
Erik Sassenscheidt © Andreas Endermann
Herr Sassenscheidt, als nordrhein-westfälisches Unternehmen ist die Sassenscheidt Gruppe sowohl in ihrem Heimatbundesland als auch in Sachsen aktiv. Wie kam Ihr dortiges Engagement zustande?
Wir haben in Sachsen über die Treuhand mit Fenster- und Fassadenbau begonnen, Immobilien haben wir anfangs noch in die Ferne gerückt. Nach der Wiedervereinigung galt es als kollektiver Plan, großflächig ostdeutsche Immobilien für potenzielle Mieter und Käufer zu sanieren. Entgegen der Erwartungen blieben die erhofften Abnehmer, für die geplant worden war, allerdings direkt über viele Jahre hinweg aus. Infolgedessen herrschte sowohl in Dresden als auch in Leipzig ein Leerstand von etwa 20 % und wir wurden in unserer Entscheidung bestätigt, abzuwarten. Nach einigen Jahren haben wir dann trotzdem langsam den Vorstoß in die dortige Immobilienbranche gewagt. Obwohl es auch für uns extrem schwierig war, Mieter zu gewinnen, sind wir im Gegensatz zu vielen anderen dortgeblieben. Wir glaubten weiterhin an das Potenzial der beiden Standorte und sollten Recht behalten: Vor einigen Jahren kehrte sich der Trend um. Mit dem MiKa-Quartier in Dresden und dem Lindenauer Hafen in Leipzig konnten wir 2020 letztlich zwei Projekte realisieren, die großen Anklang finden.
Inwiefern unterscheiden sich die beiden Standorte NRW und Sachsen voneinander, inwiefern ähneln sie sich? Gibt es aus Ihrer Perspektive standortbedingte Vor- oder Nachteile?
Eigentlich sind die Unterschiede gar nicht so groß, wie vielleicht vermutet wird. Im Gegenteil: Beiden haftete lange Zeit das Stigma an, eine Art „Friedhof für Investitionen“ zu sein. Auch das Ruhrgebiet hatte und hat noch immer ähnliche Probleme wie die obengenannten. Was am Ruhrgebiet jedoch sehr beeindruckend ist, ist der interkommunale Austausch. Dieser ist bisweilen so eng, dass die Region von Außenstehenden sogar als Eins betrachtet wird. Die interkommunale Kommunikation in den Ballungsräumen Dresden, Leipzig und Chemnitz wächst mittlerweile auch stetig; doch auf dieser Ebene hat das Ruhrgebiet klar die Nase vorn. Dennoch muss auch hier jeder Standort individuell betrachtet werden, denn jede Kommune hat ihre ganz eigenen Eigenschaften.
Unsere polis-Hauptausgabe, die in wenigen Wochen erscheinen wird, trägt den Titel Essentials. Es geht also um die Frage, was die essenziellen Dinge sind, die Stadt ausmachen, formen und die daher auch für Projektentwickler interessant und wichtig sind. Begriffe wie Partizipation, Nachhaltigkeit, Green Building und auch Social Impact Investing gewinnen z.B. zunehmend an Bedeutung. Welche Rolle spielen diese Themen in Ihrer Arbeit?
Die Themen spielen in unserer Arbeit natürlich auch eine große Rolle und es ist uns wichtig, einen positiven Beitrag zu leisten. Ich denke aber, dass sie in ihrem Grundsatz nicht so neu sind, wie es oftmals suggeriert wird. In der Quartiersentwicklung ist man z.B. schon vor einigen Jahren von dem bilateralen Austausch zwischen Stadt und Entwickler, der die Belange der Bevölkerung nicht berücksichtigte, abgerückt. Auch der Anspruch, dass Quartiere sozial, ökonomisch und demographisch möglichst durchmischt sein sollen, ist per se nicht neu. Stichwort Sozialquote: Mischkalkulation und Mischnutzung gehen hier im Wesentlichen miteinander einher. Einzig das Thema Nachhaltigkeit steht heute mehr denn je im Vordergrund. Und an dieser Stelle befindet sich die gesamte Baubranche mitten im Umbruch.
Können Sie das näher erläutern?

© MiKa-Quartier GmbH
Neue, hochtechnologisierte Konzepte stehen jahrhundertealten Baumethoden gegenüber. Es gibt teilweise große Unterschiede in Theorie und Praxis: Während die einen höchst innovative Ideen vorstellen, hängen andere weiter antiquierten Methoden nach. Aber solche Disparitäten sind nicht ungewöhnlich. Erfreulich ist, dass zunehmend nach dem Cradle to Cradle-Prinzip gearbeitet wird. Auch Holz-Hybrid-Konstruktionen finden immer mehr ihren Weg in den Baualltag. Hierdurch steigen wiederum Erfahrungswerte, die uns künftig weiterhelfen. Im Bau kommen extrem viele Gewerke zusammen, sodass Koordination und Kommunikation nicht immer leicht sind. Hinzu kommen projektbezogene Faktoren, wie z.B. die Frage, was ein Standort überhaupt zulässt. Auch wir gehen bei dieser Analyse immer sehr akribisch vor. Im Dresdner MiKa Quartier standen beispielsweise kurze Wege und eine hohe Durchmischung im Vordergrund; im BEUST Bürocampus in Essen hingegen sehr viel Grün und hohe Aufenthaltsqualität.
In den Ruhrgebietsstädten ist ohnehin sehr viel Dynamik und Innovationskraft spürbar. Wie haben Sie dies während Ihrer Zusammenarbeit mit der Stadt Essen wahrgenommen?
Es ist eine wahnsinnig spannende Region – nicht nur aufgrund der Vielfalt an Arbeitgebern und Branchen, sondern auch in emotionaler Hinsicht. Die Identifikation der Einzelnen mit ihrer Stadt und das Gefühl des Zusammenhalts im gesamten Ruhrgebiet ist einzigartig. Daraus erwächst zwangsläufig eine immense Innovationskraft, die sich auch in der Zusammenarbeit mit der Stadt Essen abgebildet hat. Mit dem BEUST Campus realisieren wir einen Bürokomplex in einer Premiumlage mit bester Verkehrsanbindung an die Nachbarstädte. Ich bin mir sicher, dass seine Strahlkraft auch ein überregionales Vorbild in puncto „New Work“ sein kann. Vor allem im Zuge der pandemiebedingten Veränderungen unserer Arbeitswelten haben wir gelernt, dass es eben nicht mehr entscheidend ist, als Firma ein Büro zu unterhalten, in dem sich die Angestellten täglich im gleichen Setting treffen. Die Zukunft liegt in der Flexibilität, der Möglichkeit, von dort aus zu arbeiten, wo man sich wohl fühlt. Wir versuchen, mit unserem Konzept beides zu kombinieren.

Der Essener BEUST Campus © Graf-Beust-Campus GmbH
Wieso hat die Durchsetzung dieses Konzepts in Deutschland soviel Zeit in Anspruch genommen? In Ländern wie den USA ist diese Art von „Campus“ bereits ein alter Hut.
Wir dürfen nicht vergessen: Auch hier in Deutschland gibt es bereits zahlreiche Unternehmen, die schon lange einen ähnlichen Ansatz verfolgen und sehr explizit auf das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter achten. Die klischeehaften Neonröhren im langen Flur, von dem aus rechts und links die kleinen Büros abgehen, sind auch hier vielerorts schon lange Geschichte. Dennoch: Manchmal brauchen Entwicklungen eben einen Extra-Anstoß – das war hierzulande die Corona-Pandemie. Ob man nun über mobiles Arbeiten am Laptop spricht oder über attraktive Orte für Pausen: Die Wichtigkeit des Settings ist in den Vordergrund gerückt. Vielleicht mangelte es uns diesbezüglich zuvor noch an genug Bewusstsein. Wie sich die Dinge im Endeffekt etablieren und weiterentwickeln werden, darüber können wir keine Aussagen treffen. Fakt ist: Es ist vieles in Bewegung gekommen.
Sie blicken auf eine fast hundertjährige Unternehmensgeschichte zurück. Welches Erfolgsrezept steht hinter der Sassenscheidt Gruppe?
Ein gutes Rezept besteht aus einem gelungenen Mix an Zutaten und so ist auch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren ausschlaggebend für unseren Erfolg – der übrigens auch immer relativ ist. Neben der notwendigen Portion Glück zeichnet es uns vielleicht aus, dass wir uns gut anpassen und gleichzeitig langfristig und nachhaltig denken können, auch in unserer personellen Formation. Es wird wohl eine Mischung aus Glück, Bewegungsfähigkeit und Beständigkeit sein. Mittlerweile sind wir in der vierten Generation und die fünfte lebt auch schon – wenn auch noch weit entfernt vom berufsfähigen Alter.
Das klingt nach einer spannenden Zukunft – in allen Bereichen! Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch und alles Gute!
ERIK SASSENSCHEIDT
wurde in Iserlohn geboren und ist seit 2010 Geschäftsführender Gesellschafter der Sassenscheidt GmbH & Co. KG. Er studierte International Business in London, Buenos Aires, Guadalajara und Monterrey und war nach seinem Abschluss 2006 unter anderem als Projektmanager für die Karstadt Warenhaus AG in Essen tätig. Mit ihm geht das Familienunternehmen bereits in die vierte Generation.
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