PLANUNGSPERSPEKTIVEN FÜR DIE STADT DER ZUKUNFT

Es gibt sie immer noch die ungeliebte Moderne – mit ihren Hochhäusern und dem sozialen Abstandsgrün, der autogerechten Erreichbarkeit und einer Architektur, deren Defizite durch eine kurzlebige Haustechnik kompensiert werden muss. Um sie zu erleben, bedarf es keiner C02-intensiven Flugreise nach Fernost. Es reicht die alljährliche MIPIM in Cannes, wo Modellstädte die Beherrschung der Welt mit den Möglichkeiten der Technik feiern. Beim Betrachten der Pappkameraden obsoleter Zukunftsvisionen kommt nicht gerade gute Stimmung auf.

Es ist aber die gute Stimmung, die angenehme Atmosphäre, auf die es heute ankommt. Als Architekten können wir die Rahmenbedingungen umreißen, um ein lebendiges Zusammenleben der Menschen speziell in den Städten zu unterstützen. Es ganz selbstverständlich, dass dem urbanen Wildwuchs Grenzen gezogen werden müssen, immerhin lebt mit steigender Tendenz mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Dieses „Grenzen ziehen“ hat immer etwas mit Verboten zu tun. Das mag eigentlich niemand. Daher ist es die Aufgabe von Investoren, der öffentlichen Hand und der Architekten, notwendige Stadterweiterungen oder urbane Implantate, so zu entwickeln, dass sie sich durch die Integration unterschiedlichen Nutzungen auszeichnen.

Eine „Stadt der kurzen Wege“ gilt es anzustreben, mit einem vernünftigen Nutzungsmix von Wohnungen, Büros und begleitenden Infrastrukturen. „Kurze Wege“ bedeutet auch bauliche Dichte und damit die logische Verbindung von Ökonomie und Ökologie. Der sparsame Verbrauch von Ressourcen nützt allen. Damit ist es allerdings noch nicht getan. Es geht um die sinnvolle Choreographie der Stadt, des Stadtviertels. Denn für ein lebenswertes urbanes Umfeld sind die Menschen durchaus bereit mehr zu zahlen. Der Preis: die Bereitschaft der Auftraggeber und das Architektenhonorar.

Bei genauerem Hinsehen macht nämlich die urbane Atmosphäre vieler Orte, der differenzierte Übergang zwischen öffentlichem und privatem Raum aus. Die Belebung der Erdgeschosszone ist das Essentielle für eine vitale Urbanität. Wirtschaftlich ist es schwer umzusetzen, aber der Phantasie in Zeiten wechselnder Arbeits-, Konsum- und Kommunikationsformen ist da Tür und Tor geöffnet. Apropos Tür: Das Fortschreiben einer Stadt, die sich im Wesentlichen aus dem Dialog von Straße und Hauskante konstituiert, öffnet auch dem planerischen Denken einen beachtlichen Freiraum: So kann etwa die Verbindung von der Straße weg zum Innenhof von Wohn- und Bürobauten attraktiv und transparent formuliert werden. Gedeckte Freibereiche, wie etwa Arkaden, sind allwettertaugliche, kleinräumige Begegnungsbereiche, die gerne angenommen werden. Fritz Schumacher hat im Hamburger Kontorhaus-Viertel schon vor langer Zeit gezeigt, wie das geht. Auch lassen sich alle diese Räume mit Bäumen begrünen, was nicht nur schön aussieht, sondern auch den immer notwendiger werdenden Schatten spendet.

© Eduard Hueber/archphoto Baumschlager Eberle Architekten

Salopp könnte man sagen, die Vorrausetzung für eine Stadt, ein Stadtviertel mit angenehmer Atmosphäre ist der Komfort. Hamburg bietet ihn, Wien auch, München ebenso – zumindest in den besseren Teilen dieser Städte. Dennoch unterscheiden sie sich voneinander. Sie verfügen über jeweils andere Identitäten, die ihren besonderen Charakter ausmachen. Als Architektinnen und Architekten sind wir besonders gefordert, wenn es um die Botschaft von Gebäuden geht. Ganz vorne im Anforderungsprofil für gute Architektur steht die Material-Authentizität, gefolgt von der Lesbarkeit der Fassaden und dem Fortschreiben des kulturellen Kontextes einer Stadt, ohne deswegen die Eigenständigkeit des Entwurfs zu vernachlässigen.

Der kulturelle Mehrwert von guter Architektur steht außer Frage, sonst würden nicht so viele Touristen nach Prag oder Paris reisen. Die Rolle der Architektinnen und Architekten ist heute in einem ständigen Wandel begriffen. Und da sollten wir vom Bauhaus lernen. Mit dem Wachstum der Wissensgebiete sowie einer weiteren Zunahme der Arbeitsteilung wird nicht Spezialisierung, sondern eine Generalisierung, wie sie das Bauhaus betrieb, die Methode sein, die uns weiterbringt.

Konkret: Die schöne Fassade allein bringts nicht. Planung bedeutet heute möglichst alle Aspekte des Bauens zu integrieren. Punktgenau analysieren wir daher bei Baumschlager Eberle Architekten, über welchen Gebrauchswert Gebäude mit Anspruch auf Langlebigkeit verfügen. Eine bauliche Struktur muss heute und in Zukunft alles leisten können. Sie muss so nutzungsneutral angelegt sein, dass sie Wohnungen, Büros und Geschäfte gleichermaßen aufnehmen kann. Denn der Denkfehler der Moderne, ein Haus über die Funktionen zu strukturieren, hat sich nur zu oft als teurer Irrtum erwiesen. Wie auch diese Einschätzung der Stadt massiv geschadet hat. Der Nutzungsmix und das Zusammenlegen der Funktionen tragen wesentlich zur Lebendigkeit und damit zur positiven Stimmung des Urbanen bei. Wobei das Substantiv „Stimmung“ vom Verbum „stimmen“ abgeleitet werden kann. Eine Stadt, ein Stadtviertel, ein Gebäude muss stimmen, dann werden diese Rahmenformen des Zusammenseins von den Menschen akzeptiert und leben länger. Womit wir zur Grundlage unserer Existenz gekommen sind, zur Ökologie als Basis unserer Zukunft.


Tim-Philipp Brendel

wurde 2005 Teil von Baumschlager Eberle Architekten. In Wien war er als Gesamtprojektleiter u. a. für den Flughafen Skylink Wien zuständig und seit 2011 als Geschäftsführender Gesellschafter für das Wiener Büro von Baumschlager Eberle Architekten verantwortlich. Im Sommer 2013 gründete er gemeinsam mit Herrn Dietmar Eberle in Hamburg einen weiteren Bürostandort von Baumschlager Eberle Architekten, den Herr Brendel als Geschäftsleitender Gesellschafter seitdem leitet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert