HERAUSFORDERUNGEN DER INNENSTADTENTWICKLUNG

Die Entwicklung attraktiver Innenstädte sowohl für den Handel als auch das Wohnen und wohnungsnahe Dienstleistungen hat seit jeher oberste städtebauliche Priorität. Dieses wünschenswerte Ziel wird aber aus verschiedenen Richtungen gefährdet. Zum einen ist es das von den Kommunen selbst verursachte enge städtebauliche Korsett für die Ansiedlung von Einzelhandelsnutzungen, zum anderen aber sind es externe Faktoren, die schwer beeinflussbar sind, wie etwa die Anforderungen an eine umweltgerechte Ansiedlung, der Widerstand aus der Bevölkerung und von Umweltverbänden.

Wohin dieser Spagat führen kann, lässt sich derzeit in besonders dramatischer Weise in Zusammenhang mit einer Innenstadtentwicklung in Münster, dem sogenannten Hafencenter besichtigen, an dem die Arbeiten mitten im Bau aufgrund eines gerichtlichen Eilbeschlusses gestoppt werden mussten.

Was ist geschehen? Ein Investor betreibt in Abstimmung mit der Stadt die Entwicklung eines Stadtteilzentrums mit Einzelhandelsnutzungen, Büro- und Dienstleistungsnutzungen sowie Wohnungen. Bei der Beschlussfassung über den Bebauungsplan hat die Stadt nach Auffassung des Gerichtes einen abwägungsbeachtlichen Belang nicht berücksichtigt und daher den Bebauungsplan u. a. aus diesem Grunde für unwirksam erklärt (OVG NRW, Urteil vom 12. 04. 2018 -7 D 53/16. NE-). Da die Aufhebung eines Bebauungsplanes im Normenkontrollverfahren keine aufschiebende Wirkung hinsichtlich der erteilten Baugenehmigungen hatte, konnte weitergebaut werden. Kurze Zeit später aber entschied das Oberverwaltungsgericht, dass auch die aufschiebende Wirkung eines klagenden Nachbarn anzuordnen ist, weil die Fehler, die bei der Aufstellung des Bebauungsplans gemacht wurden, unmittelbare Auswirkungen auf nachbarliche Rechte hätten (OVG NRW, Beschluss vom 01.02.2019 -7 B 1360/18-).

Der rechtliche Zusammenhang ist folgender: Während in einem gegen einen Bebauungsplan gerichteten Normenkontrollverfahren das zur Entscheidung berufene Oberverwaltungsgericht den Bebauungsplan als örtliches Gesetz in allen Belangen objektiv prüft, greift die Klage eines Nachbarn gegen eine Baugenehmigung nur durch, wenn er in eigenen, also subjektiven Rechten verletzt ist. Das OVG NRW sah hier, abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG, Urteil vom 28. 11.2017 -7 A 17. 12-), eine subjektive Rechtsverletzung darin, dass die Umweltbelange, die Eingang in einen Umweltbericht finden, nicht richtig erfasst und beurteilt worden seien. Aus § 4 UmwRG resultiere daher der Anspruch des Nachbarn auf Aufhebung der Baugenehmigung, obwohl die inhaltlich fehlerhafte Umweltprüfung nicht zwangsläufig zu einer Verschlechterung der Immissionssituation an seinem Grundstück führte.

Bei der Ansiedlung von gewerblichen Nutzungen, insbesondere Einzelhandelsnutzungen, im Umfeld von Wohnungen kommt dem Lärmschutz erhebliche Bedeutung zu. Hier gilt es, sowohl den Verkehr auf den öffentlichen Verkehrsflächen zu erfassen und zu bewerten als auch den von der Einzelhandelsnutzung unmittelbar ausgehenden Lärm. Hierfür sind zwei Regelwerke maßgeblich. Der Verkehrslärm im öffentlichen Raum wird mit der sogenannten Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) erfasst und bewertet, während für den Gewerbelärm die sogenannte TA Lärm maßgeblich ist. Verkehrslärm wird hinsichtlich der Erfassung und Berechnung der Lärmauswirkungen gegenüber dem Gewerbelärm privilegiert, weil die Verkehrsflächen in aller Regel der Allgemeinheit dienen. Das wesentliche Problem beim Gewerbelärm ist, dass die maßgebliche Lärmimmission einen halben Meter vor einem öffenbaren Fenster einer Wohnung gemessen wird. Anders als beim Verkehrslärm kann daher einer erhöhten Lärmbelastung nicht durch Schallschutzfenster Rechnung getragen werden, sondern Gewerbelärm ist nur zulässig, wenn er sich innerhalb der Richtwerte der TA Lärm bewegt und diese einen halben Meter vor dem öffenbaren Fenster eingehalten werden. Werden die Werte überschritten, bleibt dem Plangeber nur die Möglichkeit, entweder die gewerbliche Ansiedlung nicht zuzulassen oder durch aktiven Schallschutz (Lärmschutzwand) zu bändigen oder festzusetzen, dass in den Wohnungen keine öffenbaren Fenster eingerichtet wer- den dürfen. Letzteres stellt natürlich eine erhebliche Einschrän- kung der Wohnqualität dar.

Auch die Einführung der neuen Gebietsart des urbanen Gebiets gemäß § 6a BauNVO hat insoweit wenig weitergeholfen. Zwar wurde die TA Lärm hinsichtlich der Tagesimmissionsrichtwerte im urbanen Gebiet um 3 dB(A) angehoben, nicht aber im Nachtzeitraum, der deshalb besonders kritisch ist, weil hier die lauteste Nachtstunde maßgeblich ist. Gerade bei Einzelhandelsbetrieben spielt diese Zeit in Hinblick auf die Anlieferungen eine große Rolle. Einzelhandelsbetriebe im Nahbereich zu Wohnungen sind da- her grundsätzlich insoweit kritisch, als Anlieferungen vor 06:00 Uhr bzw. 07:00 Uhr vorgesehen sind.

Ein weiteres Problem kommt hinzu, wenn – wie häufig – die Verkehrslärmbelastung einen kritischen Wert von 70 dB(A) tags bzw. 60 dB(A) nachts überschreitet. In diesem Fall verlangt die Rechtsprechung, dass nicht nur isoliert die Verkehrslärmbelastung an den schutzwürdigen Wohnungen zu ermitteln ist, sondern die Gesamtbelastung, also eine Addition aus Verkehrs- (Straße, Schiene, gegebenenfalls Flug- und Schiffsverkehr) und Gewerbelärm erfolgt. Werden die hier für das Wohnen kritischen Werte von 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts überschritten, steht das Ansied- lungsvorhaben insgesamt zur Disposition, es sei denn, die schutzwürdigen Wohnungen verfügen in einem der Schallquelle abgewandten „Schallschatten“ über schutzbedürftige Räume, die einer verträglichen Immissionsbelastung ausgesetzt sind.

Die Entscheidung zeigt, dass zunehmend Umweltfragen, selbst wenn sie keine unmittelbaren Wirkungen auf die subjektive Rechtsposition von Nachbarn haben, als „Vehikel“ genutzt werden, um Vorhaben zu verhindern. Nicht selten steht die Konkurrenz hinter derartigen Angriffen. Daher ist es entscheidend, dass bei diesen Innenstadtentwicklungen nicht nur die im eigentlichen Fokus stehenden Themen, wie die Einzelhandels- und Stadtentwicklung, die Verträglichkeit von Vorhaben, die Erreichbarkeit von Kunden, sondern die saubere Abarbeitung der Umweltprü- fung, insbesondere mit den Belangen der verkehrlichen und Lärmimmissionsbelastung, in den Fokus rücken. Zwar spielte die Belastung mit Luftschadstoffen in der Vergangenheit in den gerichtlichen Auseinandersetzungen noch keine besondere Rolle, mit Blick auf die Prozesse um Dieselfahrverbote allerdings ist damit zu rechnen, dass Gerichte auch eine durch die Vorhaben induzierte Überschreitung der Grenzwerte der 39. BImSchV zum Anlass nehmen könnten, nachbarlichen Rechtsbehelfen zum Erfolg zu verhelfen. Hinsichtlich einer zunehmenden CO2-Belastung hat das Bundesverwaltungsgericht bisher den Erfolg nachbarlicher Rechtsbehelfe abgesprochen, weil es sich nicht als subjektiv schädlich darstelle. Schließlich enthalte die Atemluft CO2. Auch dürften wohl eine CO2-Belastung und ihre Wenigkeit kaum individualisierbar sein. Mit Blick auf die Rechtsprechung zum Umwelt-Rechtsbehelfgesetz und den Durchgriff fehlerhafter Umweltprüfungen auf subjektive Rechte sollte bei der Planung allerdings auch der Aspekt der zunehmenden CO2-Belastung durch Verkehr in den Innenstädten nicht außer Acht bleiben.

Da in den gerichtlichen Auseinandersetzungen die Plausibilität der Gutachten eine erhebliche Rolle spielt, muss der sehr sorgfältigen Planung derartiger Projekte besonderes Augenmerk zukommen.

 


DR. THOMAS LÜTTGAU

ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er ist Partner der auf öffentliches und privates Bau- und Immobilienrecht sowie Umwelt- und Planungsrecht spezialisierten Kanzlei Lenz und Johlen Rechtsanwälte Partnerschaft mbB in Köln. Dr. Thomas Lüttgau studierte an der Universität Bonn und promovierte an der Freien Universität Berlin. Er berät bundesweit insbesondere Einzelhandelsunternehmen, Projektentwickler und Kommunen bei der Entwicklung und Ansiedlung von Einzelhandelsvorhaben und verfügt über große Erfahrung in der Betreuung von Raumordnungsverfahren sowie der Entwicklung moderner Stadtquartiere.

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