniger Sicherheitsbedenken und die ökonomischen Bedingungen sind vorteilhafter.

Im Personenverkehr verbindet das Mobility-on-Demand-Konzept verschiedene Transportmittel und ermöglicht einen multimodalen Trip, der unkompliziert, kosten- und zeitsparend ist. Welche Möglichkeiten gibt es im Güterverkehr, Transporte intelligent zu bündeln?

Die Mehrheit der Güter wird per Lkw bewegt; einiges kommt auch über die Schiene zu den Städten. Das kann alles zentral am Rand eines Ballungszentrums gebündelt werden; und diese Idee ist auch nicht neu. Die Bündelung erfolgt nicht nur am Rand von Städten, sondern prinzipiell in der Nähe der verschiedensten Zentren mit hohem Lieferbedarf, wie z. B. an Flughäfen: Dort gibt es teilweise Dienstleister, die Warenlager betreiben, welche von allen beliefert werden. Die angelieferten Waren werden dann im Lager auf die einzelnen Empfänger gebündelt und optimiert ausgeliefert. Digitale Plattformen ermöglichen neue Modelle der Identifizierung und Einbeziehung von Leerkapazitäten. Auch Privatpersonen können á la Uber in den Transportprozess einbezogen werden.

Der Aufbau intelligenter Konzepte basiert auf der Bereitstellung von (Echtzeit-) Daten. Welche Anforderungen muss eine allgemein taugliche Software zur Unterstützung erfüllen?

Wir müssen vermeiden, dass wir mit verschiedenen Standards arbeiten. Ein Mangel an Standardisierung erhöht die Komplexität und verringert die Stabilität. Ich denke, dass es weniger die Software ist, die möglichen Entwicklung im Wege steht. In der Zeit von Apps und OpenSource gibt es viele Möglichkeiten, gute Lösungen zu finden oder zu kreieren. Trotzdem braucht die Entwicklung von Technologien Zeit. Das Thema Software ist im Kontext intelligenter Konzepte ein Puzzlestück von vielen.

Welche Rolle spielt der Bund vor diesem Hintergrund? Dass wir neue Konzepte benötigen, ist einem Großteil der Bevölkerung bewusst. Denken Sie, dass es hier trotzdem noch Aufklärungs- und Sensibilisierungsbedarf gibt?

Die Aufgabe des Bundes liegt für mich in der Entwicklung der Vision, der Förderung der Forschung, in der Erstellung von Hilfsmitteln zur Mobilitäts- und Städteplanung und ggf. in der Unterstützung und bei der Implementierung von Citylogistik- Konzepten. Der Bund muss den Rahmen setzen, der genügend Freiraum lässt, auf individuelle Situationen eingehen zu können, denn kaum eine Stadt gleicht der anderen. Daneben kann der Bund eine große Rolle in der Sensibilisierung und Aufklärung der Bürger spielen. Eine ganze Reihe von Waren wird in unsere Städte transportiert; sei es Baumaterial für den Umbau des Kindergartens oder die Schuhe, die per Mausklick online bestellt wurden. Die daraus resultierenden logistischen Konsequenzen sind nicht jedem bewusst. Die gesamte Mobilitätsproblematik sollte viel bewusster erlebt werden. Das gelingt z. B. über Projekte wie Electric City in Göteborg. Viele Stakeholder und Beteiligte haben hier über einen langen Zeitraum diskutiert, wie das Leben in der Stadt verbessert werden kann. Die Welt des Transports mit allen Vorzügen und Gestaltungsmöglichkeiten muss verstärkt in das Bewusstsein der Menschen und Akteure rücken.

Das Konzept der Bundesgartenschau hat sich sehr bewährt, um für die Schönheit von Städten zu werben. Wie wäre es mit einer Bundesmobilitätsschau, auf der Städte innovative Projekte aus- und vorstellen können? Es gibt bereits viele gute Schritte in die richtige Richtung. Trotzdem sollten wir es wagen, noch viel größer zu denken.

Apropos „wagen“: Wagen Sie doch einmal einen persönlichen Blick in die Zukunft: Wie sieht die Stadt der Zukunft in 20 oder 30 Jahren aus? Wie kommen wir oder unsere Waren von A nach B?

Vielleicht müssen wir künftig nicht mehr – oder viel seltener – von A nach B. Städte variieren nicht nur von Stadt zu Stadt, sondern auch von Land zu Land – das hat mit Kulturen zu tun. In Singapur, Helsinki oder Dubai gehen die Menschen viel offener mit innovativen Konzepten um. In Deutschland sind wir eher vorsichtig und konservativ. Was ich für die Zukunft hoffe ist, dass die Stadt von morgen gemeinsam gestaltet wird. Ich wünsche mir, dass die Stadt von morgen eine Zukunftsgemeinschaft ist, die bewusster mit den Themen Städtemobilität und Citylogistik umgeht und kontinuierlich an der Gestaltung des gemeinsamen Lebens- und Wirkungsraums arbeitet. Ein gewisses Ausmaß an autonomem Transport ist zu erwarten. Aufgrund von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben wie E-Lkw, E-Zustellungsfahrzeugen, E-Bikes etc. werden wir die innerstädtischen Emissionen stark reduziert haben. Die Welt wird multimodaler. Daneben wird sich ggf. auch unser Konsumverhalten verändern: Vielleicht werden wir aufgrund virtueller Realität weniger Mobilität benötigen. Das gilt weder für alle Lebensbereiche noch für alle Menschen; dennoch könnten viele Wege aufgrund virtueller Erfahrungswelten, die wir künftig auch zu Hause entdecken können, eingespart werden. Warum in den Zoo gehen, wenn ich zu Hause virtuell durch den Serengeti-Nationalpark wandern kann? Lernen und ärztliche Diagnose auf Distanz werden ebenfalls zur Reduzierung des Verkehrs beitragen. Unser Zuhause wird sich durch Innovationen und neue Technologien maßgeblich verändern. Das wird sich ebenfalls auf die Mobilität in der Stadt und darüber hinaus auswirken.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.


Das Interview führte Susanne Peick


Wolfgang Lehmacher

ist internationale Führungskraft und Experte im Bereich Logistik. Zu den Stationen seiner Laufbahn in der Wirtschaft und bei Internationalen Organisationen zählen die Positionen als Präsident und CEO von GeoPost Intercontinental und Vorstandsmitglied bei GeoPost, der Expresspaket-Holding von Groupe La Poste. Zurzeit ist er als Head of Supply Chain and Transport Industries beim World Economic Forum tätig. Lehmacher berät Unternehmen, unterstützt Start-ups und ist Autor verschiedener Bücher.

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