ÜBER BUDEN- UND KIOSK-KULTUR

Regina und Dirk Boretzki in ihrem „Kult-Kiosk Boretzki“ in Bochum

Frau Boretzki, welche Bedeutung hat die Kiosk-Kultur für unsere Städte?

Die Kiosk-Kultur ist essenziell für Städte. Ein Kiosk ist ein sozialer Treffpunkt. Hier wird getratscht und gequatscht. Jeder Kiosk hat tolle Stammkunden – wir auch – die kommen jeden Tag vorbei. Dann geht es um Sport, Politik, Kirche. Das sind die Top-Themen – alles, was gerade brennt eben. Gerade hier im Ruhrgebiet haben die Kiosks, Trinkhallen oder Selterbuden eine lange Tradition. Die kam natürlich durch den Bergbau. Die Bergarbeiter haben sich nach Feierabend hier hingestellt und sich ein Bierchen geholt – zum Teil haben die sich auch richtig versorgt über die Buden.

Was ist das Besondere an Ihrem Kiosk, dem Kult Kiosk in Bochum?

Ich denke, dass die lange Historie zentrale Rolle spielt. Herr Kortmann, der den Kiosk viele Jahrzehnte führte, der war sehr stark mit dem VfL Bochum verbunden. Hier wurden sogar Spielerverträge unterschrieben, sagt man! Ein zweiter wichtiger Punkt ist in der Tat die Funktion als sozialer Treffpunkt – im Kiosk trifft sich die Nachbarschaft, das Quartier. Das Besondere ist die bunte Mischung. Vom harten Malocher bis hin zu Typen, die mit dicken Autos vorfahren, ist alles dabei. Und jeder quatscht gerne mit jedem. Diese Ansammlung von unterschiedlichsten Menschen und dieser direkte und persönliche Austausch untereinander, den finde ich immer noch bemerkenswert.

Gibt es einen Bestseller im Kult Kiosk?

Kaltgetränke und Bier sind natürlich der Klassiker. Aber wir haben auch unsere berühmt-berüchtigte Sonntagsabteilung: Rotkohl, Haferflocken, Apfelmus, Champignons, Fischdosen, Handcreme, Deo – so ziemlich alles eben. Die Tante-Emma-Abteilung ist am Sonntag manchmal die letzte Rettung. Wir haben auch schon mal Backpapier mit rausgegeben, weil ein Kunde dringend den Kuchen für die Schwiegereltern backen wollte.

Nun wird das Kult Kiosk bald einem Neubauprojekt weichen. Wie reagieren die Menschen auf die Schließung?

Die Reaktionen waren sehr beeindruckend. Es gab eine Unterschriftensammlung mit über 2.000 Unterschriften, die von überall her kamen. Aus Essen, aus Dortmund, aus dem ganzen Ruhrgebiet. Das hat zwar leider nichts gebracht, aber daran haben wir gemerkt, dass selbst Menschen, die gar nicht zu unserem Kundenstamm gehören, am Bestand der Kiosk-Kultur ein Interesse haben. Das Traditionelle und Ursprüngliche scheint wichtig – auch heute noch.

Was wird Ihnen als Besitzerin besonders fehlen am Kult Kiosk?

Mir wird dieser Kiosk vor allem als Gesamtpaket fehlen. Ein Schmankerl, an das ich mich wahrscheinlich lange erinnern werde, sind die Fliesen vom alten Bochumer Stadtbad, die hier verbaut wurden. Das Bad existiert ja seit Ewigkeiten nicht mehr. Es verschwindet mit der Schließung also in der Tat auch ein Teil Bochumer Stadtgeschichte.

Glauben Sie denn, dass die Kiosk-Kultur Zukunft hat?

Ich denke, es werden sicherlich einige Kiosks überleben. Wenn sie direkt neben einem großen Discounter liegen, dann vielleicht weniger. Auch hier in Bochum haben in unmittelbarer Nähe schon drei weitere Kiosks geschlossen in jüngster Zeit. Aber wenn sich die Bude in einer eher ruhigeren Umgebung findet, wo viel Laufkundschaft vorbeikommt, dann ist der Bestand schon eher garantiert.

Was würde denn fehlen, wenn es die Kiosk-Kultur nicht mehr gäbe?

Es würde das fehlen, was früher auch die Tante-Emma-Läden ausmachte: der direkte Kontakt zu anderen Menschen. Die meisten fliegen ja heute einmal schnell durch den Discounter, alles ist viel anonymer geworden. Die Kiosk-Kultur ist weder anonym noch schnelllebig. Hier spielt die Zeit keine Rolle, hier trifft sich die Nachbarschaft, um sich auszutauschen. Es geht also nicht um das, was gekauft wird, sondern um das, was gesprochen wird.

Vielen Dank für das spannende Gespräch.

Das Interview führte Katharina Neumann


Bilder © Reinaldo Coddou H.

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