
Manfred Haesemann und Dr. Cornelia Wellens (CBH Rechtsanwälte)
Denkt man über das Begriffspaar „Stadtentwicklung und Familie“ nach, steht, gerade wenn man die deutschen Großstädte in den Blick nimmt, unweigerlich die Wohnungsnot im Fokus. Die verschiedenen Lebensphasen und ihre unterschiedlichen Ansprüche an das Wohnen führen häufig zu Umzügen innerhalb der Stadt bzw. zwischen Stadt und Umland: Die erste eigene Wohnung liegt oft zentral, ist klein, aber gut erreichbar, sodass bei jungen Leuten die Anschaffung eines eigenen Autos auf der Wunschliste nicht mehr ganz oben steht.
Spätestens wenn eine Familie gegründet wird, ändern sich die Ansprüche. Neben zusätzlichem Wohnraum wünscht man sich einen Garten und eine aufgelockerte, möglichst grüne und verkehrsberuhigte Umgebung sowie Platz für ein bis zwei Familienautos. Junge Familien ziehen also „raus“. Später im Leben kommt für manche eine zentraler gelegene Wohnung wieder in Betracht, wenn die Kinder aus dem Haus sind, man sich kleiner setzen will und die Pflege eines großen Hauses und Gartens eher als Belastung empfunden wird. Dann wird die gute Infrastruktur mit kurzen Wegen zu Einkauf, kulturellen Angeboten und medizinischer Versorgung in der Stadt wieder wertgeschätzt.
Settlement-Wanderung weitet sich aus
Junge Familien, insbesondere der Mittelschicht, jedoch verlassen die Innenstädte im Rahmen der sog. „Settlement-Wanderung“. Man kann davon ausgehen, dass dieser Trend bestehen bleiben wird trotz moderner gemeinschaftlicher und platzsparender Wohnformen wie dem Cluster- und Mikrowohnen oder den Tiny Houses. Diese Formen sind weder stark verbreitet, noch betreffen sie in erster Linie Familien, sondern eher Ein- bis Zwei-Personen-Haushalte. Familienförderung bedeutet also städtebaulich betrachtet idealerweise ein Wohnraumangebot von > 100 m² mit Garten. Dies wird traditionell am Stadtrand und im Speckgürtel der Großstädte am ehesten gegeben sein.
Weiterer Bedarf an Wohnraum entsteht durch das positive Wanderungssaldo der Städte. So prognostiziert IT.NRW im Juli 2019 für die Stadt Köln ein Bevölkerungswachstum von derzeit knapp 1,1 Mio. auf 1,25 Mio. im Jahr 2040 (Anstieg um 15,8 Prozent). Die Stadt Köln selbst geht zwar „nur“ von einem Zuwachs von 63.200 Einwohnern aus, verzeichnet aber allein im Zeitraum 2008-2018 einen Zuwachs von gut 70.000 Einwohnern. Im selben Zeitraum ist die Zahl der Wohnungen nur um gut 25.000 Einheiten gestiegen.
Probleme verschärfen sich
Die Probleme für Zuzügler und für Familien bei der Suche nach Wohnraum verschärfen sich somit von Jahr zu Jahr. Die vom Baugesetzbuch präferierte Innenverdichtung, die häufig planungsrechtlich außerordentlich komplexe Konversionsthemen zu bewältigen hat, jedenfalls wenn sie auf eine größere Zahl von Wohnungen zielt, ist ebenso zeitraubend wie auch anfechtungsgefährdet. Will man dem Thema „Wohnungsnot“, insbesondere in den Schwarm- und Universitätsstädten, schnell beikommen, sind große Zahlen in der Regel nur über Außenentwicklungen zu generieren. Selbst eine mittelstädtische Universitätsstadt wie Freiburg hat dies zum Anlass genommen, einen neuen Stadtteil für ca. 10.000 Bewohner vorzubereiten (Dietenbach). Ähnliches geschieht in Aachen auf dem Gebiet „Richtericher Dell“ und in den meisten sog. A-Städten. So plant Frankfurt einen neuen Zukunftsstadtteil auf rd. 550 ha. Es greift immer mehr die Erkenntnis, dass – wie zu früheren Zeiten – die Wohnraumnot nur effektiv zu bekämpfen ist, wenn in den Außengebieten Stadterweiterungsmaßnahmen erfolgen, was häufig allerdings auch erhebliche Infrastrukturleistungen, insbesondere bezüglich des ÖPNV, voraussetzt.
Neben allen anderen Problemen trifft diese Erkenntnis jedoch zusätzlich häufig auf restriktive Vorgaben der Raumordnung, die die Weichen gegen vermehrten Flächenverbrauch gestellt hat. So kommt es, dass das Gut „Wohnraum“ immer knapper wird mit der logischen Folge der Verteuerung. Hinzu kommt, dass die Einkommen steigen, aber auch das relative Armutsrisiko steigt. Die soziale Schere öffnet sich tendenziell immer weiter. Diese größeren Einkommensunterschiede verstärken die Verteuerungstendenz des Wohnraums. Da untere Einkommen dabei vermehrt das Nachsehen haben, ist es seit Jahren Ziel vieler Kommunen, den sozialen Wohnungsbau zu stärken. Mittels städtebaulicher Verträge und kooperativer Baulandmodelle werden Investoren insofern in die Pflicht genommen. Die Verknappung und Verteuerung des Wohnraums trifft natürlich gerade Familien hart. Entsprechend kennt jeder sicherlich junge Familien mit ein bis zwei Kindern, die seit Jahren „rausziehen“ möchten, aber dennoch in einer eigentlich zu kleinen Stadtwohnung bleiben und – gefragt nach den Gründen – das mangelnde Angebot und die hohen Kosten nennen.
Restriktive Flächenpolitik vergrößert den Suchradius
Das Problem wird noch durch ein weiteres Phänomen verschärft. Auch die Umlandgemeinden von Großstädten betreiben eine restriktive Flächenpolitik, wollen nicht zu Schlafstädten der naheliegenden Großstadt werden. Der Suchradius für Familien wird also größer. Die Angebotsverknappung und die Kostenexplosion treiben sie immer weiter aufs Land. So werden inzwischen Pendelwege in Kauf genommen, die noch vor Jahren als unzumutbar angesehen wurden. Gerade mit der doppelten Herausforderung der familiären und beruflichen Aufgaben, denen junge Eltern ausgesetzt sind, sind sie nicht mehr kompatibel. Hinzu kommt eine Überlastung der Pendelstrecken zu den Rushhours, Staus oder überfüllte und verspätete Bahnen. All das erhöht den Druck auf junge Familien.
An diesem Beispiel zeigen sich eindrucksvoll die direkten Auswirkungen von Raumplanung und Stadtentwicklung auf gesellschaftliche Entwicklungen, aber auch auf Ökologie und insbesondere auch das Klima. Denn je weiter über die Wohnraumdefizite Familien von ihren Arbeitsplätzen weg in bezahlbare dörfliche Regionen gedrängt werden, umso mehr erschweren die hierdurch direkt verursachten Pendlerströme effektive Maßnahmen für die Klimaverbesserung. Familienfreundliche Stadterweiterungen – geprägt von urbaner Dörflichkeit im „Grünen“ – können insofern positive Bausteine bei der Klimabilanz sein, und zwar auch, wenn damit im jeweils vorstellbaren ökologischen Rahmen Freiraum in Anspruch genommen wird. Das gilt vor allem für Städte mit einer hohen Freiraumquote wie Köln, die sich gezwungen sah, den Klimanotstand zu beschließen.
Familien- und Klimaförderung in einem
Adäquate ökologische Wohnbaulandmobilisierung durch neue Stadtteile am Stadtrand ist somit zugleich Familien- und Klimaförderung. Dementsprechend suchen Bund, Länder und Kommunen ständig nach Möglichkeiten effizienter Wohnbaulandmobilisierung. Beispielsweise hat das Bundesbauministerium eine Expertenkommission „Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“ (Baulandkommission) einberufen, die u. a. Vorschläge zur Novellierung des Baugesetzbuchs vorgelegt hat. Im Hinblick auf die Innenentwicklung sollen beispielsweise die Möglichkeiten, die Vorgaben zum Maß der baulichen Nutzung zu überschreiten, gelockert und eher einer Befreiung zugänglich gemacht werden. Auch wird über die Anwendung ordnungsrechtlicher Maßnahmen wie insbesondere des Baugebots nachgedacht. Bezüglich der Außenentwicklung werden nur vereinzelte Gesetzesänderungen vorgeschlagen wie eine Lockerung bei der Umnutzung landwirtschaftlicher Gebäude und eine Verlängerung der bisher befristeten Geltung von § 13b BauGB, der das beschleunigte Aufstellungsverfahren für Bebauungspläne auch für Außenbereichsflächen ermöglicht, wenn dort Wohnnutzungen entstehen sollen.
Dass die Baulandkommission noch keine weiteren Maßnahmen für die Außenentwicklung vorgeschlagen hat, ist bedauerlich. Neben den Klimafragen und der Erhaltung des inneren und äußeren Friedens ist die Wohnraumfrage in den Metropolregionen zur wichtigsten politischen Frage geworden. Deswegen wird es für den sozialen Frieden in diesen Regionen ausschlaggebend sein, dass es gelingt, Win-Win-Situationen für Wohnraum, Klima und Ökologie durch kluge, aber höchst effektive Stadterweiterungen im Außengebiet herzustellen. Hierfür sollten die notwendigen gesetzlichen, insbesondere auch raumordnungsrechtlichen Regelungen im Bund, im Land und der Region kurzfristig geschaffen werden.
Dr. Cornelia Wellens
hat Landschaftsökologie und Rechtswissenschaften in Münster studiert. Nachdem sie als wissenschaftliche Referentin beim Zentralinstitut für Raumplanung an der Universität Münster gearbeitet hat, begann Sie 2009 als Rechtsanwältin im Planungs- und Umweltrecht bei CBH Rechtsanwälte in Köln. Sie ist Spezialistin im Naturschutzrecht und der juristischen Projektentwicklung.
Manfred Haesemann
ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht, verfügt über langjährige kommunale Praxis sowie Spezialisierung im Bauplanungsrecht. Er ist Namenspartner der CBH Rechtsanwälte Cornelius, Bartenbach, Haesemann & Partner mit Sitz in Köln, Berlin, Hamburg, München, Stuttgart und Cottbus. Ein besonderer Schwerpunkt der Kanzlei ist die Schaffung von Baurecht im Rahmen von Planfeststellungsverfahren und Bebauungsverfahren.
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