Ein Blick auf Deutschland von oben und in unsere Planungswerkzeuge wie die BauNVO zeigt, auch Jahrzehnte nach dem Leitbild der Stadt der kurzen Wege abseits von Innenstädten und so mancher Großstadt, noch das Bild einer sortierten Stadt. Die Gegenbewegung zur autogerechten Stadt setzte in den 1980er Jahren ein und verfolgt im Kern ein diametral entgegengesetztes Ziel – die fußläufige Stadt. Doch auch über 30 Jahre später zeigt sich abseits der Innenstädte in den umliegenden Stadtteilen und Dörfern noch ein ernüchterndes monofunktionales Bild. Dabei sind es genau diese räumlichen Einheiten, die in etwa dem fußläufigen Bewegungsradius seiner Bewohner entsprechen. Hier – von der eigenen Wohnung aus erreichbar – braucht es Angebote für die Ziele des Alltags. Inzwischen belegen zahlreiche Studien die Möglichkeiten und Vorteile kompakter nutzungsgemischter Quartiere in ökologischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht. Diese Größeneinheit hat ein prominentes Vorbild: Die mittelalterliche europäische Stadt. Mit diesem Perspektivwechsel wird die Stadt von vorgestern zur Vorlage für das Quartier von übermorgen.
Hintergrund
Die letzten beiden Jahrhunderte haben unsere Städte – und damit unseren menschlichen Lebensraum – so sehr verändert, wie keine Zeit zuvor. Die Industrialisierung des vorletzten Jahrhunderts und die Leitbilder der funktionsgetrennten und autogerechten Stadt, führten zur sortierten Stadt, in der jede Nutzung den Anspruch auf eine eigene Fläche geltend machen konnte. In der Folge ist eine weitläufige Stadtlandschaft entstanden, in der ein Großteil der Gesellschaft auf ein Auto angewiesen ist, um die Ziele im Tagesablauf in angemessener Zeit zu erreichen.
Das Leitbild der funktionsgetrennten Stadt hatte allerdings gute Gründe. Die neuen Errungenschaften der Industrialisierung kamen zum Preis von zahlreichen Emissionen der neuen Fabriken, Maschinen und Motoren, die die Luft- und Wasserqualität stark beeinträchtigten. Dies bewog schließlich die Stadtplaner 1933 zu der berühmten Charta von Athen – zur sortierten Stadt – zur Trennung von Wohnen und Arbeiten im Besonderen, auf der auch heute noch unsere Planungswerkzeuge beruhen. In der Tat bescheinigen heute zahlreiche Studien, dass die Verbesserung der allgemeinen Gesundheit im Wesentlichen auf die Veränderung der städtischen Strukturen der letzten 150 Jahre zurückzuführen ist und nur in geringem Maße auf den medizinischen Fortschritt (Frumkin 2005; Richter & Hurrelmann 2018). Beispiele hierfür sind neben emissionsärmeren Wohnräumen, die ausgebaute Infrastruktur, Transportsysteme, und -umfelder sowie saubereres Trinkwasser.
Die sortierte Stadt war nur deshalb möglich, weil sich mit der Industrialisierung auch die Reichweite der Menschen radikal veränderte. Neue Verkehrsmittel wie Eisenbahn, Auto und Flugzeug haben in nur wenigen Jahren den Radius der täglichen Abläufe der Menschen enorm erweitert – die Geburtsstunde von Suburbia und Schlafdörfern. Die Bedürfnisse nach Einfamilienhäusern im Grünen, bei gleichzeitiger guter Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes, sind bis heute ungebrochen. Diesem Bedarf wird in vielen Städten und vor allem in Gemeinden seit Jahrzehnten in bewährter Art und Weise mit der Ausweisung ganzer monofunktionaler Einfamilienhausteppiche gedeckt. Erst vor kurzem warnte das Institut der deutschen Wirtschaft Köln davor, dass in vielen ländlichen Regionen wieder deutlich über dem Bedarf ausgewiesen wird (Henger & Voigtländer 2019). Insbesondere die daraus resultierende fortwährende Trennung zwischen Wohnen und Arbeiten stärkt so nach wie vor die auto-abhängigen und anti-urbanen Bedingungen und verhindert im Umkehrschluss die Stadt der kurzen Wege.

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Ökologisches
Den Preis für diese Art zu leben hat in den letzten Jahren der Planet Erde bezahlt. Mit immer größeren Pendlerdistanzen im eigenen PKW ist die Welt immer größeren CO2 Belastungen ausgesetzt. Während die Automobilhersteller an emissionsarmen Fahrzeugen arbeiten und die öffentliche Hand versucht den öffentlichen Nahverkehr zu verbessern, wird deutlich, dass die beste Strategie zur Vermeidung von Verkehrsemissionen nach wie vor die Vermeidung von Verkehr ist. Die Abhängigkeit vom eigenen PKW zu verringern kann dann gelingen, wenn die fußläufige Erreichbarkeit von möglichst vielen Zielen des alltäglichen Ablaufs gesichert ist. Dieser Radius wurde 2015 vom BBSR in der Studie „Indikatoren zur Nahversorgung“ mit 1.000 m angegeben (Burgdorf et al. 2015). Diese Größeneinheit bezeichnen wir in der Regel als Quartier und richtet die Perspektive von der Stadt der kurzen Wege auf das Quartier der kurzen Wege. Während die Studie des BBSR schon ein vergleichsweise ernüchterndes Bild für die Angebote der Nahversorgung in den Kategorien Kleinstadt und Landgemeinden zieht, zeigt sich, dass insbesondere die Entfernung zum Arbeitsplatz durch die sortierte Stadt enorm zugenommen hat. Die durchschnittliche Pendlerdistanz 2017 betrug knapp 17 km und nimmt seit Jahren stetig zu (Pütz 2015). Zur Vermeidung von Verkehr müssen die Arbeitsplätze und andere Ziele des Alltags zurück ins Quartier.
Bezeichnenderweise wurde im Jahr 2007 – dem Jahr der Leipzig Charta – erstmals der Punkt überschritten, wo offiziell mehr Menschen in Städten als auf dem Land leben. Die Erkenntnis, dass das weltweite, rasante Wachstum und die Flächeninanspruchnahme der Städte zu existentiellen Problemen (Klimaerwärmung, Ressourcenverknappung, Umweltbelastung) führt, wurde immer deutlicher. So war es nur folgerichtig, dass die Vereinten Nationen 2016 die Agenda 2030 auf den Weg brachten: 17 Sustainable Development Goals (SDG – Nachhaltigkeitsziele der UN). Dem Transformationsprozess in Richtung nachhaltiger Städte und Gemeinden (UN SDG 11) kommt hier eine besondere Bedeutung zu und zeigt innere Abhängigkeiten von und zu anderen Nachhaltigkeitszielen wie Gesundheit und Wohlergehen (SDG 3) oder Klimaverträglichkeit und Klimaresilienz (SDG 13). Aktuell wird naturbasierten Lösungen und der Renaturierung von Städten eine Schlüsselrolle bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele der UN zugeschrieben. Sie gelten als wichtiges Instrument zur Erreichung der Klimaziele, des Klimaschutzes, zum Schutz des Ökosystems sowie der Gesundheit und dem Wohlbefinden, insbesondere in urbanen Settings. Allzu lange hatten Grünräume in der Vergangenheit in den Aushandlungsprozessen um Stadt das Nachsehen gegenüber den Flächenansprüchen des monofunktionalen Wohnungsbaus oder neuen Gewerbestandorten. Während die Natur Stück für Stück aus der Stadt gedrängt wird, zeigen zahlreiche Studien, dass vielfältige positive Wirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden auftreten können, sobald die Bewohner qualitätvolle und erreichbare Grünräume in ihrer Nähe vorfinden. Die in Studien gemessenen Effekte, reichen von einem besseren Verlauf von Schwangerschaft und Geburt (Raymond et al. 2017, Nichani et al. 2017) über die Gehirnentwicklung von Kindern (Pretty et al. 2005) bis hin zur Reduktion von Fettleibigkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen (EU-Kommission 2015, Richardson et al. 2013). Darüber hinaus fördern Grünflächen die körperliche Aktivität (Cohen-Shacham et al. 2016) und haben zahlreiche positive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit (EU-Kommission 2015, Ulrich 1984, Kaplan 1985). Es gilt demnach, nicht nur aus ökologischer Sicht und der Perspektive des Klimaschutzes, einen Teil der beanspruchten Fläche der Städte zurückzugeben, indem Nutzungen geschichtet werden. Gerade auch für uns selbst ist es wichtig, das ursprüngliche menschliche Habitat – die Natur, ernst zu nehmen, es in unseren neuen anthropogenen Lebensraum Stadt zu integrieren und fußläufig in den Quartieren erreichbar zu machen.
Soziales
Neuere Forschungen legen zudem nahe, dass wir mit den großen Pendeldistanzen nicht nur dem Planeten schaden, sondern auch uns selbst. Eine Studie der Gallup Organisation fand 2008 einen direkten Zusammenhang zwischen Wohlbefinden und der Menge an verfügbarer Freizeit. Je mehr Zeit die Studienteilnehmer hatten, um mit Familien und Freunden Zeit zu verbringen, umso glücklicher und wohler fühlten sie sich (Harter & Raksha 2008). Das ist wenig erstaunlich, führt aber zu dem Schluss, dass das tägliche Pendeln – im schlimmsten Fall allein im Auto – unser Wohlbefinden verringert, weil es die Menge an Freizeit und die Möglichkeit sozialer Kontakte verhindert. Genauso verhält es sich mit anderen Aktivitäten. Je mehr Zeit wir im Auto verbringen, um unsere notwendigen alltäglichen Zielpunkte im (sub-) urbanen Geflecht, wie Kindergarten, Schule, Supermarkt, Apotheke, Musikunterricht und insbesondere den Arbeitsplatz zu erreichen, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass Zeit bleibt sich sozial zu vernetzen, sportlich zu betätigen, ehrenamtlich zu engagieren oder eben Zeit mit Familien und Freunden zu verbringen (Montgomery 2013). In der Folge leidet unser soziales Wohlbefinden. Der Stresslevel steigt ebenso, wie das Risiko psychisch zu erkranken (TK 2018). Die Auswirkungen der Entfernung zum Arbeitsplatz sind ein oft unterschätztes Phänomen in der Stadtplanung bei der Bereitstellung und Ausweisung von monofunktionalem Wohnraum. Aber auch bei der privaten Wahl des Wohnstandorts, bei denen wir nur allzu oft lange Wege im Alltag in Kauf nehmen, um selbst eine bezahlbare vermeintliche Oase im Grünen zu besitzen. Gerade für junge Familien eine nicht zu unterschätzende Entscheidung, die bestimmt, in welchem Umfeld die eigenen Kinder aufwachsen.
Weniger mobil und ohne Führerschein gibt das Kinder- und Jugendalter einen guten Einblick über die Effekte fußläufiger Bewegungsradien und den Zusammenhang zum Sozialraum. So ist unser Sozialraum als Kind noch weitgehend deckungsgleich mit dem Quartier. Je älter wir werden, umso mehr Kontakte und Räume kommen außerhalb der eigenen Nachbarschaft dazu. Angefangen von der weiterführenden Schule bis zum Studium, der Ausbildung und dem Arbeitsplatz. Wir betrachten dies inzwischen als ganz normalen Vorgang, der zum Erwachsenwerden dazugehört. Dabei ist es nicht allein das Erwachsenwerden, sondern insbesondere der wachsende Zugang zu Verkehrsmitteln, die uns erlauben größere Distanzen zu überwinden. Unser Sozialraum, unser Bewegungsraum, unser Handlungsraum werden stetig größer. Entsprechend weniger Zeit verbringen wir in dem eigentlichen Wohnumfeld. Eine Studie aus Kopenhagen wies unlängst nach, dass wir nur rund 25 Orte regelmäßig aufsuchen. Die Wissenschaftler untersuchten dazu die Mobilitätsdaten von 40.000 Menschen und zeigten: Sobald ein neuer Ort hinzukommt, wird ein anderer nicht mehr berücksichtigt (Alessandretti et al 2018). Während wir als Kinder also noch jeden Stein kannten und wahrscheinlich mit vielen dieser Orte und Personen ein besonderes Gefühl von Heimat verbinden, fehlt uns dieser Halt in der Regel im Erwachsenenalter, insbesondere nach dem einen oder anderen Umzug. Wir wissen weniger über die Nachbarschaft, den öffentlichen Raum und die Menschen in unserer direkten Umgebung. Wie sollte dies auch möglich sein, wenn wir nach einem langen Arbeitstag und einem langen Rückweg, das Auto in der Garage parken und direkt ins Haus gehen ohne Kontakt mit dem nachbarschaftlichen Umfeld oder eigenem sozialen Netzwerk. Als Folge dieser Entwicklungen sinkt die Identifikation mit unserem Wohnumfeld und der soziale Zusammenhalt (Montgomery 2013). Die Schlafdörfer von heute sind so oft anonymer als die anonyme Großstadt. Dichte urbane Quartiere – mit vielen fußläufig erreichbaren Zielen des Alltags – fördern also nicht nur unser Wohlbefinden durch die gesparte Zeit und körperliche Aktivität, sondern tragen auch dazu bei, dass wir den Ort in dem wir leben und seine Menschen deutlich besser kennen lernen und uns mit beidem verbunden fühlen.
Ökonomisches
Lange Zeit haben wir nach dem System der zentralen Orte – das auf der ökonomischen Betrachtung von Entfernung, Kosten und Erlös beruht – Grundzentren ausgewiesen, die die Daseinsvorsorge im ganzen Land sicherstellen sollten. Es stellt sich jedoch die Frage, ob dieses Modell in Zeiten, in denen die Entfernung der Waren kaum noch eine Rolle spielt und man immer mehr Waren von überall auf der Welt direkt nach Hause bestellen kann, noch aktuell ist. Vielfach erleben wir, dass durch den Onlinehandel die wirtschaftliche Tragfähigkeit von Einrichtungen der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum und teilweise auch in städtischen Quartieren nicht mehr gegeben ist. Waren des kurzfristigen Bedarfs, wie z.B. Lebensmittel, aber auch Medikamente und Einrichtungen wie Cafés und Restaurants sind immer seltener in diesen Orten zu finden, da die Ortszentren kaum noch frequentiert sind oder innerhalb der Einfmamilienhausteppiche erst gar nicht existieren. Paradoxerweise können die Digitalisierung und eine noch engere Auslegung des Systems der zentralen Orte dabei helfen, die wirtschaftliche Tragfähigkeit für Waren des kurzfristigen Bedarfs zu sichern. Das Clustern verschiedener Einzelhändler ist ein gängiges Instrument des Einzelhandels in Innenstädten sowie zunehmend ganzer Wirtschaftszweige (Schuh et al. 2011: 491). In der Dorf-, Stadt- und Quartierentwicklung wird dieses Clusterprinzip bisher jedoch selten konsequent angewandt. Es gilt, möglichst viele der Einrichtungen des (erweiterten) täglichen Bedarfs am zentralen Quartiersplatz zu bündeln – hierzu gehören auch öffentliche Einrichtungen wie Schulen – und damit nicht zuletzt einen attraktiven und stark frequentierten öffentlichen Raum zu schaffen. Zeitgemäße Angebote wie WLAN, Coworking Spaces und z.B. Concierge Services für die Annahme von Paketen z.B. im Café, können diesen Effekt verstärken und für eine gegenseitige Unterstützung mit Kundenfrequenzen sorgen. Ein Platz der kurzen Wege sozusagen.
Darüber hinaus verändert sich die Arbeit selbst und bietet das Potential aus reinen Schlaforten wieder lebendige Quartiere zu generieren. Jüngsten Studien zufolge erlauben mittlerweile über 40 % der abhängig beschäftigten Berufsbilder theoretisch ein Arbeiten von zuhause bzw. von überall. Tatsächlich arbeiten bisher aber nur rund 11 % von zu Hause. Unter den Selbstständigen sind es dagegen heute schon 50 % (DIW Berlin 2018). In naher Zukunft kann für einen großen Teil der Bevölkerung die Distanz zur Arbeit digital überwunden werden und bietet das Potential Stadt und Land radikal zu verändern. So überrascht es nicht, dass sich die Anzahl der Coworking Spaces weltweit in nur drei Jahren verdoppelt haben – und das nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land. Dazu planen über 70% der Betreiber ihre Coworking Spaces aufgrund der hohen Nachfrage zu erweitern (Deskmag 2018). Die zunehmende Digitalisierung geht darüber hinaus einher mit neuen Produktionsformen und -arten, die weniger Lärm, Gerüche und Abfall produzieren. Insgesamt werden immer mehr Betriebe und ganze Branchen digital, emissionsarm oder sogar emissionsfrei. Diese Entwicklungen schreien förmlich danach, die Arbeitsplätze wieder näher an die Wohnorte und an all die anderen Stadtbausteine zu rücken. Nicht zuletzt auch, um wieder mehr Passantenfrequenz für die oben genannten Einrichtungen der Daseinsvorsorge zu generieren. Im Ergebnis entsteht ein lebendiges, urbanes, nutzungsgemischtes Quartier – mit kurzen Wegen und einem stark frequentierten öffentlichen Raum.

1. Platz studentischer Ideenwettbewerb Essen-Süd West 2016 / Cardinali, Steinmetz, Langhoff
Die Stadt von vorgestern ist das Quartier von übermorgen
Das Leitbild der Stadt der kurzen Wege und die aktuelle Leipzig Charta, fußen bereits auf dem historischen Bild und dem Erfolg der europäischen Stadt und richten damit Blick auf die Zeit vor dem Auto. Allzu leicht denkt man dabei aber an die wenigen Großstädte jener Zeit, wie Paris oder Berlin, die schon vor der Industrialisierung große Machtzentren waren und übersieht, dass diese aus einzelnen Quartieren bestanden, die eine weitgehend autarke Daseinsvorsorge und vitale Nutzungsmischung besaßen. Noch klarer wird das fußläufige Bild mittelalterlicher Städte, durch Beispiele wie Bielefeld, die vor der Industrialisierung weniger als 6.000 Einwohner besaß. In maximal 10 Minuten Fußweg gelangt man so von einem Ende der Stadt zum anderen.
Jeder wichtige Punkt in der Stadt ließ sich schnell erreichen. Die Erdgeschosse dienten zur Produktion und auch zum Warenverkauf. In den hinteren Bereichen und in den oberen Geschossen wurde gewohnt. Zentrale Plätze und Handelsstraßen führten dazu, dass sich die Menschen oft zu Fuß begegneten. Es gab kein Auto – man brauchte allerdings auch keins. Es war eine Stadt gebaut für die menschliche Reichweite – nicht für die von hochtechnisierten Verkehrsmitteln.
Heute würden wir diese Größeneinheit in der Regel mit einem Quartier übersetzen und eben nicht mehr als Stadt bezeichnen. Dieser Perspektivwechsel von einer Stadt der kurzen Wege zu einem Quartier der kurzen Wege erlaubt es vielleicht die fehlenden Stadtschichten in der Innenentwicklung unserer Städte – aber insbesondere auch die notwendige Konversionen unserer Schlafdörfer auf dem Land – anders anzugehen. Die Quartiersgröße ist die Betrachtungseinheit in der kurze Wege zu Einrichtungen des täglichen Bedarfs, Mobilitätsknotenpunkten und Kultur- und Bildungseinrichtungen hergestellt werden müssen, die damit gleichzeitig einen stark frequentierten öffentlichen Quartierskern erzeugen. Von diesem Quartierskern aus betrachtet ergeben sich so auch wie selbstverständlich neue Grenzen für die Quartiersentwicklung durch die fußläufige Erreichbarkeit. Hier entsteht der Raum für die dringend benötigte und wertvolle Freiraumsysteme. Hier können monofunktionale Flächen zurückgebaut und in verschiedenste Frei- und Naturräume für Sport, Freizeit und Erholung transformiert werden. Darüber hinaus entwickelt sich durch den Verbund ganz von allein eine grüne Infrastruktur, die das Rückgrat für eine nachhaltige und effiziente Mobilität (Fuß, Rad, ÖPNV) sein kann. Das Freiraumverbundsystem wird so zum Rahmen für ablesbare Quartiere und erinnert uns an die Grenzen der fußläufigen Erreichbarkeit. Im Ergebnis entstehen lebendige, urbane und kompakte Einheiten, die es erlauben einen Großteil der täglichen Aktivitäten zu Fuß zu erledigen – und für alles andere steht ein fußläufig erreichbarer Mobilitätsknotenpunkt zur Verfügung.
Conclusio
In der aktuellen Debatte um die doppelte Innenentwicklung, die Stadt der kurzen Wege oder auch das UN Nachhaltigkeitsziel der nachhaltigen Städte zeigen zahlreiche Studien, dass die Rückbesinnung auf den menschlichen Maßstab, seiner Reichweite und täglichen Abläufe zielführend sein kann, um unsere Lebensräume weiter zu verbessern. Der darin enthaltende Perspektivwechsel von der Stadt der kurzen Wege zu einem Quartier der kurzen Wege mit dem Rückbezug zur mittelalterlichen europäischen Stadt, kann dabei ein Zukunftskonzept für morgen und übermorgen sein, das für den Umbau des monofunktionalen Bestands der Städte, der Konversion der Schlafdörfer oder dem resilienten Neubau im Umland von Wachstumskernen gleichermaßen zielgerichtete Leitlinien bietet. Der Fokus auf die fußläufige Erreichbarkeit und das klare Ortszentrum setzt wichtige Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung und Umgestaltung von Quartieren sowie für die Setzung der umliegenden Freiraumverbünde. Die Besinnung auf die Quartiersgröße und den menschlichen Maßstab erlaubt die Betrachtung von dörflichen Einheiten (ein Quartier) bis zu Großstädten (zahlreiche Quartiere). Das Bild der mittelalterlichen Stadt unterstützt bei der Konzeptionierung und der Analyse des Bestands nach fehlenden Stadtschichten und räumlichen Grenzen. Das Quartier der kurzen Wege kann als eine Synthese der Bedürfnisse nach Urbanität mit dem Kontakt zu einer lebendigen, arbeitsnahen Umgebung und Freizeitmöglichkeiten und einer entschleunigten und unabhängigeren, naturverbundenen Lebensweise gesehen werden – und damit auch als StadtLandQuartier. Die Stadt von vorgestern wird so zum Quartier von übermorgen.
Mit der Digitalisierung besteht die Gefahr, dass wir nach der autogerechten Stadt mit der Smart City ein weiteres Mal einem technikgetriebenen Leitbild folgen und das menschliche Lebensumfeld aus den Augen verlieren. Es gilt gemeinsam an einem menschlichen Leitbild festzuhalten, das die menschlichen Bedürfnisse und Möglichkeiten in den Fokus rückt. Jan Gehl hat es in seinem Buch Städte für Menschen treffend formuliert: „Wir werden auch morgen noch gleich groß sein, gleich schnell und weit laufen können und genauso weit gucken können“ (2015). Kein Leitbild könnte nachhaltiger sein.
Den vollständigen Artikel im urbanLab Magazin inklusive mehrerer Beispiele finden Sie hier.
Marcel Cardinali (MSc. Städtebau)
ist als Stadtplaner und -forscher seit 2016 an der Technischen Hochschule OWL im urbanLab tätig. Er hat einen Master-Abschluss in Städtebau und widmet seine Forschung den Auswirkungen des gebauten Raums auf die Gesundheit, das Verhalten und das Wohlbefinden des Menschen. Dabei untersucht er die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Handlungsfeldern der Stadtplanung, mit einem besonderen Fokus auf Gebiete der Stadterneuerung.
Literatur
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