CLEMENS PAUL: DAS POTENZIAL DES BREMER TABAKQUARTIERS

Sie investieren 250 Mio. Euro in die Entwicklung des Tabakquartieres in Woltmershausen, eine historisch gewachsene Gewerbe- und Industriefläche, die neu gedacht und sortiert werden muss. Welches Potenzial sehen Sie in dem Entwicklungsgebiet?

Wir sehen natürlich ein sehr großes Potenzial in dem Gebiet. Das Tabakquartier befindet sich lediglich 3 km vom Bremer Marktplatz entfernt und ist eine der noch vielen unentdeckten Perlen der Stadt. Der Stadtteil Woltmershausen profitiert aber nicht nur durch die Nähe zur Innenstadt, sondern auch durch die unmittelbare Lage an der Weser. Ich habe mich tatsächlich ein wenig in diesen Stadtteil verliebt, was nicht zuletzt auch an der Bevölkerung dort liegt, die uns von Anfang an positiv aufgenommen hat. Das Gelände der Tabakfabrik Brinkmann – mit 6.000 Mitarbeitern immerhin die größte Tabakfabrik Europas – lag lange Zeit brach. Die Bevölkerung freut sich, dass dem Quartier durch unsere Entwicklung neues Leben eingehaucht wird. Es herrscht eine regelrechte Aufbruchstimmung. Woltmershausen ist ein gutbürgerlicher Stadtteil mit einer gewachsenen Struktur vor Ort, dank derer wir nichts künstlich erschaffen müssen. Der Stadtteil hat in gewisser Weise auch einen dörflichen Charakter – auf der Straße wird sich gegrüßt. Das ist für uns ein wichtiger Aspekt, denn als Projektentwickler wollen wir Immobilien für Menschen bauen. Das ist das Credo unsrer Firma. Ein intaktes bestehendes Umfeld kommt uns hier natürlich zugute. Nicht störende Gewerbenutzungen sind im Stadtteil bislang etwas unterrepräsentiert, aber das wird sich durch unsere Entwicklung bald ändern. Mich persönlich reizt die Tatsache, auf dem Gelände eine Entwicklung im Sinne der Europäischen Stadt umsetzen zu können: Wohnen und Arbeiten an einem Standort. Darüber hinaus sind Industriebrachen aufgrund des einzigartigen Charmes der Architektur spannende Entwicklungsflächen für Projektentwickler. Umso mehr freuen wir uns, mit der alten Tabakfabrik, die jetzt auch unter Denkmalschutz gestellt ist, ein tolles zusammenhängendes Ensemble unser Eigen nennen zu dürfen. Das Potenzial des Entwicklungsgebietes ist also letztendlich die Kombination aus einer innenstadtnahen Lage, einem positiv gestimmten Umfeld und der vorhandenen Bausubstanz, die uns reizt und im Rahmen des Masterplanes durch diverse Neubauten städtebaulich ergänzt wird.

Ende Februar haben Sie einen Tag der offenen Tür im Tabakquartier veranstaltet, um Bürgern die Chance zu geben, sich einen Eindruck des Quartiers zu verschaffen. Wie haben Sie den Tag erlebt? Welche Reaktionen, welches Feedback wurde Ihnen entgegengebracht?

Es sind mit Sicherheit mindestens 5.000 Menschen vor Ort gewesen, womit wir überhaupt nicht gerechnet haben. Die Reaktionen waren durchweg positiv und neugierig. Menschen freuen sich, wenn im eigenen Kiez positive Entwicklungen angestoßen werden. Nichts ist schlimmer als eine vor sich hin schlummernde Industriebrache, die alles andere als Zukunft signalisiert.

Nichtsdestotrotz soll das neue Quartier aber auch nicht solitär vor den Toren Bremens stehen. Wie wollen Sie das Tabakquartier in den räumlichen Kontext integrieren und eine Verbindung zu den angrenzenden Stadtteilen herstellen?

Das Tabakquartier ist räumlich glücklicherweise sehr gut in den Stadtteil integriert. Die Verbindung zwischen Woltmershausen und der Neustadt ist sicherlich verbesserungswürdig. Aber auch diese Entwicklung wird jetzt mit dem Masterplan angestoßen. Alle Überlegungen, die im Hinblick auf neue ÖPNV-Anbindungen relevant sind, werden wir durch das Zurverfügungstellen von Teilen unseres Grundstückes gerne unterstützen. Wenn am Ende eine Straßenbahntrasse durch unser Grundstück geführt werden soll, profitieren wir letztendlich auch davon.

Momentan herrscht auf dem Gelände ein Durcheinander aus Gewerbe, Industriebrache, Schrebergärten und vereinzelter Wohnbebauung. Der Teil, den Sie umnutzen möchten, befindet sich darüber hinaus unter Denkmalschutz. Wie begegnen Sie diesen vielfältigen Herausforderungen?

Die Altlastenuntersuchungen auf unserem Grundstück haben wir abgeschlossen und bis auf kleinere Bereiche, wo sich früher eine Tankstelle befand, eigentlich keine Altlastenprobleme. Das Thema Denkmalschutz begrüßen wir sehr. So sind wir selbst proaktiv auf die Denkmalschutzbehörde zugegangen, um anzuregen, den alten Fabrikkern des Quartiers unter Denkmalschutz zu stellen. Wir haben allein in der Überseestadt vier denkmalgeschützte Projekte realisiert und einen sehr guten Draht zum Bremer Denkmalschutz, der es als Aufgabe sieht, gemeinsam mit dem Investor neues Leben in denkmalgeschützten Gebäuden zu ermöglichen. Denkmalschutz bedeutet für mich immer auch einen Ritterschlag einer Immobilie. Ich freue mich, dass später einige Unternehmen in einem denkmalgeschützten Umfeld arbeiten und dabei mit topmodernen Büroräumen und schnellstem Internet ausgestattet sind. Die denkmalgeschützten Gebäudeteile bilden das Herz und das Rückgrat der gesamten Quartiersentwicklung und agieren als Identifikationspunkte für die Menschen, die das Umfeld seit Jahrzehnten kennen. Durch ergänzende Neubauten entsteht außerdem eine harmonische Verbindung von Neu und Alt. Das finde ich sehr spannend.

Anfang 2020 soll die kreative Szene Bremens bereits eine neue Heimat auf dem Areal finden. „Die Fabrik“ nennt sich das Projekt, das auf rund 10.000 qm entsteht. Können Sie das Projekt näher erläutern?

Ende März beginnen wir mit der Sanierung des ersten Bauabschnittes. Das Projekt „Die Fabrik“ ist Teil des Entwicklungsgebietes Tabakquartier und umfasst rund 17.000 m2vermietbare Fläche, die wir in Eigenbestand genommen haben. Die Fabrik ist das alte Herz der Produktion – ein umlaufendes Fabrikationsgebäude mit einem sogenannten Heizwerk in der Mitte. Durch diese Innenhofsituation entsteht ein tolles Raumgefühl. Ein Fabrikensemble in dieser Gesamtheit und Intaktheit ist in Bremen einzigartig. Bis Ende 2019, Anfang 2020 werden wir die Bereiche des ersten Bauabschnittes zu kleineren Bürolofts, mit insgesamt 78 Mieteinheiten ab 60 m2, umgebaut haben. Es wird gemeinschaftliche Sanitärbereiche, Treffpunktzonen und Besprechungsräume geben. Die Miete für die kleinsten, 60 m2großen Lofteinheiten belaufen sich auf 490,00 € pro Einheit. Es wird aber auch Einheiten mit 140 m2 oder auch 200 m2 geben. All diese Einheiten können beliebig zusammengelegt werden. Das Grundkonzept des ersten Bauabschnittes werden wir sukzessive, im gesamten umlaufenden Bereich der Fabrik mit insgesamt 70.000 m2, in drei weiteren Bauabschnitten umsetzen. Schon heute sind bereits 50 Prozent der Flächen vermietet und es finden täglich Ortsbesichtigungen statt. Für Mietinteressenten haben wir Musterlofts fertiggestellt, damit diese sich das fertige Produkt besser vorstellen können.

Könnte durch die Ansiedlung zahlreicher Unternehmen nicht auch die bestehende Wohnnutzung beeinträchtigt werden?

Keineswegs. Bürostandorte sind am Wochenende ausgestorben, während die Wohngebiete tagsüber ausgestorben sind, wenn die Bewohner sich an ihrem Arbeitsplatz befinden. Das Schöne an einer urbanen Struktur, wie wir sie hier im Tabakquartier schaffen, ist doch, dass sowohl Wohnnutzungen als auch nicht-störendes Gewerbe ihren Platz finden. Wir integrieren schließlich keine Produktionsstandorte in das Quartier.

Wie genau sieht denn Ihre Vision vom Wohnen auf dem Gelände der ehemaligen Zigarettenfabrik aus?

Wir orientieren uns selbstverständlich an dem näheren Umfeld – dem baulichen Bestand in Woltmershausen und in der Neustand. Beide Stadtteile sind städtebaulich durch das typische Bremer Haus geprägt, das eine entsprechend alte Bausubstanz aufweist. Im Bremer Süden fehlt ein Angebot an zeitgemäßem, modernen und damit auch barrierefreien Wohnraum. Insofern realisieren wir auf unserem Grundstück insbesondere klassischen Geschosswohnungsbau. Ältere Menschen, deren Eigenheim nicht mehr barrierefrei ist, die aber gerne im Stadtteil Woltmershausen wohnen bleiben wollen, haben zukünftig ein entsprechendes Wohnangebot in unserem Quartier zur Verfügung. Die Eigenheime dieser älteren Generation können dann von der nachrückenden, jungen Generation – der Familie mit Kind – wieder bezogen werden. Auf diese Weise entsteht eine Durchmischung, die dem Stadtteil guttun wird. Neben dem Geschosswohnungsbau realisieren wir auch das klassische Stadthaus, das auch als Mehrgenerationenhaus genutzt werden kann.

Werden Sie zu der Gestaltung der Neubauten einen öffentlichen Architektenwettbewerb ausloben?

Ich bin ein großer Freund der sogenannten Qualifizierungsverfahren. Zu Beginn des Gestaltungsprozesses einigt man sich mit der Stadt für bestimmte Neubauten auf ein Büro, mit dem man dann in ein von anderen Architekten, als externe Gutachter, begleitetes Qualifizierungsverfahren einsteigt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass derartige Qualifizierungserfahren mit der Stadt und den beteiligten Sachverständigen hier in Bremen zu sehr guten Ergebnissen führen.

Was sind nun die nächsten Schritte im Rahmen der Entwicklung des Tabakquartiers?

Im Spätsommer wird der städtebauliche Masterplan für das Quartier stehen. Anschließend rechnen wir etwa ein Jahr für die Fertigstellung erster Bebauungspläne ein, sodass wir zum Spätsommer 2020 mit den ersten Neubauten starten können. Ein großer Vorteil während des gesamten Prozesses ist die Tatsache, dass wir Grundstückseigentümerin sind. In vielen Teilkomponenten des Quartiers sind wir dadurch unser eigener Nachbar. Das gestaltet den Prozess um einiges einfacher, als eine Baulücke in einer gewachsenen Struktur in Berlin zu bebauen.

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Clemens Paul

ist geschäftsführender Gesellschafter der Justus Grosse Projektentwicklung GmbH und bereits seit 1993 in der Justus Grosse Gruppe aktiv. Die Justus Grosse Gruppe verwaltet in Norddeutschland über 20.000 Einheiten für Fremdkunden und baut jährlich circa 800 Wohnungen und 20.000 qm Bürofläche mit einem Investitionsvolumen von über 125 Mio. Euro an verschiedenen Standorten. Zudem ist die Gruppe großer Eigenbestandshalter unterschiedlichster Liegenschaften in Deutschland. Die Justus Grosse Gruppe beschäftigt insgesamt etwa 120 Mitarbeiter.

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© (3) Justus Grosse Projektentwicklung GmbH

Eine Antwort zu “CLEMENS PAUL: DAS POTENZIAL DES BREMER TABAKQUARTIERS”

  1. […] der City arbeitet z. B. die „Justus Grosse Projektentwicklung“. Zu nennen sind hier das „Tabak Quartier“ in Woltmershausen und die „Weserhöfe“ in der Neustadt. Zusammen mit der Projektierung von […]

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