MANNHEIMS KONVERSION BRINGT MEHRWERT DURCH MEHR LEBEN

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Viele Jahrzehnte prägte die US-­Garnison, die seit Ende des Zwei­ten Weltkrieges die  ehemaligen Wehrmachtskasernen besetzte, das Leben in Mannheim. Auf einer Fläche von über 500 ha um­ fasste sie rund 2.000 Gebäude. Dank entsprechender Infrastruk­tur wie Schulen, Kirchen, Sportplätzen und Einkaufsmöglichkei­ten entwickelten sich die Militärflächen im Verlauf der Jahre zu eigenständigen Stadtteilen. Die Amerikaner wurden Teil des urba­nen Lebens und gestalteten es aktiv mit. Nicht zuletzt wurde die US­-Garnison zu einem der wichtigsten städtischen Arbeitgeber für die Mannheimerinnen und  Mannheimer. Aufgrund der von der US­-Army beschlossenen Umstrukturierung in Europa wurde 2010 schließlich der komplette Abzug amerikanischer Truppen beschlossen. Ein Jahr später löste sich die Garnison Mannheim auf, wodurch sich bis dato undenkbare Möglichkeiten für die städtebauliche Entwicklung Mannheims auftaten. Nach ihrer Sondernutzung durch das Militär wurden die Flächen zunächst der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) übergeben, die unter Aufsicht des Bundesfinanzministeriums die Verwaltung und Verwertung der bundeseigenen Liegenschaften verantwortet.

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Für die Stadt Mannheim war schnell klar, dass sie das Flächen­ potenzial nutzen will. Vor diesem Hintergrund gründete sie 2012 gemeinsam mit der Mannheimer  Wohnungsbaugesellschaft GBG die Tochtergesellschaft MWS Projektentwicklungsgesellschaft (MWSP), die – neben weiteren Stadtentwicklungsprojekten – primär für die qualitative Entwicklung von derzeit 300 ha US­-Militärflächen zuständig ist. Seit ihrer Gründung hat die Gesell­schaft bereits fünf Konversionsflächen von der BImA gekauft: Die Turley Barracks (2012), die Taylor Barracks (2013) und die Benjamin-FRANKLIN-Village-Fläche mit Sullivan und den Funari Barracks (2015). Coleman, Spinelli, Hammonds sowie die Stem Barracks befinden sich weiterhin im Besitz der BImA.

© Andreas Henn

Bei der Entwicklung der Teilräume verfolgte die Stadt Mannheim von Anfang an das übergeordnete Ziel, sie in den gesamtstäd­tischen Kontext zu integrieren und bestehende Planungskon­zepte aufzugreifen und weiterzuentwickeln: Welchen Beitrag können die Konversionsflächen in Bezug auf die Mannheimer Stadtentwicklungsziele leisten? Wie kann ihre Erschließung die gesamtstädtische Entwicklung maßgeblich unterstützen und neue Impulse setzen? Neben diesen Fragen behielt die Stadt Mannheim stets das Leitbild im Hinterkopf, das Aspekte der Nachhaltigkeit als oberstes Gebot nennt, und beteiligte auch die Mannheimer Bürgerinnen und Bürger aktiv an dem Prozess. Mit dem sogenannten „Mannheimer Weißbuchprozess“ fand von Beginn an eine intensive Bürgerbeteiligung statt, die sich über den gesamten Entwicklungszeitraum fortschrieb. Den kompletten Prozess dokumentieren vier Weißbücher. Die Ergebnisse wurden in einem Eckpunktepapier zusammengefasst, das wiederum vom Rat verbindlich beschlossen wurde. Aus diesem Prozess ist bei­spielsweise auch die Idee des Geschichtsprojektes ZEITSTROM entstanden: Das auf FRANKLIN beheimatete ZEITSTROM­ Haus, das sich in dem Gebäude der ehemaligen Vorschule befin­det, soll die Vergangenheit, die Gegenwart sowie die Zukunft der Konversionsflächen und die damit einhergehende Beziehungsge­schichte zwischen US­amerikanischem Militär und Mannheimer Stadtgesellschaft veranschaulichen. Wechselnde Ausstellungen, Workshops, aber auch Führungen durch Zeitzeugen ermöglichen es Besuchern, in die Geschichte des heutigen Ortes des Wandels einzutauchen. Darüber hinaus veranschaulichen städtebauliche Modelle die Zukunftsvision des Ortes: Noch grüner, noch offener und noch lebenswerter soll Mannheim werden. Doch wie sehen die entsprechenden innovativen, zukunftsgerechten und vor al­ lem lebendigen Quartiere auf Kasernenflächen aus? Wie können wir uns diese Quartiere vorstellen, in denen sich ehemals – wie auf einem großen Spielbrett – ein Gebäuderiegel an den nächsten reihte und US-amerikanischen Soldaten eine Heimat bot?

Unweit der Mannheimer Innenstadt in Neckarstadt Ost liegt die Konversionsfläche Turley. Die 12,6 ha große Fläche ist aufgrund ihrer unmittelbaren Lage an der B38 – eine der wichtigsten Stadteinfahrtsstraßen Mannheims – verkehrstechnisch sehr gut ange­bunden. Der Weißbuchprozess sieht für die Fläche eine hochwer­tige, urbane Mischung aus besonderem Wohnen, innovativem Arbeiten und Forschen, Gemeinbedarf und Stadtteilkultur vor. Zu den Investoren gehören u. a. die Tom Bock Group, Fortoon Development oder die Mannheimer Wohnwerte, die Turley mit dem Wohnquartier Homerun maßgeblich prägen. Der Einzug der ersten Bewohner erfolgte bereits 2015. Aktuell wird das Ein­gangsensemble umgestaltet und das ehemalige Casino zu einem offenen Gemeinschaftshaus umgebaut. Ende 2019 werden rund 680 Bewohner auf Turley leben und trotz moderner Architektur hier und da auf Spuren der Vergangenheit treffen: So erinnern nicht nur die Straßennamen, sondern auch der ehemalige Exerzierplatz, der heute als „Turleyplatz“ zum sozialen Miteinander und Erholen einlädt, an längst vergangene Zeiten.

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Die bahnbrechendste Entwicklung vollzieht sich derzeit jedoch nicht auf Turley, sondern im nordöstlich gelegenen Stadtteil Käfertal auf der rund 144 ha umfassenden Konversionsfläche FRANKLIN. Das Areal gliedert sich in die ehemalige Offiziers­siedlung Benjamin FRANKLIN Village, die Sullivan Barracks und die Funari Barracks auf. Das Benjamin FRANKLIN Village wurde einst als größte Wohnsiedlung der US-Streitkräfte im Bundesgebiet genutzt und hat zu Hochzeiten bis zu 10.000 Amerikaner beherbergt. Infolgedessen verfügte das Areal über eine gut ausgebaute Infrastruktur: Zahlreiche Sportan­lagen, Schulen und Kindergärten, ein Hotel und verschiedene Einzelhandelsnutzungen und Ausgehmöglichkeiten machten die Fläche zu einem ganz eigenen Stadtteil. Wo damals die Amerika­ner lebten, entsteht heute ein innovatives Wohngebiet für 9.000 Menschen. Bunt und im Sinne der „Blue City Mannheim“ vor al­lem auch nachhaltig soll er werden, der neue Stadtteil in Käfertal – und damit eine Vision vom zukünftigen urbanen Zusammensein Wirklichkeit werden lassen. Um nicht nur unter den zukünftigen Bewohnern, sondern auch in der städtebaulichen Ausformulie­rung Diversität zu garantieren, teilte die MWSP das Areal unter 21 Investoren auf. Aus baurechtlichen Gründen mussten drei Viertel des Gebäudebestandes abgerissen werden. 2016 starteten dann die ersten Baumaßnahmen auf der Fläche. Trotz der Re­alisierung von Wohnraum für rund 9.000 Menschen und dem Bau von Büro­ und Gewerbeflächen, mit denen rund 2.000 neue Arbeitsplätze entstehen, sowie diversen Bildungs-­, Kultur-­ und Freizeiteinrichtungen werden nahezu 40 Prozent der Gesamtflä­che zum öffentlichen Freiraum entwickelt. Ende November 2017 zogen bereits die ersten Bewohner nach FRANKLIN – in einen noch mitten im Bau befindlichen Stadtteil. Dass diesen Pionieren zumindest ein Hauch von Urbanität geboten wird, liegt in dem Engagement einiger auf FRANKLIN aktiven Vereine und Initiati­ven. So bieten beispielsweise das Interkulturelle Haus Mannheim, die Sports Arena mit ihrer Boulderhalle und ihrem Kletterparcours, eine Rollschuhdisco sowie ein Autokino gelungene Freizeitangebote. Die Fertigstellung des Projekts ist für 2025 geplant.

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Östlich von FRANKLIN, im Stadtteil Vogelstang, liegt das 46 ha große Areal Taylor, das zu Mannheims grünstem Gewerbegebiet entwickelt wird. Herzstück des Quartiers bildet der Taylor­Park, der im Juli 2019 eröffnete. Daneben haben bereits einige Betrie­be die ersten Neubauten bezogen und ihre Arbeit aufgenommen. Der Taylor­Park stellt die erste Umsetzung für den geplanten Mannheimer Grünzug Nordost dar. Stellvertretend für den „grünen Schwerpunkt“ steht jedoch die Entwicklung der Fläche Spinelli, die eine wichtige Lücke im Grünzug Nordost schließen wird. Die 80,9 ha große Fläche erstreckt sich zentral über die Stadtteilgrenzen Feudenheim/Käfertal und wird zum Großteil Kernfläche der Bundesgartenschau 2023 werden. Hinzu kom­men ergänzende Wohnnutzungen. Die für die Entwicklung der Fläche notwendigen Abbrucharbeiten haben bereits begonnen.

Die Komplexität der Entwicklungsmaßnahmen auf den jeweili­gen Konversionsflächen ist mindestens so schwer greifbar, wie die Geschwindigkeit, mit der die Stadt Mannheim Visionen zu Innovation, Urbanität und gesteigerter Lebensqualität in Realität verwandelt. Die Antworten auf die Frage, wie die neu gewonnen Flächen für die ganze Stadt einen Beitrag leisten können, zeichnet sich schon heute – in der Hochphase des Entwicklungsprozesses – ab. Nicht zuletzt aufgrund der positiven Begeisterung und des Pioniergeistes der Mannheimer Bevölkerung.

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