
© Team RoofKIT
Allen Ausgaben des Solar Decathlon, der inzwischen auf eine über 20-jährige Geschichte verweisen kann, ist gemein, dass studentische Teams jeweils ein reales funktionstüchtiges Gebäude errichten, mit dem sie in 10 verschiedenen Disziplinen in Wettstreit gegeneinander antreten. In diesem Juni findet die Austragung erstmals in Deutschland statt und weist mehrere Besonderheiten auf. Neu ist vor allem die Ausweitung des Wettbewerbs auf urbane Belange. „Unser Kampf um globale Nachhaltigkeit wird in den Städten entschieden werden“ wird auf der Website des SDE 21/22 der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zitiert (1). Die Bergische Universität als Gastgeberin ergänzte die schwerpunktmäßigen Augenmerke des Wettbewerbs, Energiegewinnung, Energieeffizienz, technische Umsetzung (2) um die Rolle der Städte, des sozioökonomischen Kontextes, der Mobilitätsfrage und vor allem auch einem umfassenderen Verständnis von Nachhaltigkeit im Bausektor: Kreislaufgerechte Konstruktion und Verwendung von nachwachsenden und/oder recycelten Baustoffen.

© Team RoofKIT
In der Umsetzung bedeutet dies, dass die Wettbewerbsleistung in mehrere Betrachtungsmaßstäbe (Stadt, Quartier, Gebäude, Demonstrationseinheit) und zwei sogenannte „Challenges“ aufgeteilt wurde: Die Design Challenge, bei der ein Gesamtgebäude im Bestand entworfen werden musste, und die Building Challenge, bei der ein repräsentativer Ausschnitt des Konzeptes und des entworfenen Gebäudes in Form eines voll funktionsfähigen Demonstrationsgebäudes (House Demonstration Unit) von den Studierenden durchgeplant und auf dem Solar Campus in Wuppertal errichtet wird. Dieses kleine Gebäude muss die erarbeiteten Ideen und Lösungen überzeugend transportieren und im Wettstreit mit den anderen Teams zur Schau stellen.
Welche Antworten hat Architektur für aktuelle und zukünftige Krisen?
Die Bauindustrie ist für fast 40 % der EU-weiten CO2-Emissionen verantwortlich. Ein ähnlich großer Anteil des Festmüllaufkommens geht ebenfalls auf die Kappe des Bausektors. (3) Unbestreitbar kommt Bauschaffenden somit eine große Verantwortung zu, dies zu verändern.

© Riklef Rambow
Mit dem Projekt RoofKIT und dem stets wachsenden und sich verändernden Team wurde am KIT in den letzten zweieinhalb Jahren die Komplexität der Anforderungen im Rahmen diverser interdisziplinärer Lehrveranstaltungen in ein architektonisches Konzept gegossen, dass exemplarisch aufzeigt, wie Architektur aussehen kann, die optimistisch in die Zukunft weist, obwohl oder gerade weil sie sich den ganz großen Herausforderungen an das Bauen stellt: der Klimakrise, Rohstoffknappheit und gesellschaftlichem Wandel.
Der Anspruch von RoofKIT ist dabei nichts weniger als der Versuch, eine Antwort auf die Frage zu geben: „Wie bauen wir in Zukunft?“, die bereits im Januar 2022 im Rahmen einer gemeinsamen Ausstellung der Professuren Nachhaltiges Bauen und Architekturkommunikation im Architekturschaufenster Karlsruhe gestellt und anhand von Modellen und Zeichnungen von RoofKIT diskutiert wurde:
Woher kommt unsere (saubere) Nutzenergie?
Ein riesiges, übersehenes Potenzial an Bauland und Flächen zur Energiegewinnung befindet sich in Form von Dachflächen direkt über uns. Die Stadt wird zum Energiesammler, zur „Harvest City“. Elektromobile Fahrzeuge und öffentliche Verkehrmittel puffern in einem intelligenten Netz Energieüberschüsse und stellen diese zeitversetzt zur Verfügung.

© Bernd Seeland
Wo finden wir noch Platz?
Der Herausforderung einer sozialverträglichen Nachverdichtung begegnet RoofKIT, indem ungenutzte Flächen im Bestand aktiviert werden. Die Aufstockung bestehender Dachflächen weist einen Weg zu einem neuen sozialen Miteinander. Darüber hinaus werden die bestehenden Gebäude programmatisch und funktional aufgewertet und auch für die Bewohner des Bestands und auf Quartiersebene ein Mehrwert generiert. Der Neubau wird zum Attraktor, der das Quartier belebt und auch den Alteingesessenen zugutekommt.
Wie wollen wir zusammenleben?
Wohnen ist ein dynamischer Prozess, abhängig von gesellschaftlichen Bedingungen und individuellen Lebensentwürfen. Deshalb werden flexiblere und anpassungsfähige Wohnkonzepte benötigt. Maßgeschneidert wachsende und schrumpfende Wohnungen in Verbindung mit Sharing Modellen mit gemeinsam genutzten Bereichen wirken zudem dem enormen Flächenverbrauch im Wohnsektor entgegen.
Wie können wir ohne neue Rohstoffe bauen und verhindern, dass aus Baustoffen Müll wird?
Die neuen Konstruktionen müssen selbstverständlich zerstörungsfrei, kreislaufgerecht und sortenrein rückbaubar sein. Das reicht aber nicht aus. Wir müssen die in großer Menge bereits vorhandene Baustoffe und Bauteile verwenden, die noch gar nicht auf Kreislaufgerechtigkeit ausgelegt sind (Urban Mining). Die Stadt der Zukunft wird unser größtes Rohstofflager sein.

© Team RoofKIT
Im Kleinen das Große denken
Mit seinem Beitrag zum internationalen Studentenwettbewerb „Solar Decathlon Europe 21/22“ beweist das RoofKIT-Team, dass die Umsetzung nachhaltiger Architektur, die Raum und Ressourcen spart, Energie sammelt und Visionen für das Zusammenleben in der Stadt entwickelt, schon heute und auch unter Einbeziehung bestehender Gebäude möglich ist. „Im Kleinen das Große denken“ könnte ein Motto von RoofKIT sein.
Wie RoofKIT all diese Themen in einem exemplarischen Gebäude umsetzt, kann vom 10. – 26. Juni auf dem Solar Campus in Wuppertal besichtigt werden.
(1): Quelle: https://www.un.org/press/en/2012/sgsm14249.doc.htm
(2): Von den zehn Disziplinen der 2009er Ausgabe waren sieben technischer Natur (dazu Architektur, Market Viability und Öffentlichkeitsarbeit); bei der Wuppertaler Ausgabe sind es nur noch vier klassische technische Disziplinen ergänzt durch Fragen des Sozioökonomischen Kontextes, der Mobilität und einem weiter gefassten Verständnis von nachhaltigem Bauen, dass insbesondere die Rohstofffrage miteinbezieht.
(3): Quelle: European Commission/ UN Environment Programme, 2020 Global Status Report for Buildings and Construction
Daniel Lenz
ist Architekt und Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Nachhaltiges Bauen am KIT und Supervisor Architecture / Sustainable Construction des Team RoofKIT.
Regina Gebauer
ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur Nachhaltiges Bauen am KIT und Project Manager des Team RoofKIT.
Prof. Dirk E. Hebel
ist Professor für Nachhaltiges Bauen und Dekan der Architekturfakultät des KIT. Außerdem ist er Faculty Advisor des Team RoofKIT.
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