PARIS: URBANE LANDWIRTSCHAFT TRIFFT AUF VIELFÄLTIGE FUßGÄNGERBRÜCKE IN FISCHGRÄTEN-OPTIK

© Vincent Callebaut Architectures

Im Rahmen des internationalen Wettbewerbs Reinventing Cities entwarf Vincent Callebaut Architectures das Projekt The Green Line in Paris. Dabei steht die Funktion der Brücke als Verbindungsinstrument nicht im Vordergrund. Das, was sich auf der Brücke selbst abspielen könnte, macht sie zu einer einzigartigen Destination. Sie ist ein eigenes begrüntes Ökosystem mit Urbaner Landwirtschaft, Forschungszentrum, Co-Working-Laboren, Bio-Restaurants und vielen weiteren Angeboten. Bei der Konzeptionalisierung spielt immer auch die Verbesserung der Luft- und Wasserqualität eine große Rolle.

The Green Line ist der Prototyp einer essbaren, widerstandsfähigen und umweltfreundlichen Architektur. Die Brücke ist so konzipiert, dass sie ihre Energie aus erneuerbaren Quellen selbst erzeugt, eigenständig Abfälle recycelt sowie Abwässer filtert und wiederverwendet. Darüber hinaus optimiert sie stetig ihre Bedarfe anhand von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien.

Brücke folgt Foodscaping-Konzept

© Vincent Callebaut Architectures

Das Konzept verfolgt das sogenannte Foodscaping. Das Wort stammt von dem Begriff Landscaping. Dahinter steckt der Lebensmittelanbau als Verschönerung und gleichzeitiger sinnvoller Nutzung der Landschaft. Vincent Callebaut Architectures haben eine wahrhaftig essbare Landschaft erschaffen, die den Pariser Bauern, den sogenannten „Parisculteurs“, gewidmet ist. Durch das große Aufgebot an Flächen für Urban Gardening sollen die Bewohner:innen für Öko-Gastronomie und alternativen Konsum sensibilisiert werden. Auf dem Panoramadach sowie in zahlreichen Gewächshäusern befinden sich auf 3.500 m2 Gemüse- und Obstgärten unter dem Pariser Himmel.

Die dicht bewachsene urbane Landwirtschaft entsteht in Kooperation mit der Urban Farming-Gruppe Sous Les Fraises. Dies trägt einerseits zu einem geringeren Schadstoffausstoß aufgrund reduzierter Lebensmitteltransporte bei, andererseits zu einer Abkehr von Massenproduktion. Außer dem begrünten Dach ist zudem ein 8.500 m2 großer Amphibiengarten geplant. Insgesamt entstehen durch das neue Projekt 12.000 m2 neue Grünflächen im Viertel. Durch die Entwicklung eines neuen Korridors für lokale Pflanzenarten wird es die neue grüne Lunge der beiden Arrondissements.

Forschungszentrum für die nachhaltige und intelligente Stadt

Neben der urbanen Landwirtschaft ist auch ein Campus für die Erforschung und Erarbeitung von Konzepten für die nachhaltige und intelligente Stadt geplant. Die Forschung ist auch eng mit Konzepten neuer Kreislaufwirtschaft wie Robotik, erneuerbare Energien oder Künstlicher Intelligenz verbunden. Das Forschungslabor setzt einen Fokus auf nachhaltiges Management von Wasser und Luft in urbanen Gebieten. Es stehen zudem Räume für Schulungen bereit, unter anderem für Unternehmen oder Studierende. Um das aktuell vorherrschende Bedürfnis nach größtmöglicher Flexibilität und digitalem Arbeiten zu ermöglichen, ist in fast allen Teilen der Brücke eine qualitativ hochwertige Internetverbindung vorgesehen. Darüber hinaus befinden sich auf der Gartenbrücke diverse Restaurants und weitere vielfältige Freizeitangebote. In den Restaurants wird das auf der Brücke angebaute Obst und Gemüse direkt vor Ort verarbeitet. Die Gäste können es dann bei einem atemberaubenden Blick auf die Bibliothèque Nationale de France, die Tours Duo und die Tour in Bercy-Charenton genießen.

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Natürlich ist auch die Funktion der Brücke selbst bedeutsam: Sie behebt die urbane Kluft zwischen zwei noch voneinander getrennten Bezirken Bercy Village und Masséna. Die Brücke bildet eine gewundene und bewachsende Verbindung zwischen den beiden Ufern und verbindet den 12. mit dem 13. Arrondissement. Auf diese Weise werden neue Spazierwege erschlossen – zum Parc de Bercy sowie den Jardins Abbé-Pierre-Grands-Moulins.

Verbesserte Luftqualität durch Bepflanzung

Zur Verbesserung der Luftqualität trägt vor allem auch ein Wald aus mehr als 20.000 Pflanzen, Sträuchern und Bäumen bei, der die Fußgängerbrücke und den Amphibiengarten am Kai bedeckt. Dieser Wald könnte künftig 125 Tonnen Schadstoffe aus der Luft der Hauptstadt einfangen und mittels Photosynthese in Sauerstoff umwandeln. Er würde dadurch einen wichtigen Beitrag zum Kampf gegen den Stadtsmog leisten.

Neben der Verbesserung der Luftqualität nimmt sich das Projekt auch einer weiteren wichtigen Herausforderung an: Der Wasserfilterung der Seine. Beim Auffangen der Wasserverschmutzung spielt der Amphibiengarten eine wichtige Rolle. Zudem wird Regenwasser in den Sanitäranlagen sowie in den von Fischen besiedelten Aquaponik-Becken gesammelt, um die Obst- und Gemüsegärten mit Spurenelementen zu bewässern.

Konzept setzt auf erneuerbare Energien

Insgesamt setzt das Konzept auf fortschrittliche erneuerbare Energien. Es sollen 3.000 m2 Hybrid-Solarpaneele auf den Dächern angebracht werden, um Warmwasser sowie Strom zu erzeugen, der direkt in Wasser- und Brennstoffzellen gespeichert wird. 56 Windturbinen sorgen zudem für die nächtliche Beleuchtung der Brücke – ganz ohne Lärmbelästigung. Außerdem kommt die sogenannte fluvio-motive Energie zum Einsatz, bei der das thermische Gefälle zwischen Oberflächen- und Tiefenwasser des Flusses die Funktionsräume entsprechend der Jahreszeiten bioklimatisiert und den Heiz- sowie Kühlbedarf regelt. Des weiteren werden organische Abfälle in einer in den Brückenzellen integrierte Biogasanlage in Wärme und elektrische Energie umgewandelt.

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Architektonisch besteht die Primärstruktur der Brücke aus zwei ineinander verschlungenen Doppelbögen. Der eine Bogen mit einer Spannweite von 155 Metern verbindet die niedrigen Kais miteinander. Die hohen Kais hingegen werden mit einem Doppelbogen von 220 Metern Spannweite verbunden. Die Sekundärstruktur gibt der Brücke ihre fischgrätenartige Form: Ein Triplex von Schalen, die an den Doppelbögen aufgehängt sind.

Die dadurch entstehenden Innenräume sind somit unverstellt und offen. Die geplante Brücke ist eine hybride Version der sogenannten „Bow-String“-Typologie. Die Fundamente sind in einer Linie mit den Kais gebaut, um zu verhindern, dass sich die Strömung des Flusses dadurch ändert und Schiffe auf dem Fluss behindert werden könnten.

Daneben wird darauf Wert gelegt, die Konstruktion möglichst ohne Belästigung der Anwohner:innen durchzuführen. Das wird u. a. dadurch erreicht, dass die neuen Fundamente nacheinander, beginnend mit den niedrigen Kais gebaut werden und Lastkähne auf dem Fluss zur Anbringung der Bögen verwendet werden. Insgesamt wird dabei auf die Verwendung natürlicher biobasierter und/oder recycelter Materialien geachtet. Zudem integriert die Brücke Prinzipien des passiven Bioklimatismus durch eine hochwertige thermische Isolierung sowie ein doppelflutiges Belüftungssystem. Dabei ist je nach Uhrzeit ein Austausch von Wärme und Kälte möglich.

Vier Garten-Themen runden Konzept ab

Das Konzept umfasst auch vier verschiedene « Garten-Themen ». Diese werden in Kooperation mit dem Scientific and Technical Center for Building (CSTB) entwickelt. Zum einen wird es die sogenannten „Fisch-Gärten“ geben. Diese umfassen die Umleitungsbecken, die den Flussfischen ein großes Rückzugsgebiet im Fall von Überschwemmungen bieten. Dazu werden Pfeiler installiert, die den Wasserfluss verlangsamen. Aktuell wird untersucht, wie ihre Lage und Geometrie so optimiert werden können, dass die passive Sauerstoffzufuhr der Seine maximiert wird. Diese Gärten sind mit Wasserpflanzen und großen Helophyten bepflanzt. Sie beherbergen 28 Fischarten aus der Seine, beispielsweise Rotfedern, Brassen oder Aale. Die Gärten werden auch mit dem Ziel entwickelt, ein großes Laichgebiet zu erschaffen, das wiederum an das Phyto-Reinigungssystem in den Lagunen gekoppelt ist. Insgesamt wird hier insbesondere die Vielfalt einheimischer Arten der Seine wiederhergestellt.

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Der sogenannte „luftreinigende Garten“ soll bestimmte Pflanzenarten enthalten, die aufgrund ihrer Rauheit und ihren Härchen auf der Oberfläche Feinstaubpartikel einfangen können. Dieser Prozess wird durch eine externe Regenwasserbewirtschaftung und die automatische Bewässerung von Pflanzgefäßen zusätzlich gefördert. Dadurch entstehen umweltfreundliche Terrassen, die insbesondere durch ihre Lage im Windkorridor des Seine-Bettes sehr nützlich sind.

 

Bäume als Kohlenstoffspeicher

Die dritte Gartenart legt ihren Fokus auf Pflanzen, die das in der Atmosphäre vorhandene CO2 durch Photosynthese absorbieren. Beispielsweise dienen Bäume als Kohlenstoffspeicher, die in ihrem Laub, ihren Ästen, ihrem Wurzelwerk und im holzigen Gewebe ihrer Stämme CO2 speichern. Dieser Prozess gliedert sich in zwei Unteraspekte: Zum einen die Kohlenstofffixierung – durch Photosynthese – zum anderen die Speicherung selbst – also den Aufbau von Kohlenstoffspeichern im Laufe der Zeit. Studien konnten zeigen, dass der Anteil gespeicherten Kohlenstoffs mit der Fläche der bewaldeten Flächen und dem Anteil großer, gesunder Bäume zunimmt. Aufgrund dieser Studien fiel die Wahl insbesondere auf pflegeleichte Bäume mit hartem und dichtem Holz, u. a. Kiefern, Zypressen, Eichen und Buchen.

Im Bereich der urbanen Landwirtschaft sind unter anderem heimische Obstarten wie Schwarzkirsche und Maulbeere geplant. Diese sollen die Entwicklung der Kleinfauna im urbanen Raum fördern. Des Weiteren sollen für die unteren Schichten Kleinobstbäume wie Johannisbeeren, Himbeeren oder Heidelbeeren gepflanzt werden. Gewächshäuser erweitern zusätzlich den Möglichkeitsspielraum – einerseits für die Bandbreite an Pflanzen, andererseits für interessierte Bewohnerinnen und Bewohner. Sie können hier selbst tätig werden, sich mit der Pflanzung alter und seltener Pflanzenarten und Samen beschäftigen oder sich mit Gleichgesinnten über das Gärtnern austauschen. Die Gärten sind ein neuer Begegnungsort für alle Pariser:innen.

Speicherung von Regenwasser zur langfristigen Bewässerung

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Auch für die Bewässerung ihrer vielfältigen Grünflächen hat das Projekt eine Lösung. The Green Line entwickelt eine Technologie zur Rückgewinnung von überschüssigem Regenwasser. Es wird in einem speziellen Behälter unter den Pflanzen gespeichert. In Hitzeperioden verdunstet das gesammelte Wasser und befeuchtet das Substrat der Pflanzen. Die Dekontaminationsgärten werden von einer Phytosanierungslagune begleitet, die mit Arten bevölkert ist, die aufgrund ihrer Fähigkeit, das Wasser der Seine zu dekontaminieren, ausgewählt wurden.

Insgesamt legten die Initiatoren Wert darauf, das Projekt mit so vielen Interessensgruppen wie möglich zu erarbeiten und abzustimmen. Das Ziel ist es, auch einen neuen sozialen Begegnungsort in der Metropole zu schaffen. Es soll ein Ort des Austauschs und der Vielfalt, der unterschiedliche lokale Aktivitäten bietet. Genauso soll er aber auch die Entspannung und das Wohlbefinden der Bewohner:innen fördern. Sich stetig wandelnde und flexible Gemeinschaftsräume fördern soziale und kulturelle Innovationen sowie Interaktionen – dabei passen sie sich an neue, sich ständig entwickelnde Nutzungen an.

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