Die Digitalisierung ermöglicht es, urbane Räume schon heute in einem ganz anderen Maß zu nutzen, als dies jahrhundertelang der Fall war. Ein Beispiel ist hier die smarte Nutzung von Gebäudefassaden mit Hilfe von LED-Technologie. Das traditionell statische Erscheinungsbild der Fassade kann mittels hochwertiger LED-Screens teilweise ersetzt werden durch ein dynamisches Erlebnis für die Nutzer des öffentlichen Raums.
Aufgrund der per Mausklick austauschbaren und unbegrenzten Inhalte werden die Beschränkungen von statischen Werbebannern überwunden. Neben dem Senden von zielgruppengenauen Werbebotschaften ist insoweit zu denken an Nachrichten und Verkehrsinformationen, bspw. zur sekundengenauen Verfügbarkeit von Parkplätzen in der Nähe oder im Objekt selbst, der Erreichbarkeit von Erste-Hilfe-Anlaufstellen usw. Schon jetzt sind vielerorts im öffentlichen Verkehrsraum – gerade für Fußgänger – responsive LED-Screens vorhanden, die bei der Orientierung in der Stadt helfen können. Man muss also nicht an die hochhausgroßen Gebäudefassaden auf dem New Yorker Times Square denken; vielmehr können bereits smarte Lösungen in kleineren Dimensionen ebenso wirkungsvoll sein, wenn sie sich an den Bedürfnissen des Besuchers im städtischen Raum orientieren. Die Fassadenwerbung bietet damit an städtebaulich geeigneten Orten den Betreibern und Nutzern erhebliche zeitgemäße Vorteile.
Nichtsdestotrotz sind auch bei diesen modernen Nutzungsformen einer Fassade verschiedene Punkte zu beachten.
Zunächst muss die Sicherheit des vorbeifließenden Verkehrs stets gewährleistet sein; dieser darf also nicht durch eine Werbebotschaft von der sicheren Bewegung abgelenkt werden. Aber auch gestalterische Aspekte können eine Rolle spielen: Fassadenstrukturen können durch die sich abhebende Beleuchtung überdeckt werden und die Gebäudegestaltung in den Hintergrund treten lassen. Hier betroffen ist zum einen das Interesse der Stadt, die städtische Gestaltung im Straßenraum sichtbar zu erhalten. Demgegenüber steht das Interesse des Bauherrn, eine Werbeanlage möglichst auffällig und möglichst von vielen Passanten wahrnehmbar zu errichten.
Als Instrument, Werbeanlagen zu verhindern, steht der Stadt (neben der nur eingeschränkt möglichen Gestaltungssatzung) die Berufung auf das Verunstaltungsverbot zur Verfügung. Demnach dürfen Werbeanlagen weder bauliche Anlagen, beispielsweise solche, auf denen sie errichtet werden, noch das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild verunstalten, vgl. z. B. §§ 9 Abs. 1, 10 Abs. 2 Satz 2 BauO NRW. Die Landesgesetzgeber haben teilweise Unterfälle der Verunstaltung definiert. Dazu gehören bspw. die Verdeckung von Grünflächen, aber auch die Störung der einheitlichen Gestaltung eines Gebäudes sowie die störende Häufung der Werbeanlagen (vgl. § 10 Abs. 2 BauO NRW). Es verbleibt jedoch häufig in der Praxis die Unsicherheit, wann eine Werbeanlage noch zulässig ist und ab wann sie verunstaltend wirkt – mithin baurechtlich unzulässig ist.
Die Herausforderung in einem rechtsstaatlichen Verfahren besteht somit darin, einen Maßstab zu finden, der dem Bestimmtheitsgebot genügt. Die Bewertung darf also gerade nicht alleine von der (subjektiven) Sichtweise eines Behördenmitarbeiters oder des Bauherrn abhängen. Gleichzeitig darf der Staat keine eigenen Maßstäbe dahin entwickeln, was den „richtigen“ Geschmack bei der Ausgestaltung einer baulichen Anlage darstellt. Im Hinblick auf die in Art. 14 Abs. 1 GG garantierte Baufreiheit hat der Staat vielmehr bei der Aufstellung und Anwendung von Anforderungen an die Baugestaltung äußerste Zurückhaltung walten zu lassen.
Schon im Zusammenhang mit dem „Preußischen Gesetz gegen die Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden“ von 1902 wurde deswegen argumentiert, es komme insofern auf den sog. „gebildeten Durchschnittsmenschen“ an. Diesen Begriff nahm das Bundesverwaltungsgericht 1955 auf und auch heute noch beurteilt sich die Frage des Vorliegens einer Verunstaltung maßgeblich nach eben diesem gebildeten Durchschnittsmenschen. Diese juristische Kunstfigur bezieht sich nicht auf den ästhetisch besonders empfindsamen oder geschulten Betrachter, jedoch auch nicht auf solche Menschen, die ästhetischen Eindrücken gegenüber überhaupt gleichgültig und unempfindlich sind.
Das Bundesverwaltungsgericht begrenzt die Annahme einer Verunstaltung weiterhin auf einen hässlichen, das ästhetische Empfinden des Beschauers nicht bloß beeinträchtigenden, sondern verletzenden Zustand. Bloße Unschönheit reicht dafür nicht aus. Vielmehr muss die optische Situation als belastend oder Unlust erregend empfunden werden. Es muss sich um einen dem Orts- oder Landschaftsbild gegenüber grob unangemessenen Zustand handeln. Mit der Figur des gebildeten Durchschnittsmenschen wird jedoch auch anerkannt, dass die Bewertungen von Verunstaltungen dem Wandel der Zeit unterliegen. Dies gilt es auch in einem Behörden- oder Gerichtsverfahren zu berücksichtigen.
Da in der Praxis der Bauherr und die Behörde mitunter entgegengesetzte Ansichten und Empfindungen darüber haben, was ästhetisch nicht nur ein beeinträchtigender, sondern ein verletzender Zustand ist, birgt dies für alle Beteiligten ein Kosten- und Aufwandsrisiko. Nicht zuletzt verbleibt ein Risiko, wie ein Gericht in einer späteren Entscheidung hierüber befinden würde. Um diese aufwendigen Konflikte und ggf. langwierigen Gerichtsverfahren zu vermeiden, empfiehlt es sich, frühzeitig in den Dialog mit der Behörde zu treten. Ziel einer Beratung ist es dann sicherzustellen, dass sich das zeitgemäße Verständnis von Stadtgestaltung in der Informationsgesellschaft auch im Behörden- bzw. verwaltungsgerichtlichen Verfahren wiederfindet. Schließlich muss ausgeschlossen werden, dass der Staat dem Bauherrn den „richtigen“ gestalterischen Geschmack diktiert.
Marcel Kreutz
ist Rechtsanwalt der bundesweit tätigen Anwaltskanzlei CBH Cornelius Bartenbach Haesemann Rechtsanwälte & Partner. Als langjähriges Mitglied des Rates der Stadt Bergisch Gladbach bilden die Beratung in kommunal- und baurechtlichen Fragen einen besonderen Schwerpunkt seiner Arbeit.
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