Ein Bündnis aus Mieterbund, Baugewerkschaft, Sozial- und Branchen-Verbänden der Bauwirtschaft hat heute vor einer „neuen und in ihrer Dimension beängstigenden Sozialwohnungsnot“ in diesem Jahr gewarnt. Hintergrund ist eine Wohnungsbau-Studie, die das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ beim Pestel-Institut und beim Bauforschungsinstitut ARGE in Auftrag gegeben hat. Als Reaktion auf die Ergebnisse der Untersuchung fordert das Bündnis den Bund und die Länder zu einer gemeinsamen „Sozialwohnungsbau-Offensive“ auf. Der Staat müsse dringend ein Sondervermögen „Soziales Wohnen“ schaffen. Erforderlich seien hierfür in einem ersten Schritt 50 Milliarden Euro bis zum Jahr 2025.
Nur so könne es gelingen, bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode den Neubau von 380.000 Sozialwohnungen noch zu schaffen, so das Bündnis „Soziales Wohnen“. Nach einem „gescheiterten Sozialwohnungsbau-Jahr 2022“, in dem nur rund 20.000 Sozialwohnungen neu gebaut wurden, würde die Ampel-Koalition damit ihr Versprechen von 400.000 neuen Sozialwohnungen überhaupt noch halten können. Dazu notwendig sei allerdings, dass der Bund – auf der Grundlage seiner Finanzierungsvereinbarung mit den Ländern – den Großteil des Sondervermögens bereitstelle: Er müsse gut Dreiviertel der Summe – nämlich mindestens 38,5 Milliarden Euro – aufbringen. Und das möglichst rasch. Ziel des Sonderfonds müsse es sein, „den zu erwartenden Kollaps auf dem sozialen Wohnungsmarkt abzuwenden“, erklärte das Bündnis „Soziales Wohnen“ am Donnerstagmorgen auf einer Pressekonferenz in Berlin.
Vorfahrt für sozialen Wohnungsbau
Weiterhin fordert das Bündnis die Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 7 Prozent für den sozialen Wohnungsbau. Ebenso eine deutlich raschere Bearbeitung von Förderanträgen. Hier müsse dringend ein „Bürokratiebeschleuniger“ eingebaut werden. Vorbild dabei sei das Land Schleswig-Holstein, wo die Bearbeitung eines Förderantrags für den Bau von Sozialwohnungen in der Regel nicht länger als vier Wochen dauere.
Darüber hinaus sollen Baurecht und Bebauungspläne den sozialen Wohnungsbau künftig stärker in den Fokus rücken: Ziel müsse es sei, den Bau von Sozialwohnungen deutlich zu erleichtern. Hierzu soll auch ein Sonderprogramm beitragen, das ein Switchen vom regulären Mietwohnungsbau zum sozialen Wohnungsbau unterstützt: Aus geplanten, aber noch nicht fertig gebauten Wohnhäusern sollen dabei geförderte Sozialwohnungen entstehen. Damit soll der Trend gestoppt werden, dass Bauprojekte in der Krise aus finanziellen Gründen immer häufiger komplett auf Eis gelegt werden. Und es müsse bundesweit in allen Kommunen „Wohn-Härtefallkommissionen“ geben. Diese würden dann, so das Bündnis, über ein 10-Prozent-Kontingent der zu vergebenen Sozialwohnungen entscheiden und gezielt benachteiligte Bevölkerungsgruppen bei der Wohnungsvergabe berücksichtigen.
Wanderungsgewinn verschärft die Lage deutlich
Laut der vorgestellten Studie spitzt sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt aktuell dramatisch zu, weil Bilanz der Zu- und Abwanderung in Deutschland für 2022 ein Plus von 1,5 Millionen Menschen aufweist. „Wir haben damit eine absolute Rekord-Zuwanderung – mehr als im bisherigen Rekord-Flüchtlingsjahr 2015. Wer nach Deutschland flüchtet und bleibt, ist auf den sozialen Wohnungsmarkt angewiesen. Oder anders gesagt: Wir haben bereits jetzt einen Rekord-Wohnungsmangel: mit über 700.000 fehlenden Wohnungen das größte Wohnungsdefizit seit mehr als zwanzig Jahren. Bei den bezahlbaren Wohnungen wird das ohnehin schon massive Versorgungsloch immer größer; bei den Sozialwohnungen ist es längst ein Krater“, sagt Matthias Günther. Der Leiter des Pestel-Instituts spricht von einem „neuen Notstand beim Wohnen“.
Kein frei finanzierter Mietwohnungsbau möglich
„Die Förderung für den sozialen Wohnungsbau muss auf völlig neue Füße gestellt werden, wenn sie einen Effekt haben soll. Hier rächt sich, dass der Staat den Bau von Sozialwohnungen seit Jahren extrem vernachlässigt hat. So bitter es ist, jetzt gilt: Wer zu spät fördert, zahlt drauf“, sagt Prof. Dietmar Walberg. Der ARGE-Institutsleiter nennt dazu aktuelle Baukosten, die sein Institut ermittelt hat: „Der Neubau einer Mietwohnung kostet in einer Großstadt heute im Schnitt nahezu 3.980 Euro pro Quadratmeter. Dazu kommen noch einmal umgelegte Kosten von gut 880 Euro für das Grundstück. Zusammen macht das fast 4.900 Euro für einen Quadratmeter Wohnfläche im Mietwohnungsbau. Damit haben wir uns deutlich aus dem Bereich geschossen, der den freifinanzierten Neubau überhaupt noch möglich macht.“
In den letzten zwanzig Jahren habe es beim Wohnungsneubau einen „dramatischen Kostensprung“ gegeben. Bis zur Mitte dieses Jahres werden die Kosten beim Neubau mit einer Steigerung von 148 Prozent nahezu zweieinhalb Mal so hoch sein wie noch im Jahr 2000, so die Prognose von Prof. Walberg.
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