PROF. ELISABETH ENDRES: SUFFIZIENZ VS. EFFIZIENZ

© TU Braunschweig, Pressestelle

Warum sollten wir beim Bauen von technischen Lösungen Abstand nehmen?

Das ist auf eine einfache Erkenntnis zurückzuführen: Technik bringt uns v. a. in Fragen der Effizienzsteigerung nicht mehr weiter. Darüber hinaus haben wir die vorhandenen Anlagen schon nicht im Griff. Ebenso wie es Ressourcen sind, ist auch unsere Fähigkeit, mit Technik umzugehen, begrenzt. Wir sollten beim Bauen den Menschen, die Nutzerinnen und Nutzer, in den Mittelpunkt stellen, nicht die technischen Möglichkeiten.

Woher kamen denn die Technikbegeisterung und der ungebrochene Glaube an solche Lösungen?

Es war der Wunsch nach maximaler Freiheit der Gestaltung, der dem zugrunde lag und liegt, kombiniert mit der Überzeugung, dass die Technik richten kann, was das Gebäude selbst nicht leistet. Das Verständnis von Innovation spielt eine weitere Rolle: je mehr Technik in einem Gebäude, desto innovativer. Aber Fortschritt immer mit „höher, schneller, weiter“ gleichzusetzen, wird irgendwann zum Problem. Zum Glück beobachten wir gerade einen wichtigen Perspektivwechsel. Heute kann Innovation auch den Blick zurück bedeuten und die Frage „Wie wenig ist genug?“ Das ist eine große Chance: Wir können endlich über Suffizienz nachdenken, nicht mehr allein über Effizienz.

Nun werden wir die TGA nicht einfach weglassen und ansonsten auf dieselbe Art und Weise weiterbauen können. Ersetzen Sie die Technik mit passiven Strategien oder wollen Sie andere Technik?

Das zu hinterfragen, darauf kommt es an. Ich will die Technik nicht ganz eliminieren. Low-Tech bedeutet nicht No-Tech. Die wichtige Frage ist m. E. die erwähnte Frage „Wie wenig ist genug?“ zum Erreichen eines robusten Gebäudebetriebes. Es ist nicht sinnvoll, heute ein Haus derart auszurüsten, dass es für jetzige Anforderungen und in 20 Jahren gewappnet ist, wenn wir eventuell durchgehend 30°C haben. Richtlinie sollte sein, dass das Gebäude heute 90 % der Zeit mit einem relativ einfachen System betrieben werden kann. Es muss die Architektur sein, die frische Luft und Licht überall hereinlässt und nicht die Belichtungs- und Belüftungsanlage. Zudem sind Strukturen wie vertikale Erschließung und Geschosshöhen so zu wählen, dass eine Elastizität im Gebäude entsteht, die eine Umnutzung ermöglicht, ohne gleich einen Abriss hervorzurufen. Flächeneffizienz ist auch in den teuren Städten nicht alles und ein überfrachtetes Techniksystem ist fragil, wartungsaufwendig und fehleranfällig.

Sie sagten, Sie wollen den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Welche Rolle spielt der Faktor Mensch bei der Gebäudeausrüstung?

Die Anlagen sind heute auf maximale Effizienz ausgelegt und bis ins Detail gesteuert. Sobald aber eine einzige Stellschraube nicht ideal gedreht wird, zum Beispiel durch den Nutzer, sinkt die Effizienz extrem. Robuster wäre es, das System so aufzustellen, dass es Effizienz ermöglicht und dabei eigenwillige (Nutzer-)Eingriffe verkraften kann. Dieser Ansatz fordert den Menschen allerdings mehr Toleranz gegenüber den natürlichen Gegebenheiten ab. Wenn das Wetter über Wochen heiß ist, wird es auch im Gebäude wärmer werden. Und wenn es im Winter im Gebäude 20 °C hat, dann sollte es keine übermenschliche Herausforderung sein, damit zu leben. Der Trend der letzten Jahre ging allerdings in Richtung 24 °C.

Das hört sich nach Widerspruch an: einerseits den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, und gleichzeitig – überspitzt formuliert – zu sagen, die Heizungsanlage kann durch Verzicht oder einen Pullover ersetzt werden.

Der Mensch stellt sich mit seinem Komfort wahnsinnig in den Mittelpunkt. So vieles wird heute als unzumutbar wahrgenommen. Auch das sollten wir hinterfragen. Aufklärung in Richtung der Bauherrschaft ist hier enorm wichtig. Wenn sich jemand wünscht, dass die Temperatur in einem Gebäude durchgängig 26°C beträgt, geschieht das ja nicht aus böswilliger Ignoranz. Im Idealfall kann das Architekturteam beraten und deutlich machen, welcher Einsatz dafür nötig wäre. Dass das z. B. bedeuten würde, die Decken in den Fluren einen halben Meter weiter abzuhängen oder auf den Dachgarten zu verzichten, weil der Platz von der Technik in Anspruch genommen wird. Solche Konsequenzen müssen ganz klar sein.

Müssen Sie bei Bauherren noch viel Überzeugungsarbeit leisten, sie von großen Plänen abbringen mit dem Argument, dass die Bauten dann vielleicht weniger aufsehenerregend sind…

…aber dafür sinnvoll. Ja, tatsächlich ist das oft die Frage. Wenn wir einfacher bauen wollen, ist das in der Planung durch das sehr interdisziplinäre Zusammenspiel teurer. Die Einsparungen im Bau und Betrieb übersteigen diese Kosten allerdings wieder um ein Vielfaches. Trotzdem wird die Investition oft kritisch gesehen, weil die besonderen Leistungen, die benötigt werden, um Dinge wegzulassen, nicht in der HOAI und den Richtlinien abgebildet sind.

© Schels/Lanz // Einfach Bauen: Anhand von drei Versuchsbauten in Bad Aibling erforscht Prof. Florian Nagler an der TU München, ob und wie ein No-Tech-Ansatz alltagstauglich gemacht werden kann.

Das bedeutet, nachhaltiges, einfaches Bauen ist eher ein finanzielles denn ein ideelles Problem?

In vielen Fällen ja, und zwar nicht nur auf Seiten der Bauherrschaft. Die Honorare der Architektinnen und Architekten sowie der Mehrzahl der Planer und Planerinnen werden nach Investitionsaufwand und damit auch nach verbauter Technik berechnet. Wenn ein Planungsteam also low-tech plant und einfachere Komponenten einsetzt, hat es mehr Arbeit, bekommt aber weniger Honorar. Da passen Planungsparameter und Randbedingungen nicht mehr zusammen.

Lassen Sie uns den Blick vom einzelnen Gebäude auf die Stadt weiten. Welche Ansätze sind hier angezeigt?

Ganz wichtig ist die Solarisierung unserer Quartiere. Photovoltaik muss zum integralen Bestandteil der Planung werden und nicht nur auf Restflächen und Dächern versteckt werden. Wo eine gewisse Dichte gegeben ist, sollten wir über Netze nachdenken, etwa Versorgungsnetzwerke mit Grundwassergeothermie, und diejenigen Netze, die bereits bestehen, auf grüne Infrastrukturen umstellen. Den aktuellen Hang dazu, wieder nur innerhalb der Systemgrenze Gebäude zu denken, halte ich für Quartiere für falsch. Eine Stadt voller Insellösungen ist wenig hilfreich.

Sehen Sie noch viel Bedarf an Forschung und dem innovativen Blick zurück, oder sind die Möglichkeiten, die wir momentan haben, schon ausreichend?

Wir sind relativ weit, was Forschung und Entwicklung angeht. Wir müssen in die Anwendung kommen, in die Sanierung von Quartieren, und dabei von diesem Vollkommenheitsanspruch Abstand nehmen. Nicht jedes einzelne Gebäude muss den EH 55-Standard der Förderung erfüllen. Viel wichtiger ist ein umfassender Ansatz hinsichtlich besagter Netze, die solare Leistungsfähigkeit des Quartiers und des Gebäudes. Wir denken nicht genug in der Sektorkopplung von Gebäude- und Energiewirtschaft. Und was mich wirklich stört, ist dass wir unsere Gesetze und Normen immer weiterschreiben, anstatt zu hinterfragen, ob ihre Basis überhaupt noch trägt. Die BauNVO wurde in den frühen 60er Jahren für die autogerechte Stadt konzipiert – wie soll dieses Dokument den Weg für nachhaltige Quartiere unserer Zeit bereiten?

Offensichtlich ist es nicht die Sehnsucht nach der guten, alten Zeit, die Ihren Blick zurück auf der Suche nach Lösungen für heute motiviert.

Sicher nicht! Ich warte sehnsüchtig darauf, dass wir uns mit unseren Anforderungen etwas zurücknehmen, das Bauen vereinfachen und damit wieder mehr Baukultur schaffen. Der Verlust der Baukultur ist das Schlimmste, das uns passieren kann. Ich wünsche mir, nicht nur über Effizienz, sondern wieder über Qualität und Schönheit sprechen zu können. Ich bin mir sicher, dass das möglich ist!

Da freue ich mich drauf. Vielen Dank für diesen umfassenden Einblick!

 


PROF. ELISABETH ENDRES

ist Leiterin des Instituts für Bauklimatik und Energie der Architektur an der TU Braunschweig und arbeitet in der Forschung wie in der Praxis an der Schnittstelle von Architektur und technischen Systemen. Dabei stehen die Fragen im Mittelpunkt, welches Raumklima in Gebäuden durch passive Strategien entsteht, welche Rolle die Materialität dabei spielt, welche Technik im Zusammenhang mit den vorhandenen Energiequellen sinnfällig ist und wie diese in die Gebäude im Sinne der Robustheit integriert und gesteuert wird.

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