MAX VON BREDOW: MUT ZUR ANDERSARTIGKEIT

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Der Traum vom eigenen Haus ist so präsent wie schon lange nicht mehr. Jedes Wochenende, wenn wir die Zeitung aufschlagen, wird er aufs Neue genährt: durch Werbeanzeigen und Berichte darüber, wo sich der Eigenheimkauf noch lohnt. Für uns ist es wichtig, dass wir um unser Haus herumgehen können und daneben die Garage für unsere Autos haben. Mit den Autos fahren wir dann zur Arbeit. Hier zeichnet sich eine klare Trennung ab: nicht nur inhaltlich, sondern auch lokal. Wir arbeiten nämlich in der Stadt oder im Gewerbegebiet. Dafür opfern wir viel. Wir pendeln, haben weniger Zeit mit der Familie und investieren unser Geld in ein Grundstück, in ein Haus und in ein Auto. Warum nehmen wir diesen hohen Preis nach wie vor in Kauf? Mitunter, weil es manchmal gar nicht anders möglich ist. Nach wie vor gibt es in Deutschland Orte ohne S-Bahn-Anschluss und nicht alle Jobs sind im Homeoffice zu erledigen.

Die Gestaltung der Zukunft

Abgesehen von individuellen Faktoren spielt auch die Kommunalpolitik eine Rolle in der Frage, wie das Wohnen, Arbeiten und Leben in Zukunft aussieht. Damit fällt den Kommunalpolitikern eine schwierige Aufgabe zu, denn die Zukunft ist uns unbekannt. Entscheidend ist allerdings, dass wir sie gestalten können. Doch Bauen ist irreversibel und teuer. Daher ist es für Kommunen und Projektentwickler einfacher, auf bekanntermaßen funktionierende Konzepte zurückzugreifen.

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Trotzdem können und wollen wir die Ohren nicht verschließen vor den Stimmen, die die Bedürfnisse des Menschen stärker in den Mittelpunkt rücken wollen: mehr Zeit für die Familie und das Miteinander, Arbeit am Wohnort, die gemeinsame Nutzung von Gebrauchsgegenständen und vieles mehr. All diese Veränderungen können uns dabei helfen, wieder einen Teil unserer Unabhängigkeit zurückzugewinnen. Das Wohnen im Mehrfamilienhaus scheint hierbei noch nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein, denn auch dort erleben Menschen tagtäglich die Last der Anonymität und Isolation.

Kultureller Wandel

Eine weitere Herausforderung auf dem Weg zum funktionierenden Zusammenleben ist also die Tatsache, dass ein Großteil der Menschen allein oder zu zweit lebt. Es ist nicht verwunderlich, wenn der außerhäusliche Konsum von Lebensmitteln drastisch wächst. Das Abendessen mit der Familie wird durch ein Treffen im Café oder Restaurant abgelöst. Hierdurch bekommt die Gastronomie eine neue, wichtige Aufgabe als sozialer Treffpunkt im Quartier. Diese kann sie nur erfüllen, wenn sie eine wahre Aufenthaltsqualität bietet, und vielleicht ist sie sogar ein Ort der Inspiration.

Stadtraum in Anspruch nehmen

Sinnvolle Vorschläge für die Lösungen unserer Probleme rücken den öffentlichen Raum als Ort der Begegnung in den Mittelpunkt, denn wir treffen unsere Nachbarn nicht zufällig im eigenen Wohnzimmer. Der einzig überdachte öffentliche Raum im Quartier darf nicht die Bushaltestelle sein. Wir müssen lernen, dem Raum zwischen Gebäuden mehr Bedeutung zu geben und ihn für die Menschen zu planen. Das Schönste ist, wenn die Menschen den Raum selbst für sich in Anspruch nehmen. Für unser Projekt Mehrgenerationenwohnen in der oberbayerischen Gemeinde Weyarn haben wir einzelne Baufelder zugunsten einer großen, gemeinschaftlichen Freifläche, dem Klosteranger, bewusst verdichtet. Nun haben die Menschen in Weyarn einen Gemüsegarten angelegt, den eine Gemeinschaft bewirtschaftet, die sich selbst gefunden hat. Viele haben gezweifelt und gefragt, ob das funktionieren kann, doch der Garten blüht.

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Durchmischung als Perspektive

Wenn Wohnen und Leben im selben Gebäude stattfindet, lösen wir auf einen Schlag eine Vielzahl unserer Probleme. Wir senken vor allem das Verkehrsaufkommen und können im Alltag auf das beste Mobilitätskonzept zurückgreifen, das es gibt: zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren. Mit der Alten Spinnerei in Kolbermoor haben wir eine ehemalige Industriebrache in ein Quartier mit einer spannenden Mischung aus Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Genießen verwandelt. Im Spinnereipark, der sich in direktem Anschluss an die Alte Spinnerei befindet, entwickeln wir qualitätsvollen Wohnraum mit angeschlossenen WorkLabs, die wir an den individuell gestalteten Wohnraum andocken können. So sind beide Welten voneinander getrennt und doch miteinander verbunden.

Die Durchmischung funktioniert nicht nur besser als viele meinen, sie ist auch ausdrücklich von den Menschen gewünscht. Jetzt brauchen wir Unternehmer, Kommunalpolitiker und Menschen, die neue Wege beschreiten wollen. Es geht nicht um den Erfolg und auch nicht darum, im Recht zu sein. Es geht um die Frage, wie wir wirklich bauen und leben wollen.


Dr. Max von Bredow

promovierte nach einem Maschinenbau-Studium im Bereich Produktionsmanagement. Seit Anfang 2010 arbeitet er bei der Quest AG. Über eine Position als Mitglied im Vorstand der Quest AG wurde Max von Bredow 2013 zum Vorstandsvorsitzenden. Die Quest AG ist ein Familienunternehmen und wurde nach dem Verkauf der Werndl Büromöbel AG von Klaus Werndl gegründet.

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