GERO STENKE: DIE NEUE KULTUR DER INNOVATION

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Erinnern Sie sich? Als Kind waren Sie an heißen Sommertagen oft im nahe gelegenen Freibad und sind abends mit roter Haut und fettigen Pommes im Bauch heimgekehrt. Vielleicht gibt es heute das Freibad nicht mehr, weil sich die Kommune das Defizitgeschäft einfach nicht mehr leisten konnte. Statt auf Spaß- setzt man jetzt auf Innovationskultur. Dafür gibt es auch viel mehr Geld vom Bund und von der EU. Mit Hilfe solcher Fördermittel konnten viele Städte in den letzten Jahrzehnten schicke Technologie- und Gründerzentren bauen und hofften auf den Boom, der durch diese Innovationsschmieden ausgelöst wird. Schade nur, dass die High-Tech-Unternehmen vielerorts ausbleiben und immer mehr Menschen abwandern. Weshalb klappt es bloß nicht mit der Stadtentwicklung durch Wissen und Innovation?

Oberbürgermeister verspüren schon lange Druck: Der Strukturwandel, der in den vergangenen Jahrzehnten viele Städte in finanzielle Bedrängnis gebracht oder gar in die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit gerissen hat, kann den wirtschaftlichen Puls von Regionen radikal verlangsamen. Wenn Städte und Regionen eine Geißel des Wandels sind und ihn nicht konstruktiv zu nutzen verstehen, sind ihr wirtschaftlicher und sozialer Abstieg unausweichlich. Andere Orte dagegen sind wandlungs- und innovationsfähig. Sie profitieren vom Strukturwandel, weil sie es beherrschen, den Rohstoff Wissen zu produzieren und zu vermarkten – gelebte Innovationskultur statt verklärten Arbeitermilieus. Länder, Bund und Europäische Union fördern solche wissensbasierten Entwicklungen. Horizont 2020 – das aktuelle Rahmenprogramm der EU – ist dafür weithin bekannt, doch in Deutschland nahm wissensbasierte Stadtentwicklung bereits in den 1980er-Jahren zunehmend Fahrt auf. Aktuell setzen Programme wie INNO-KOM oder die Clusterförderung noch immer auf die Entwicklungskraft von Innovationen – zu Recht. Doch viele Städte und Regionen suchen noch nach den Erfolgsfaktoren und -strategien für wissensbasierte Stadtentwicklung, wollen resilient gegenüber externen Schocks sein.

Es ist ein Kraftakt, aus eingeübten Handlungsmustern und Strukturen auszubrechen und neue Pfade zu beschreiten, gerade für komplexe Akteurskonstellationen, wie Regionen sie bereithalten. Doch die Anstrengung lohnt, denn der Zusammenhang von Innovationsleistung, Wirtschaftswachstum und Wohlstand ist hinlänglich empirisch belegt. Grund genug, um aus wissenschaftlichen Studien und praktischer Arbeit mit Städten und Regionen die wichtigsten Grundregeln für wissensbasierte Stadtentwicklung herauszufiltern:

1. Den eigenen Weg finden

Ganz wichtig: Jede Stadt ist anders – es gibt es keinen allgemeingültigen Lösungsweg. Jeder Ort muss eine individuell zugeschnittene Strategie und daraus abgeleitete Maßnahmen entwickeln. Insofern führt nur eine Place-based-policy zum Erfolg.

2. Raus aus den Routinen!

Jede Stadt hat ihre eigene Handlungslogik. Ist diese durch lähmende Routinen, eine rigide Spezialisierung und durch sehr starre Netzwerkbeziehungen der regionalen Akteure gekennzeichnet, wirkt dies schnell entwicklungshemmend. Die Stadt steckt im sogenannten Lock-in fest. Solche Lock-ins ließen sich durch eine ausgeprägte Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit auf Krisen und Strukturbrüche vermeiden – dann wären Städte resilient. Damit dies gelingt, braucht es vor allem eine von den Entscheidern der Stadt gelebte strategische Intelligenz: Regionale Entwicklungsstrategien werden auf der Basis wissenschaftlich-empirischer Foresight-Studien ausgearbeitet, Entwicklungsprozesse regelmäßig evaluiert. Wird eine gewünschte Entwicklung noch nicht erzielt, muss umgesteuert und nicht schöngeredet werden.

3. Das System erkennen und hinterfragen

Die Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft sollten sich als ein interdependentes System begreifen, das gemeinsam lernen kann. Dieses Innovationssystem muss sich immer wieder selbst reflektieren und prüfen, welche Strukturen und Prozesse es auszeichnen. Werden Probleme identifiziert, müssen diese offen benannt werden. Erst anschließend kann eine standortangepasste Entwicklungsstrategie formuliert und entsprechende Handlungsmaßnahmen ergriffen werden. Entscheidende Komponenten sind etwa die Forschungsorientierung oder das Wirtschaftsprofil mit seinen Kompetenzstärken und Schwächen. Günstig wirkt dabei eine Branchenstruktur, die sich durch technologische und produktartige Verflechtungen oder Ähnlichkeiten auszeichnet, die aber zugleich differenzierte Wachstumspfade ermöglicht – Related Variety nennen dies die Regionalwissenschaftler.

4. Interregional vernetzen

Zentral ist zudem, sich auch mit Akteuren außerhalb der eigenen Region zu vernetzen, um nicht von relevanten Wissenskanälen abgeschnitten zu werden. Denn die Entwicklung der eigenen Region wird auch maßgeblich durch exogene Faktoren, etwa übergeordnete Marktentwicklungen und durch die Forschungsergebnisse anderer beeinflusst. Leider scheuen viele Akteure der Kommunalpolitik gerade diese interregionalen Aktivitäten.

5. Robuste Treiber suchen

Das System braucht auch Treiber und Promotoren. Menschen mit hohem Eigenengagement, mit Integrationsfähigkeit und Mobilisierungsstärke. In der Regel wird in einer Stadt wenig bewegt, wenn die Person an der Spitze nicht treibt und nicht von wissensbasierter Entwicklung überzeugt ist. Zudem brauchen die regionalen Akteure Vertrauen ineinander und in die Selbstwirksamkeit der lokalen Strukturen und Prozesse.

6. Lernen, das vorhandene Wissen wirklich zu nutzen

Doch all das genügt noch immer nicht. Eine Stadt braucht auch Unternehmen, die Wissen von anderen aufnehmen, verstehen und zu ihrem eigenen Nutzen verarbeiten können. Eine solche Absorptionskapazität kann gegeben sein oder sie muss gezielt gefördert werden. Somit genügt es nicht, öffentliche Forschungseinrichtungen, wie Universitäten zur Kooperation mit der regionalen Wirtschaft zu animieren, wenn die Unternehmen nicht zugleich in der Lage sind, diese Zusammenarbeit für sich zu nutzen. Hier braucht es ein breites Innovationsverständnis, bei dem Wissensdiffusion und Adaption unterstützt werden, und nicht einseitig auf technologische Exzellenz zielende Maßnahmen.

7. Die Stärken von Hochschulen nutzen

Und schließlich: Auch Hochschulen sind zentrale Akteure in regionalen Wissensnetzwerken. Dies ist empirisch immer wieder belegt worden. Die Studien zeigen aber auch, dass auf Grundlagenforschung ausgerichtete Einrichtungen eher positiv auf Städte oder Regionen mit einer diversifizierten Wirtschaftsstruktur wirken. Anwendungsnahe Forschungseinrichtungen sind dagegen eher in spezialisierten und strukturschwachen Regionen hilfreich.

Erst wenn diese Voraussetzungen weitgehend erfüllt sind, kann die eigentliche Arbeit der wissensbasierten Regionalentwicklung starten. Dafür braucht es Ausdauer und Zuversicht, um dauerhaft erfolgreich zu sein. Viele gute Beispiele finden sich schon: etwa Bremen, Bielefeld oder auch Bochum. Trotz heftiger Spuren des Strukturwandels sagt der Bochumer Oberbürgermeister selbstbewusst: „Wir können Strukturwandel.“ Unter dem Motto Wissen – Wandel – Wir-Gefühl setzt die Stadt in ihrer Bochum-Strategie 2030 ganz auf wissensbasierte Entwicklung. Gut so!


Dr. Gero Stenke

leitet seit neun Jahren eine Tochtergesellschaft des Stifterverbandes, die Wissenschaftsstatistik gGmbH und lehrt an der Universität Bremen Innovationsökonomie. Er studierte Wirtschaftsgeographie sowie Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Hannover und an der London School of Economics, bevor er an der Universität zu Köln promovierte. Von 2002 bis 2007 war er im BAW Institut für regionale Wirtschaftsforschung in Bremen tätig. Anschließend drei Jahre als wissenschaftlicher Projektleiter bei der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) in Berlin.

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