DER MENSCH ALS MASS

Fünfzig Jahre nach Veröffentlichung Henri Lefebvres „Das Recht auf Stadt“ lohnt sich der Blick zurück auf das kontroverse Werk des französischen Soziologen und Philosophen.

Wenn Lefebvre vom „Recht auf Stadt“ spricht, meint er damit kein konkretes Recht des Bürgers. Nicht mal geht es ihm um ein rechtliches Anliegen, vielmehr schwebt ihm ein abstrakter Anspruch der Stadtbewohner vor, den urbanen Raum nach ihren Wünschen zu transformieren. Der Bürger soll an der Stadt teilnehmen, sie sich zu Eigen machen. Da der Bewohner den Mittelpunkt Lefebvres Appell darstellt, will er diesen zwangsläufig auch als Mittelpunkt aller städtebaulichen Entwicklungsprozesse sehen. Für den Philosophen waren die Orte der Stadt die Bühne des Theaters des Alltages.

Hierbei war es Lefebvre ein Anliegen, dass Teil einer Stadt zu sein keine Frage des Eigentums, also Reichtums, sondern der Partizipation sei. Somit ist „Das Recht auf Stadt“ auch eine Forderung nach mehr Demokratie. Diesem demokratischen Ideal steht die Kommerzialisierung großer Teile des Wohnungsmarktes diametral entgegen. So wie es 1872 schon der in Barmen, heute Wuppertal, geborene Friedrich Engels in seiner Schrift „Zur Wohnungsfrage“ begann, erkunden heute viele Forscher die Beziehung zwischen gesellschaftlichem Einfluss und der Wohnungssituation der Bürger. Auch Lefebvre analysierte die politischen Triebkräfte des Wohnens. Allerdings sah er nicht nur im Arbeiteraufstand das Potenzial zur gesellschaftlichen Transformation, sondern auch in einer urbanen Strategie. Hierbei rückten die Stadtbewohner als neues politisches Subjekt in den Vordergrund. Im Wohnen reproduziere sich das Gesellschaftsgefüge mit allen seinen Mängeln, meinte Lefebvre. Dies eröffne also auch die Möglichkeit des sozialen Wandels. Damals wie heute könne der Staat regulierend eingreifen, um die Interessen der Bewohner zu vertreten.

Insgesamt ist Lefebvres „Recht auf Stadt“ weniger als Lösung denn vielmehr als Richtschnur zu begreifen. Ihm schwebte eine Welt vor, in der jeder Mensch sich das Wohnen leisten und darauf aufbauend am Leben in der Stadt teilnehmen kann.

In einer Zeit, in der Städte mit Mangel an Wohnraum zu lohnenden Spekulationsobjekten werden und es vielen Menschen zunehmend schwerer fällt ihre Mieten zu zahlen, sind Lefebvres Gedanken es allemal wert, Gehör zu finden. Selbst wenn man seiner Argumentation nicht bis zum Ende folgt, ist die Aufforderung, den Bürger zum zentralen Anliegen der Wohnungspolitik zu machen, möglicherweise angebracht.

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