ANAÏS COSNEAU: EIN PLÄDOYER FÜR FAMILIENGERECHTE STADTPOLITIK

Patchworkfamilien, Alleinerziehende, Ehepaare oder andere Lebensgemeinschaften mit Kindern sind unterschiedliche Familienformen, mit vielfältigen Lebensstilen, Einkommen und sozialen Milieus. Daraus ergeben sich ebenso vielfältige wie differierende Vorstellungen vom Wohnen und Möglichkeiten, diese zu realisieren.

In meiner Welt, in meiner Familie, in den Familien um mich herum gibt es viel Hektik, wenig Entspannung. Morgens sind wir spät dran, müssen zu Tagesmutter, Kita, Schule, alles am besten gleichzeitig, haben selbst um neun den ersten Termin im Büro, müssen noch zur Reinigung, die Bahn kommt, wir müssen uns beeilen. Wir Eltern sind gestresst vom morgendlichen AufstehenKinderaufweckenAnziehenFrühstückvorbereitenZähneputzenSockenSchuheMützeSchalAnziehen. Die Kinder sind sauer, weil sie in unserem Tempo mithalten müssen. Entspannt euch mal, macht mal Pause, möchte man den Eltern zu rufen, da fällt einem auf, dass man selbst ein gestresster „Elternteil“ ist.

Neben Wohnung und Haus (ein funktionierender und gut dimensionierter Aufzug, Schallschutz für die Ruhe im Haus, Abstellplätze für Kinderwagen und Lastenräder) und der direkten Nachbarschaft (sicherer Bürgersteig, Radweg, Spielplatz) geht es um das Quartier als Ganzes (öffentliche Räume, Nahversorgung und Dienstleistungen, Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder) und nicht zuletzt geht es auch um ein tolerantes und soziales Klima. Kurze Wege, eine angenehme Infrastruktur, bezahlbare Familienwohnungen und gute Arbeitsplätze sind wesentliche Faktoren, um das Leben für und mit Familien zu erleichtern, und liegen direkt oder indirekt in den Händen der Städte. Kitas, Spiel- und Sportplätze beispielsweise könnten auf Dächern entstehen, übereinandergestapelt – und so Platz für Wohnraum schaffen.

Wenn eine Gruppe von Menschen für eine andere Gruppe von Menschen denkt und plant, dann ist das lobenswert. Ob dabei allerdings alle Bedürfnisse getroffen werden, ist fraglich. Parkplätze beispielsweise sind stets gut beleuchtet, Spielplätze nie. In Berlin, wo ich heute wohne, gibt es die tollsten Spielplätze. Das sind zum Beispiel der Hexenspielplatz mit Hexenhäusern in den Bäumen und der Zirkusspielplatz mit Trapez und Trampolin; außerdem der Drachen- und den Ritterspielplatz. Alle sind liebevoll gestaltet und damit Vorreiter in Sachen Spielplatzarchitektur. Was ihnen allerdings gemein ist: Sie sind nicht beleuchtet und im Winter schon sehr früh unbenutzbar. Die Kinder sehen die Spielgeräte kaum, die Eltern erkennen ihre Kinder nur an den blinkenden LEDs der Schuhe. Was fehlt, ist eine kindgerechte Spielplatzbeleuchtung.

Wenn Städte also für Familien gemacht werden wollen, sollten Städte mit Familien für Familien planen. Eine bemerkenswerte Initiative zum Thema „Einbezug derer, für die geplant wird“ ist die Initiative des ULI „UrbanPlan“, die insbesondere die junge Generation der Bewohner des urbanen Raums in die Welt der Quartiers- und Stadtentwicklung einführt und einbezieht. Konkret wird es in Frankfurt mit dem neuen Bürgerpark in Sachsenhausen: Die Bürger wurden nach ihren Wünschen und Anregungen gefragt und die Ergebnisse gezielt mit ins Konzept genommen. So entsteht hier nun ein neuartiger Stadtpark mit Spiel-, Sport- und Erholungsflächen und mit einer Kinderfarm.

Weg von der Stadtplanung, rein in die Politik. Die grundlegendste Unterstützung, die Städte Familien bieten können, ist Hilfe bei der Betreuung der Kleinen. Leitgedanke sollte dabei sein, den Kindern einen familiären Rahmen zu geben, in dem sie sich superwohl fühlen und welcher den Eltern Ruhe und Routine in den ohnehin turbulenten Familienalltag bringt.

Hier gibt es aktuell noch viel zu verbessern:

  • Erstens benötigen wir eine echte Kitaplatzgarantie, auf die man sich verlassen kann, so dass man nicht 50 Prozent seiner Elternzeit damit verbringen muss, mit Kuchen, Blumen, etc. wöchentlich von Wunschkita zu Wunschkita zu tingeln und um einen Kitaplatz zu betteln.
  • Zweitens müssen genug Plätze für Kinder unter einem Jahr angeboten werden, weil man Eltern, die nicht zu Hause bleiben möchten, nicht an den Herd binden darf. Das führt zu Frust bei den Eltern, zu genervten Kindern und zu genervten Arbeitgebern. Denn dieses Thema muss man auch aus Sicht der Unternehmen beleuchten: Eine gute und gesicherte Kinderbetreuung unterstützt die zeitnahe Rückkehr an den Arbeitsplatz von Frau und Mann.
  • Drittens plädiere ich neben einheitlichen Urlaubszeiten auch für viertens einheitliche Kernzeiten für Krippen-, Kitas und Schulen mit vor- und nachgeschaltetem Hort (z. B. 7:30 bis 9:00 Uhr und 16:00 bis 18:30 Uhr).
  • Fünftens sollten Eltern dazu verpflichtet werden, die Elternzeit fair aufzuteilen. Auch wird es wenig an der klassischen Rollenverteilung ändern, wenn die Elternzeit für eine Weltreise genutzt wird. Zum Positiven für die ganze Familie kann sich jedoch sehr viel bewegen, wenn beide Elternteile wirklich jeweils ein paar Monate Vollzeitvater/-mutter und Hausmann/-frau waren. Städte können dies zur Voraussetzung für die Bevorzugung bei der Kitaplatzvergabe machen, die Immobilienwirtschaft kann dies bei ihren Mitarbeiter*innen unterstützen und besonders fördern.

Eine Kitaspielfläche auf dem Dach in der HafenCity, ein beleuchteter Spielplatz in Barcelona, über die Stadt verteiltes Gemeinschaftsspielzeug in Tel Aviv, ein von Familien gestalteter Bürgerpark in Frankfurt – Städte tun bereits viel für Familien; die Ideen sind da. Jetzt müssen sie nur noch gebündelt, vervielfältigt und in Summe angewendet werden. Und spätestend seit C40 Cities wissen wir, wieviel Städte bewegen können, einzeln und vor allem gemeinsam – let‘s do it!


ANAÏS COSNEAU

studierte Architektur in Darmstadt und Lausanne bevor es über Berlin zwei Jahre lang nach China ging, wo sie ein Immobilienprojekt für zwölf Städte begleitete sowie Chinesisch studierte. Im Anschluss folgte eine Tätigkeit an der Universität Duisburg/Essen zur Megacity Shanghai und ein Immobilienstudium in Wuppertal und Aberdeen. Nach Stationen in Aachen (Landmarken AG) und Frankfurt (Becken Development GmbH) ist sie nun Partnerin von Eike Becker in der gleichnamigen Projektentwicklungs-GmbH in Berlin.

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