
© Bollingen
Die außergewöhnliche Idee basiert auf der Struktur des Gehirns, die übersetzt in die Architektur zu einer neuen Typologie der Wissensvermittlung wird. Das Gebäude selbst funktioniert als Gehirn. Es besitzt eine eigene Sensorik und künstliche Intelligenz – es kann sich erinnern, wahrnehmen, lernen, kommunizieren und vernetzen. Aus dem natürlichen Vorbild entsteht The Brain, das zum Begleiter auf der Reise zum Wissen wird.

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Vier Sinnbilder adressieren das Unterbewusstsein der Besucher*innen, verbinden sich in der Architektursprache und formen das Brain – der Baum, die Booktonic, das Labyrinth und der Wald. Der Baum steht stellvertretend für den Urgedanken der Weisheit und wird in vielen Gesellschaften für seine spirituelle Kraft geschätzt. Die strukturelle Analogie zwischen den Neuronen des Gehirns und dem Astwerk des Baumes lassen ihn metaphorisch zum Verbindungsglied zwischen Mensch und Wahrheit werden. Die Wortneuschöpfung Booktonic setzt sich zusammen aus dem englischen Wort für Buch und Tectonic, dem Aufbau der Erdkruste. Die Bedeutungsebene bezieht sich auf das inhaltliche Wesen der Bücher, das im Brain zu dessen Bausubstanz wird – das Wissen wird zu Architektur. Insbesondere bei der Typologie der Bibliothek ist die Funktion des Gebäudes nicht von der Planung zu lösen. Bücherregale werden zu lebendigen Wänden aus Erinnerungen und Informationen. Dementsprechend steht die Architektur auf dieser Ebene bildhaft für den unendlichen Informationsspeicher eines Gehirns. Ein Labyrinth aus gebogenen und gefalteten Wänden symbolisiert die Form eines Cortex’. Die Besucher*innen begeben sich auf ein Abenteuer durch die Architektur und die eigene Fantasie. Sie verlieren sich im Labyrinth und erlangen mithilfe der KI des Brains als Begleiter neue Erkenntnisse. Die Idee des Waldes als Netzwerk bildet die Metaebene des gesamten Entwurfs. Es besteht nicht nur eine Parallele zwischen den Neuronen eines Gehirns und dem Astwerk eines Baumes, sondern darüberhinaus zu einem ganzen Wald als Organismus. Das Brain als Wald des Wissens kombiniert Daten über Sinne, Emotionen, Handlungen und Sprache so wie ein echter Wald über Bäume, Sonnenlicht, Wind, Boden und Menschen.

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Diesen Leitbildern folgend entstand ein einzigartiger Entwurf für die Bibliothek Songdos. Das Brain liegt in einem weitläufigen Park, der mit seinen Wegen die innere Struktur des Gebäudes – des Cortex’ – fortsetzt. Neben der vielgestaltigen Zuwegung befinden sich dort zwischen den Bäumen mehrere kleine Veranstaltungsorte, ein Open-Air Lesebereich, ein Café, ein Ausstellungsbereich und ein Spielplatz. An den großzügigen Eingangsbereich im Erdgeschoss des Gebäudes gliedern sich die Cafeteria und einer der zwei großen Lesebereiche. Eine Besonderheit des Entwurfs sind die Agoras, Verweilmöglichkeiten um die Stämme der Bäume, die sich innerhalb des Gebäudes befinden. Die Besucher*innen bewegen sich über die Cortex-Struktur und entdecken auf ihrer Reise immer neue Informationen. Apps und ‚Devices’ ermöglichen die Kommunikation mit der KI, welche die Besucher*innen über ganz individuelle Wege durch das Gebäude leitet.

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Eine Zwischenebene bestehend aus einem Informationspfad entlang der Bücherregale bildet den Übergang von dem Lesebereich im Erdgeschoss zu dem atmosphärisch beruhigteren Obergeschoss. Dort befindet sich ein zweiter Lesebereich sowie einige kleine Konferenz-, Klassen- und Mediaräume, um separates Arbeiten und Lernen zu ermöglichen. Mehrgeschossige Bücherregale, Lufträume und die hochwachsenden Bäume lassen eine vertikale Beziehung der einzelnen Ebenen zueinander entstehen. Im Untergeschoss gibt es neben Parkmöglichkeiten, Verwaltungs- und Technikräumen außerdem ein Auditorium und ein Drive-thru Kiosk. Ein Wasserrückhaltebecken und die Nutzung des Grauwassers ermöglichen eine nachhaltige Bewässerung der Bäume. Ein Dachgarten schließt das Gebäude ab und bietet mehreren Verweilmöglichkeiten im Grünen sowie eine Bühne für kleine Open-Air Veranstaltungen.
Die beispiellose Übersetzung von der metaphorischen Ebene in eine konkrete Architektursprache ist das Alleinstellungsmerkmal des Entwurfs. Das Brain ist ein ganzheitlicher Organismus – ein lebendiger Wald, in dem sich Natur, Mensch und Wissen verbinden.

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Bilder im Slider: © Tim Dongho Yun
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