Auch die Stadt München sieht sich seit geraumer Zeit mit den Herausforderungen des rasanten Wachstums deutscher Großstädte konfrontiert. Steigender Wohnungsbedarf, explodierende Mieten und Kaufpreise sowie eine stetige Suburbanisierung der bayerischen Hauptstadt fordern ein Umdenken. Im Zuge der Nachverdichtung steht neben der Bereitstellung bezahlbaren Wohnraumes auch die Erhaltung und Schaffung von öffentlichen und kulturell vielfältigen Räumen im Vordergrund.
Die Münchener urbanauten haben sich den Themen Nachverdichtung, Innenentwicklung und öffentlicher Raum angenommen und fordern in ihrer Tutzinger Erklärung „Mehr Platz für Alle!“. Sie begannen bereits im Jahr 2001 als interdisziplinärer Debattierclub für öffentliche Räume in München und organisieren im Sinne einer Denkfabrik und eines Stadtlabors öffentliche Debatten, Kunst- und Kulturprojekte, Stadtforschung und Stadtkonzepte für und in öffentlichen Räumen. Durch Projekte wie den Corso Leopold oder den Kulturstrand haben die urbanauten sich mittlerweile zu einer festen Größe in München entwickelt. Hauptantrieb der urbanauten ist es, den Menschen Lust zu machen, ihre öffentlichen, oft vergessenen Räume mit anderen Augen zu sehen, sie in Anspruch zu nehmen und sich dabei sozial und kulturell zu begegnen. Der Corso Leopold beispielsweise verwandelt die Leopoldstraße in ein kulturelles Ereignis, bei dem sich zweimal im Jahr mehrere 100.000 Menschen der Rückeroberung des öffentlichen Raumes in der Stadt München widmen. In diesem Rahmen entstand bereits 2004 auch die Idee des Kulturstrandes, mithilfe dessen die Verbesserung der urbanen Aufenthaltsqualität an der Isar gelingen sollte. Erfolgreich und mit großer Befürwortung vonseiten des Bürgermeisters Josef Schmid gelang es den urbanauten in kürzester Zeit den Vater-Rhein-Brunnen in eine kleine sandige Oase zu verwandeln, die das kulturelle Sommerprogramm der Stadt mit Leben füllt. Als weiteres Beispiel ist das Projekt Play Me, Im Your’s zu nennen, bei dem die urbanauten frei bespielbare Klaviere im öffentlichen Raum installieren. Auf diese Weise erklingt temporär Musik in der ganzen Stadt.
Da zu der Nachverdichtungsthematik auch eine besondere Aufmerksamkeit auf den öffentlichen Raum gehört, fordern die urbanauten in ihrer Tutzinger Erklärung 50-Jahre nach dem „Stadtentwicklungsplan Autogerechte Stadt“ von 1963/64 einen neuen „Stadtentwicklungsplan Öffentlicher Raum / Menschengerechte Stadt“. Dabei geht es insbesondere um Nachverdichtung in die Höhe statt in die Fläche, Stadtplätze und Shared Space für alle – statt mehrspuriger Kreuzungen für den Autoverkehr. Außerdem wird lebenswerter Raum in allen Stadtvierteln, nicht nur in der Innenstadt, sowie ein Isarufer für alle Münchener gefordert. Auf knapp 50 Seiten stellt die Tutzinger Erklärung Ziele, Strategien und konkrete Projekte vor, die der Verwaltung als elementarer Leitfaden bei Stadtentwicklungsfragen dienen sollen. Rund 120 engagierte Münchener Bürger beteiligten sich in der Evangelischen Akademie Tutzing bei der Ausarbeitung der Erklärung, die Ende Januar 2014 fertiggestellt wurde. Die Erklärung wurde damals mit dem Anliegen überreicht, dass der zukünftige Oberbürgermeister den Elan aus der Bevölkerung nutzen und die in der Tutzinger Erklärung aufgebrachten Ideen konkretisieren möge.
Nach gut zwei Jahren hat die Tutzinger Erklärung bemerkenswerte Spuren hinterlassen und die Münchener Stadtpolitik im Umgang mit dem Thema öffentlicher Raum nachhaltig beeinflusst. 2016 hat die Stadt München große Teile der Tutzinger Erklärung in das neue Konzeptgutachten Freiraum 2030 aufgenommen, das sich prioritär dem öffentlichen Raum zuwendet. Die Aktivität der urbanauten zeigt mit großem Erfolg auf, was passieren kann, wenn man anfängt, öffentliche Räume verstärkt als Möglichkeitsräume zu begreifen – als Orte, die eben nicht nur dem Autoverkehr, sondern auch der Kommunikation, der Interaktion und der Begegnung in einer stark wachsenden Stadt dienen.
Vom 15. bis 17. Januar 2017 treffen sich die Akteure der 1. Tutzinger Erklärung erneut in der Ev. Akademie Tutzing am Starnberger See, um die gemeinsame Arbeit zum Thema öffentliche Räume weiter zu vertiefen. Aus jeder Fraktion des Stadtrates wird bei dieser Zusammenkunft ein Vertreter vor Ort sein: Ein Zeichen dafür, wie ernst Verwaltung und Politik den Prozess und das Engagement der zivilgesellschaftlichen Akteure nehmen.
Ansprechpartner
Benjamin David
Ickstattstr. 9, 80649 München
T. 089/ 5 18 18 740
b.david@die-urbanauten.de | www.urbanaut.org
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