
v.l. Stephan A. Vogelskamp, Geschäftsführer automotiveland.nrw; Ingo Wortmann, Präsident Verband Deutscher Verkehrsunternehmen; Dr. Ludwig Fazel, Leiter Strategie Volkswagen Group Components/ Volkswagen © Stefan Fries
„Wie kann man den Tanker noch wenden? Ist dies noch überhaupt zu schaffen?“ Mit Blick auf Weltbevölkerungswachstum und Klimakrise, stellte Stephan A. Vogelskamp diese Frage eingangs zu einem Symposium von Automotiveland.nrw am 3. November im Lichtturm Solingen. Unter der Fragestellung „Mobilitätswende – Wie erreichen wir die Klimaziele?“ hatten sich auf Einladung des Branchenclusters, dessen Geschäftsführer Vogelskamp ist, Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Verbänden zusammengefunden und entlang der Fachvorträge von zwei Experten die Herausforderungen und mit ihnen erforderlichen Maßnahmen der Verkehrswende diskutiert. Mögliche Antworten bzw. Lösungsansätze auf die Eröffnungsfrage gaben die beiden Referenten des Abends jeweils mit der Perspektive ihrer Disziplin und Domäne.
Ingo Wortmann, seines Zeichens Vorsitzender der Geschäftsführung der Münchner Verkehrsgesellschaft mbH (MVG) und Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), schilderte anhand der Aufgabe der klimagerechten Umgestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in München, welche grundsätzlichen Fragen sich in diesem Kontext bundesweit stellten. So hat sich etwa die Stadt München das politische Ziel gesetzt, bis 2030 im Modal Split 80 % des Stadtverkehrs durch den Umweltverbund von öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrradmobilität und Fußwege zu erbringen. Ein ambitioniertes Ziel, das erhebliche Investitionen erfordert, wie Wortmann ausführte. Denn um den hierfür erforderlichen Hinzugewinn von über 160 Millionen Fahrgästen auf insgesamt 760 Millionen Fahrgäste pro Jahr realisieren zu können respektive den Anteil des ÖPNV am Modal Split auf 30 % zu erhöhen bei einer damit verbundenen CO2-Einsparung von 51 %, sei ein erheblicher Investitionsbedarf etwa für die Neuanschaffung von Fahrzeugen sowie Infrastrukturausbau und -erweiterung notwendig: So sollen beispielsweise zur Bewältigung dieses ambitionierten zwei neu U-Bahn- und drei neue Tramstrecken gebaut werden, man will die Zahl der U-Bahnen um 40 weitere Fahrzeuge auf 140 sowie die Trambahnen von 110 auf 210 erhöhen und die Busflotte von aktuell 560 – Dieselbussen – auf 1030 überwiegend Elektrobusse nahezu verdoppeln.
Doch bei der Aufstockung der Fahrzeugflotte und Streckenerweiterungen bleibe es nicht, diese Maßnahmen fordere weiteren öffentlichen Raum in Form neuer Betriebshöfe oder Tram-Haltestellen und Busspuren, die wiederum Folgekosten verursachen, wie Ingo Wortmann ausführte. Selbst für eine finanzstarke Kommune wie München sei dies bei einer aktuellen Kostendeckung von 80 % und mit dem Ausbau des ÖPNV von nur noch 50 % ein Kraftakt und ohne öffentliche Förderung nicht zu realisieren, betonte der Verkehrsexperte, finanziell weniger gut aufgestellte oder gar verschuldete Kommunen müsse es eine volle Kostenübernahme geben oder man müsse eine Lösung für die Schuldensituation finden Denn: „Wir reden viel über die Verkehrswende, aber sie ist jedoch nicht finanziert.“ Wortmann bezifferte die Finanzierungslücke beim Ausbau des ÖPNV bundesweit auf 11 Milliarden Euro – die aus Sicht von Ingo Wortmann seitens des Bundes geschlossen werden müsste, da dieser sich mit dem Pariser Klima-Abkommen völkerrechtlich zu mehr Klimaschutz verpflichtet habe. Der Bund dürfe die Kommunen in diesem Punkte nicht allein lassen und müsse über die Frage der Finanzierung hinaus auch Investitionen in Personal an den Gerichten und in den Genehmigungsbehörden zur Verfahrensbeschleunigung tätigen. Grundlegend fehle es an Fachkräften – diesen Bedarf in Verkehrsbetrieben, Stadtplanung, Verkehrsplanung und Ingenieursbüros gelte es, durch Aus- und Weiterbildung und Finanzmittel abzudecken. Auch hier sieht der Verbandschef den Staat in der Pflicht. Damit die Verkehrswende gelinge, dürfe man nicht die ländlichen Regionen vergessen. Hier sieht Ingo Wortmann Service on demand als wichtig an, um den Anschluss auch jenseits des eigenen Automobils wahren zu können. Allerdings stelle sich auch hier die Frage nach den Geldmitteln. Ingo Wortmann schloss mit dem Fazit, dass die Verkehrswende „kein Konzept-, sondern ein Umsetzungsproblem“ darstelle.
Die Frage der Umsetzung beschäftigt auch die Volkswagen Group Components, die Komponenteneinheit der VW AG, wie deren Strategieleiter Dr. Ludwig Fazel berichtete. Der Konzern habe sich bereits früh auf Elektromobilität als künftige Ausrichtung festgelegt und gehe davon aus, dass im Jahr 2030 markenübergreifend etwa 60 Prozent seiner in Europa verkauften Neuwagen vollelektrisch sein werden. Hier habe Tesla den Maßstab gelegt und fungiere für die Branche als motivierender Vorreiter, der Benchmarks in den Marktbedingungen setze. Den Wandel treiben nach Fazels Ausführungen zudem neue Marktteilnehmer weiter an. Volkswagen befindet sich laut Fazel aktuell in einer äußerst aufwendigen Transformationsphase zur Umstellung auf Elektromobilität, die mit einem enormen finanziellen und personellen Kraftakt bei der Umstellung bzw. Anpassung der Produktion verbunden sei. Im Zuge der Produktionsumstellung auf vollelektrische Antriebe wird der Konzern noch weiter Verbrennerfahrzeuge produzieren, sodass sich der Wandel vom „Old Auto“ zum „New Auto“ über zwei Produktlebenszyklen erstrecken wird, wie der VW-Experte ausführte. Für das Werk Salzgitter beispielsweise prognostiziert VW beispielsweise, dass bereits 2027 kein einziger Verbrennermotor mehr vom Band laufe – eine immense Herausforderung auch mit Blick auf die Umqualifizierung der Mitarbeiterschaft. Für Salzgitter wie auch weitere Standorte sieht der Konzern die Fertigung von Batteriezellen vor – eines der Wachstumsfelder nach Einschätzung von Ludwig Fazel. Hier sei VW als einer der ersten aktiven OEMs. Der Batteriezellbedarf des VW-Konzerns werde alleine in Europa bis 2030 den Aufbau von sechs Gigafactories erfordern. Neben der Umstellung seiner bestehenden Werke will der Konzern daher in diesem Segment auch in Spanien ein neues errichten. Im Sinne eines Closed-Loop-Ansatzes will der Konzern auch im Rohstoffabbau in Kooperation mit Unternehmen im Miningbereich treten. Darüber hinaus will das Unternehmen sein Portfolio ausbauen. Bisher unter den Top 5 Komponenten-Zulieferer für die eigenen Marken, sei ein wesentliches Ziel in diesem Segment der Ausbau des externen Geschäfts, der mit Ford angelaufen ist. Auch im Bereich der E-Ladeinfrastruktur will sich VW an Konzepten wie etwa der flexiblen Ladesäule beteiligen und das Thema vorantreiben – hier bemängelte Fazel regulatorische Hemmnisse-, ebenso gehe das Unternehmen Aktivitäten im Energiesektor mit Photovoltaik sowie im MaaS/TaaS-Segment an. Diese Aktivitäten gingen mit einem starken Kulturwandel innerhalb des Konzerns sowie im Zuge von neuen Partnerschaften einher, auch im Sinne einer wettbewerbsfähigen Beschäftigung der Mitarbeiter.
Einen größeren Bogen Richtung Zukunft spannte der VW-Vertreter zum Abschluss. Er gehe von einer Konsolidierung des Marktes aus – zunächst auf technischer Ebene, dann auf Marktebene. Nach der Elektrifizierung des Antriebsstranges sei das autonome Fahren der nächste Schritt, wenn auch nicht in jedem Land zur gleichen Zeit und nicht gleich stark. In diesem Zuge werde due Autarkie im Markt abnehmen, Marken allerdings weiterhin vermarktungsstark blieben, neue Kooperationsmodelle entstehen und der Anteil der Eigenfertigung – wenn auch derzeit nicht genau bezifferbar, aber mit Sicherheit – schrumpfen. „Wir denken perspektivisch nicht mehr in Subindustrien, sondern in einer nachhaltigen Mobilitätsindustrie“, so Ludwig Fazel. Auf dem Weg dahin seien noch große Herausforderungenzu meistern – wie die Finanzierung des Wandels, die Bedienung des Fachkräftebedarfs („War for Talents“) oder das Thema Software, bei dem Autohersteller noch deutlichen Nachholbedarf hätten. Erstrebenswert sei die Schaffung eines ganzheitlichen Automotive- und Mobilitäts-Ökosystems inklusive Schnittstellen zu u.a. Energiewirtschaft oder ÖPNV.
Automotiveland
Das Cluster Automotiveland.nrw hat sich auf die Fahne geschrieben, die nordrhein-westfälische Automobilindustrie auf dem Weg zur automatisierten und elektrifizierten Mobilität zu unterstützen. Seinen Sitz hat der Verein an der Kölner Straße in Solingen.
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