YALLA YALLA! MANNHEIM FOR CHANGE

© Alexander Münch

Angsträume – jeder kennt sie, die meisten meiden sie. Sie sind vor allem ein Problem der Städte und wecken den Wunsch nach Veränderung. Aber nicht nur diese „Unorte“, die so offensichtlich nach Veränderung schreien, eröffnen eine Fülle an spannenden und innovativen Raumkonzepten. Auch Gebäude oder andere urbane Flächen inspirieren die Jungs von Yalla Yalla! – studio for change zu einzigartigen Gestaltungskonzepten. Mit dem Motto „Yalla Yalla!“, das sich aus dem arabischen mit „Los geht’s!“ übersetzen lässt, packen Robin Lang und Wulf Kramer ihre Projekte an. Die Gründer von Yalla Yalla! – studio for change, studierten beide Architektur – Lang an der Universität Kaiserslautern, Kramer an der Universität Stuttgart, der AdbK Stuttgart und der TU Delft. Kramer absolvierte zusätzlich noch einen Master in Social Innovation an der Donau-Universität Krems. Vor fünf Jahren gründeten die zwei dann das studio for change. Seit seiner Inbetriebnahme im Sommer 2014 befindet sich ihr Büro im C-HUB, Mannheims modernstem Existenzgründerzentrum im Stadtteil Jungbusch, dem Hotspot für kreative Köpfe nahe dem Musikpark und der Popakademie Baden-Württemberg. Von dort aus gehen sie die Planung der stadtgestaltenden Projekte an.

Was sind das für Projekte? Die Planer konzipieren und gestalten Räume jeglicher Art, sei es drinnen oder draußen. Hierbei betrachten sie die Flächen nicht nur aus einer räumlichen Perspektive, sondern auch mit Blick auf soziale und gesellschaftliche Ebenen. Nicht nur die Flächen, also die Basis für die Gestaltung, sondern auch die Konzepte unterscheiden sich zum Teil stark – von der temporären Zwischennutzung über Pop-up-Installationen bis hin zu Events ist alles dabei. Allen Projekten gemein ist, dass ganz unterschiedliche Akteursgruppen zusammenkommen und es immer auf eine gelungene Mischung aus Experten- und Alltagswissen ankommt. Neben Innovation und Kreativität, formt das kontextuelle Wissen das Fundament ihrer Projekte. Oberstes Ziel ist es, urbane Räume, die ein neues Image bitter nötig haben, wieder in identitätsstiftende und bedeutungsstarke Orte für die Mannheimer zu verwandeln.

Einen Ort bespielt das Büro gleich mehr als einmal: den Verkehrsknotenpunkt Rheinstraße in Mannheim. Ein Angstraum, wie ihn jede Stadt hat, obwohl er gleichzeitig zu den grünsten Orten in Innenstadtlage gehört. Trotz seiner Lage wird er seitens der Mannheimer weder (positiv) wahrgenommen, noch zählt er zu den Orten, die sie gerne und oft aufsuchen. Ursächlich hierfür ist u. a. ein Gewaltverbrechen im Jahr 2013. Im Rahmen des CAPTCHA Design Festivals 2016 widmeten Lang und Kramer diesem Anti-Ort einen viertägigen Workshop, bei dem sie gemeinsam mit Studierenden das Potenzial dieses urbanen Raumes erforschten. Die Infrastruktur des Umschlagpunktes scheint dabei die Gestaltung zunächst mit zwei Straßenbahnhaltestellen, mehreren Radwegen, Auf- und Abfahrten und Parkplätzen einzuschränken. Die Analyse der Ausgangslage hatte das Ziel Lösungen auszuloten, wie das verborgene Potenzial des Ortes rausgekitzelt und Unschönes überdeckt werden kann, um dem Raum so eine neue Bedeutung für die Stadt und ihre Bewohner zu geben. Das positive Feedback seitens der Bürgerinnen und Bürger ebnete letzten Endes den Weg zu einem Minifestival, das dem ehemaligen Angstraum nur ein Jahr später für zwei Wochen im Juli urbanes Leben einhauchte. Veranstaltet wurde das Festival gemeinsam mit dem Studio Brückner & Brückner, die bereits Erfahrung mit der Durchführung von Urban-Hacking-Workshops an der Hochschule Mannheim hatten. Bei der Umsetzung durften sich die Studios über zusätzliche Unterstützung seitens verschiedener städtischer Akteure freuen. Leitprinzip war hier, wie bei allen Projekten, das sogenannte „Place-Making“, d. h. einem Ort einen (neuen) Sinn geben. Die Entwicklung einer solchen neuen Ortsbedeutung erfolgt maßgeblich durch die Menschen, die an dem jeweiligen „place“ Zeit verbringen und neuen Aktivitäten nachgehen können. Auch während des Festivals Haltestelle Fortschritt, das aus der gesamten Rheinstraße einen Festivalplatz machte, ging es darum, aus dem Unort Rheinstraße einen Treffpunkt für alle Mannheimer zu entwickeln, der Anlässe und Raum bietet, um sich austauschen, etwas essen und trinken, spannenden Vorträgen lauschen, und an Urban-Hacking-Workshops sowie Outdoorfilmvorführungen teilnehmen zu können. Nach dem großen Erfolg 2017, fand das Festival auch 2018 statt. Nach einjähriger Pause soll das Festival 2020 an einem neuen Ort in die dritte Runde gehen.

© Sebastian Weindel

Darüber hinaus riefen Yalla Yalla! im September 2017 das „Mobile Cinema“ anlässlich des 200. Geburtstags des Fahrrads, das eine Mannheimer Erfindung ist, ins Leben. Dieses Jahr zeigt das mobile Fahrradkino bereits in der dritten Saison an zehn Mannheimer Plätzen Filmvorführungen. Das autarke Fahrradkino lässt sich bequem auf zwei Lastenräder plus Anhänger verteilen: auf dem Beamerbike ist die Technik untergebracht, das Gastro-Bike besitzt eine Kühlbox mit Getränken sowie eine ausklappbare Theke. Die zusätzliche Ausrüstung und die Soundboxen können in den zwei Anhängern überall mit hin transportiert werden. Batterien, die über die Fahrradgeneratoren aufgeladen werden, versorgen das Kino mit Strom für zwei Filmvorführungen. Die Veranstaltungsorte des Open-Air-Kinos sind so vielseitig wie die Stadt selbst. Ob Brachflächen, Ufergelände oder Konversionsflächen: die Möglichkeit gerade zentrumsfernere Orte, „die man nicht auf seiner mentalen Landkarte hat“, wie neben den o. g. auch den Flughafen als Veranstaltungsort zu nutzen und so deren positive Wahrnehmung zu stärken, schätzt Wulf Kramer besonders. Bei der Auswahl des Kinos wird darauf geachtet, den Zugang zu einem Kiosk oder einem Gastronomen zu ermöglichen, sodass einem gemütlichen Kinoerlebnis nichts im Wege steht.

Wie läuft dieser Kinobesuch nun ab? Für jede Filmvorführung werden im Vorhinein Tickets zum Preis der Unkosten verkauft und ein Treffpunkt innerhalb der Stadt festgelegt. Von dort aus fahren alle gemeinsam in einem Konvoi zum Veranstaltungsort. Mittlerweile ist das Kino so beliebt, dass die Teilnehmerzahl ab und an auch die 200er-Marke sprengt. Am Platz angekommen wird alles aufgebaut, die Teilnehmer machen es sich bequem – und dann geht es auch schon los. Nach der Vorstellung gehen alle Zuschauer wieder ihrer Wege.

Das von der Stadt Mannheim in Auftrag gegebene Projekt ist in Zusammenarbeit mit dem Verkehrsverbund Rhein-Neckar GmbH und VRN Nextbike entstanden. Ursprünglich nur anlässlich des Geburtstags des Fahrrads entwickelt, hat sich das Projekt aufgrund der hohen Nachfrage und dank des Sponsorings des Verkehrsverbunds Rhein-Neckar als Teil des Mannheimer Kulturprogramms verstetigt.

Die Idee der (fast) autofreien Städte wird durch die neueste Entwicklung der Planer, das sogenannte CITYDECKS – ein modulares, mobiles Parklet-System, vorangetrieben. Die 1,20 Meter breiten Module des Outdoor-Mobiliars bestehen aus Holzplanken, die auf verzinkten Schotten befestigt sind. Dem Baukastenprinzip folgend sind sie individuell und temporär einsetzbar – z. B. auf ungenutzten Parkflächen. Diese brachliegenden Flächen lassen so ihr tristes Dasein hinter sich und laden stattdessen aufgrund neuer Sitzmöglichkeiten und viel Grün die Menschen zum Verweilen ein. Das Interesse am Baukastenmobiliar ist groß und das erste CITYDECKS findet schon im September dieses Jahres sein (temporäres) Zuhause in Kaiserslautern. Prinzipiell kann das CITYDECKS auch auf anderen ungenutzten Flächen aufgebaut werden. Primär ist es aber für Parkplätze vorgesehen, da sich auch die Maße der CITYDECKS an denen der Parkplatzflächen orientieren und das System gezielt für diese entwickelt wurde. Für eine reibungslose Realisierung steht Yalla Yalla! Interessenten natürlich auch beratend und mit individuellen Lösungen zur Verfügung.

Bereits vor zwei Jahren nutzte das Planungsbüro die Chance, gemeinsam mit den Projektpartnern des Festivals Haltestelle Fortschritt, beim Gemeinderat einen Antrag für einen Aktionsfonds für urbane Interventionen an Angsträumen einzureichen. Der Gemeinderat stellte daraufhin 50.000 Euro bereit. 2020 soll dann der über alle Fraktionen hinaus bewilligte Antrag zur Verfügung stehen und der entsprechende Betrag für die temporäre Nutzung verschiedener Räume genutzt werden können. Die genauen Bedingungen und Abläufe werden derzeit noch verhandelt. Den Anstoß für diese positive Entwicklung gab das Minifestival an der Rheinstraße. „Die Idee ist, dass Nachbarschaften, Vereine, etc. sich um eine Förderung bewerben können, um sowohl bei der Finanzierung als auch der Umsetzung ihrer Projekte Unterstützung zu bekommen“, erläutert Kramer den Gedanken hinter dem Aktionsfonds. „Es ist spannend, wie man mit einem Minifestival Anstöße in die Lokalpolitik geben kann.“ – Ein Beispiel guter Zusammenarbeit zwischen der Politik und urbaner Interessensgemeinschaften hin zu einer gemeinsamen Stadtplanung.

Mit ihrem Leitgedanken des Place-Makings, mit dem sie ungenutzten und vernachlässigten urbanen Räumen wieder Sinn verleihen, greift Yalla Yalla! – studio for change ein hochaktuelles Problem der Stadtentwicklung auf und bietet kreative und innovative Gestaltungsansätze, die große Lösungspotenziale für die Problematik bieten. Mit ihren Aktionen und Events wertet das Team nicht nur das Stadtbild auf, sondern auch die Lebensqualität und das Stadtgefühl der Mannheimer. Ein Konzept, das als Vorbild für andere Städte dienen sollte. In diesem Sinne „Yalla Yalla!“

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