ULF WALLICZEK: GENERATIONENGERECHTES WOHNEN

© TZQ / Ulf Walliczek

Unser Magazin steht dieses Mal unter dem Titel Sehnsüchte. Wir fragen uns, was sind eigentlich die großen Sehnsüchte eines Menschen. Nicht erst seit, aber v. a. durch Corona wurde der Wunsch nach Gemeinschaft (wieder) größer – ein Thema, dass v. a. für ältere Menschen ein Dauerbrenner-Thema ist. Mit Team ZukunftsQuartiere haben Sie sich genau dieser Aufgabe verschrieben. Aus welcher Motivation heraus sind Sie diesen Schritt gegangen und was machen Sie anders als die typischen Projektentwickler, die sich dieser spezifischen Asset-Klasse verschrieben haben?

Ich bin seit mehr als 25 Jahren in der Immobilienbranche tätig und konnte sie aus den unterschiedlichsten Blickwinken betrachten. Aus privaten Gründen bin ich vor zehn Jahren in den Bereich des „Altenpflegewohnen“ hineingestolpert. In meiner Familie gab es eine stationäre Pflegereinrichtung südwestlich von München, die mein Vater geplant, gebaut und auch lange Zeit betrieben hat, bevor sie verpachtet wurde. Als die Verlängerung des Pachtvertrages und eine Modernisierung anstanden, war für mich klar, dass wir einen anderen Weg gehen müssen, weil unser deutsches Modell der Altenpflege nicht zukunftstauglich ist. Der Handlungsspielraum der Pflegebetreiber für eine bessere personelle Ausstattung oder attraktivere Bezahlung in stationären Pflegeeinrichtungen ist einfach minimal. Der tägliche Kampf um Pflegekräfte lässt sich mit wertschätzender Pflege kaum realisieren, und so werden weder Bewohnende noch die Angehörigen und erst recht nicht das Pflegepersonal damit wirklich glücklich. Das bewährte Konzept von „Projektentwickler baut Pflegeeinrichtung, verpachtet diese langfristig an eine Betreibergesellschaft und verkauft das Projekt an eine Investmentgesellschaft“ funktioniert mit Blick auf den Fachkräftemangel und die baulichen Restriktionen von Pflegeimmobilien einfach nicht mehr. Im Verlauf der vergangenen Jahre habe ich gelernt, dass wir die Immobilie ins Umfeld öffnen müssen, so dass Pflege und Betreuung als Gemeinschaftsaufgabe möglich sind. Dieses neue Modell braucht neben einem anderen baulichen Konzept auch ein aktives Quartiersmanagement (QM), das in Deutschland immer noch in den Kinderschuhen steckt. Die eigentliche Triebfeder war also der Wunsch, für den Bereich „Wohnen im Alter“ ein neues Modell zu entwickeln, das sowohl baulich als auch inhaltlich den gegenwärtigen Bedürfnissen aller Beteiligten entspricht und als integraler Bestandteil eines Quartiers verstanden wird.

Vergangenheit versus Gegenwart und Zukunft: Inwiefern hat sich denn das „Wohnen im Alter“ im Verlauf der vergangenen Jahre verändert?

Zweifelsohne ist es nicht neu, dass die Pflege und Betreuung von Angehörigen meistens nicht mehr in den Händen von Familienmitgliedern liegen. Gleichzeitig nimmt die Verweildauer in stationären Pflegeheimen kontinuierlich ab: Während in unserer Einrichtung viele Bewohnende meist mehr als zehn Jahre gelebt haben, liegt der durchschnittliche Aufenthalt in deutschen Pflegeheimen heute gerade noch bei elf Monaten; sprich, der Weg in eine stationäre Pflegeeinrichtung wird bis aufs letzte hinausgezögert. Resultat: Diese wichtige Entscheidung fällen die alten Menschen meist nicht mehr selbst. Wir reden an dieser Stelle eigentlich nicht mehr über eine Pflege-Wohnform, sondern über ein Hospiz. Dabei wünschen sich laut einer Befragung 98% der Seniorinnen und Senioren über 65 ein selbstbestimmtes Leben im Alter. Hierbei nimmt die medizinische Rund-um-die-Uhr-Versor- gung einen geringeren Stellenwert ein als die Möglichkeit, weiterhin seinen Tagesablauf aktiv und so weit wie möglich selbststän- dig gestalten zu können.

Und inwiefern hat dies Auswirkungen auf die Gestaltung von Seniorenimmobilien?

Unser bisher verfolgtes Modell ist nicht flexibel genug. Projektentwickler und Investoren bzw. Betreibende sehen ihr Heil noch immer in Pachtverträgen mit Laufzeiten von mindestens zehn Jahren. Im Mittelpunkt steht nicht der Mensch, also die Bewohnerschaft der Pflegeimmobilie, sondern ein Finanzierungskonzept, das Sicherheit verspricht und der Prämisse folgt „Alte Menschen gibt es immer, wir brauchen nur effizientere Gebäude für ordentliche Pflege“. Auf dem Papier mag dies vielleicht (noch) aufgehen. Mit menschenwürdiger Versorgung bzw. einem selbstbestimmten und attraktiven Leben im Alter hat dies allerdings wenig zu tun. Wir sind lange Zeit davon ausgegangen, die Verantwortung für ältere Menschen auf ein Team aus Pflegekräften abwälzen zu können. Weil sich aber die Rahmenbedingungen in der Altenpflege nicht verbessern und mit dem demografischen Wandel auch einfach nicht genügend junge Pflegekräfte nachkommen, werden die (zu) wenigen Pflegekräfte überfordert. Die Betreiber können es nicht schaffen, ausreichend gut geschultes Personal zu gewinnen und somit auch nur begrenzt neue Pachtverträge abschließen. Die Folge ist, dass trotz steigendem Bedarf immer weniger neue Pflegeplätze entstehen.

Als Antwort auf das Problem versuchen Entwickler und Betreiber neue Wohn- und Versorgungsformen mit weniger Pflege- und Betreuungseinsatz zu entwickeln. Wir reden dann von „betreutem Wohnen“ oder „Service-Wohnen“. Das sind wohltuende Begriffe, die meist demselben Modell der Betreiberbindung folgen, damit Spezialimmobilien bleiben und insofern das Problem nicht lösen. Wir müssen neue Wohn- bzw. Versorgungsformen realisieren, die jegliches Engagement im Umfeld bei der Versorgung miteinbeziehen. In der Kindererziehung heißt es so schön: „Es braucht ein ganzes Dorf um ein Kind großzuziehen“. Wir brauchen aber auch ein ganzes Quartier, um im Alter selbstbestimmt versorgt zu werden.

Wie würde denn Ihre Vision einer solchen Gemeinschaft aussehen?

© Daavid Mörtl // Quartiere der Zukunft denken „Wohnen im Alter“ als integralen Bestandteil mit. Verschiedene Wohntypologien berücksichtigen die individuellen Bedürfnisse älterer Menschen.

Mein Ideal fußt auf dem Bild der Versorgung im Quartier: Im Quartier wohnen zu können und eine starke persönliche Verbindung zu diesem zu haben, ist mindestens so essenziell wie sich dort einbringen zu können und die Wahlfreiheit zu besitzen, bei Bedarf auch umzuziehen – wenn z.B. die eigene Wohnung zu groß geworden ist oder der Sinn nach mehr Gemeinschaft steht. Wichtig auch hier: Selbstbestimmung! Ich hole mir dann Hilfe von außen, wenn ich sie brauche und lebe in der Gewissheit, dass es Menschen gibt, die sich bei Bedarf um mich kümmern. Und auch diejenigen, die sich einen Umzug nicht leisten können oder es aus persönlichen Gründen nicht übers Herz bringen, sollten ebenfalls an das Quartier angebunden sein und Versorgungssicherheit bekommen.

Und was bedeutet das für die Stadtentwicklung?

Eine starke Vernetzung auf allen Ebenen, wie es beispielsweise Paris verfolgt – im Grunde also das Modell der 15-Minuten-Stadt. Wenn Bewohnende eine gute Versorgungssicherheit und Kommunikation im Quartier erfahren, also alles vorfinden, was sie zum Leben brauchen, dann unterstützen sie sich auch gegenseitig. Wichtig: Als Team ZukunftsQuartiere maßen wir uns nicht an, als Monopolist in diesem Kontext Lösungen zu liefern. Auch die jüngsten Debatten um Nachhaltigkeit und Ansätze, die in Folge der Corona-Pandemie entwickelt wurden, bieten Anknüpfungspunkte mit großem Potenzial. Es gilt, gemeinsam an neuen Konzepten zu arbeiten.

Das passt zu Ihrem Website-Slogan: Teilhabe und Versorgung unserer alternden Bevölkerung kann nur dann gelingen, wenn wir diese als gemeinsame Aufgabe von Immobilienwirtschaft und Gesellschaft verstehen. Das klingt logisch, aber: Was haben wir (in Deutschland) bislang versäumt und gibt es Nachbarländer, die es besser machen?

Städte wie Wien zeigen uns nicht nur wie bezahlbares Wohnen, sondern auch wie erfolgreiches Quartiersmanagement funktioniert. Auch unsere niederländischen Nachbarn verstehen Pflege als gemeinschaftliche Aufgabe und stellen Versorgung in Quartieren z. B. auch über die Einbindung ehrenamtlichen Engagements sicher. Unser Problem hier in Deutschland ist, dass wir einerseits das eingefahrene System zwischen Immobilien- und Pflegewirtschaft haben und andererseits, dass die Immobilienwirtschaft in Insellösungen denkt, also in Grundstücken und Gebäuden, die in sich abgeschlossen sind. Soziale Nachhaltigkeit kann aber erst dann gelingen, wenn – wie eingangs erwähnt – Gebäude geöffnet werden; nicht nur für die Mieterschaft des Hauses, sondern für das gesamte Quartier. So entsteht eine Hub-Funktion, die sich positiv auf das gesamte Umfeld auswirkt – innen wie außen. Ein Quartier ist insofern also nicht die Summe vieler Gebäude, sondern beginnt sozusagen bereits innerhalb eines Gebäudes durch vielseitige Funktionsmischungen, die durch das Quartiersmanagement organisiert und betreut werden.

Gibt es bereits solche Formen des Quartiersmanagements hierzulande?

Ja, mein Kollege Torsten Anstädt betreibt mit HumaQ Quartiersmanagement in beratender Funktion für meist karitative Träger und Kommunen, wie z. B. das Quartier Komponistenviertel in Wiesbaden. Er kümmert sich um die Implementierung der digitalen Plattform sowie um das Recruiting, die Ausbildung und das Coaching der Quartiersmanagenden, die seitens der karitativen Einrichtungen gestellt werden. Unser nächster gemeinsamer Schritt ist die Lösung von einem karitativen Verband/Betreiber hin zum Aufbau eigener lokaler Quartiersmanagement-Teams. Hintergrund ist der, dass die Anforderungen an Quartiermanagende relativ neu sind und somit auch die Auswahl geeigneter Kandidatinnen wohlüberlegt sein muss. Zu Beginn habe ich mich beispielsweise auf Experten aus der ambulanten Pflege beschränkt. Das war insofern nicht zielführend, als dass sie für die komplexe Aufgabe eine zu starre fachliche Perspektive besaßen. Die Aufgabe der Quartiermanagenden ist es, über die aktive Verknüpfung von Bedarfen und Angeboten Versorgungssicherheit zu schaffen. Sie sollen dabei nicht anfangen, selbst Angebote zu realisieren oder pflegerisch aktiv zu werden. Natürlich braucht es den Blick für die pflegerischen Bedarfe eines Menschen, aber es geht auch um Kulturmanagement, die Einbindung von Dienst- leistern u.v.m. Sie sehen: Das ist eine hoch komplexe Aufgabe, die ein Höchstmaß an sozialer Kompetenz erfordert, gepaart mit dem Willen, sich aktiv in die entsprechenden Prozesse einzubringen und vernetzt denken zu können. Und auch wenn wir hier speziell über Seniorinnen und Senioren sprechen – Quartiersmanagement ist letztlich eine Aufgabe, die Mehrgenerationen-Wohnen betrifft – das gesamte Quartier in all seinen Facetten.

Wechseln wir einmal auf die Ebene der Projektentwickler. Wie progressiv zeigen sie sich hinsichtlich solcher Visionen?

In meinen Gesprächen fällt meist die Marke von 30%, die PEs für Seniorenwohnungen einplanen wollen. Kernfrage ist immer, wann Wohnungen denn eigentlich als seniorengerecht gelten. Aus unserer Sicht gilt es, verschiedene Wohnformen und Wohnungstypologien zu entwickeln, die zu einem gewissen Anteil Community-Wohnen; also Wohnformen, in denen Senioren zur Miete wohnen, aber in Gemeinschaft sind, sobald sie ihre vier Wände verlassen und zur Tür hinaustreten. Solche Gebäude brauchen auch eine Infrastruktur für Assistenzsysteme, die je nach Bedarf von den Senioren und Seniorinnen genutzt werden können. Daneben gibt es das übliche barrierefreie Wohnen, das sich mittlerweile immer mehr etabliert und sich vom Community-Wohnen nur insofern unterscheidet, als dass es keinen unmittelbaren Anschluss an Gemeinschaft gibt.

Und was sagt die kommunale Seite zu diesen Entwicklungen?

Hier spreche ich wieder für meinen Kollegen Torsten Anstädt, der seitens der Städte bereits viel positives Feedback erhält. Die Kommunen stehen unter Druck, entsprechenden Wohnraum anzubieten. Mit den SDG (Sustainable Development Goals) haben sie ferner Vorgaben zu erfüllen, was z. B. soziale oder auch digitale Teilhabe der Bewohnerschaft betrifft. Außerdem wissen die Stadtkämmerer auch, dass sie es sind, die am Jahresende die Verluste ausgleichen müssen, wenn sie eine Pflegeeinrichtung bauen, diese an Die Johanniter oder Das Deutsche Rote Kreuz verpachten und aufgrund von Pflegekräftemangel Bewohnerplätze unbelegt bleiben. Kurzum: Auch Kommunen suchen gegenwärtig nach neuen Lösungen, die wir ihnen an die Hand geben können.

Sogenannte „neue Lösungen“ gehen auch einher mit der Integration digitaler Tools. Älteren Menschen wird zum Teil der Wille und sogar die Kompetenz abgesprochen, diese nutzen zu wollen – ganz abgesehen von dem viel zitierten Vorurteil, die Digitalisie- rung würde die Vereinsamung alter Menschen noch befeuern. Wie ist Ihre Haltung hierzu?

Abgesehen davon, dass digitale Tools – sofern richtig eingesetzt – den Alltag älterer Menschen erheblich erleichtern können, und diese Generationen auch durchaus offen sind, solche Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen, beweisen z. B. unsere Nachbarn, wie Digitalisierung der Vereinsamung erfolgreich entgegenwirken und soziale Teilhabe fördern kann – und zwar nicht nur für ältere Menschen, sondern auch für junge Menschen. Dort gibt es „Kultur auf Rezept“. Torsten Anstädt hat eine ähnliches Angebot für Senioren auf die Beine gestellt: „Die gute Stunde“. Das sind Wunschkonzerte, die live in einem Café stattfinden; zu denen sich die Bewohnerschaft im Quartier aber auch online dazuschalten können. Digital-Lotsen führen die Senioren und Seniorinnen in die Nutzung der entsprechenden Geräte ein, so dass jeder dazu in der Lage ist, sein Gerät selbstständig zu bedienen. Den Inhalt der Wunschkonzerte bestimmen die Senioren und Seniorinnen: Sie können sich im Vorfeld Musikstücke oder Gedichte wünschen, die dann im Rahmen der „Guten Stunde“ vorgetragen werden. Darüber hinaus gibt es auch die Möglichkeit von Museumsbesuchen: Wer körperlich nicht dazu in der Lage ist, wird online mitgenommen. So viel zur These „Vereinsamung durch Digitalisierung“.

Abgesehen vom „menschlichen/ideellen Wert“ Ihrer Idee: Wie finanzieren Sie Ihre Projekte? Sind Sie hier auf Investoren angewiesen oder erhalten Sie auch seitens der Politik finanziellen Support?

© Daavid Mörtl // Gemeinschaft, Teilhabe und Selbstständigkeit sind Aspekte, die im Alltag älterer Menschen ebenfalls beachtet werden müssen.

Wir sind glücklicherweise nicht auf Investoren angewiesen, da der Bedarf so hoch ist, dass sich auch das Angebot darstellen lässt. Wir haben drei Zielgruppen, die wir begleiten: Investierende, Projektentwickelnde und Kommunen. In Bezug auf Investierende sind wir derzeit auf der Suche nach passenden Leadinvestoren, die einen sogenannten auflegen wollen, mit dem sie nicht nur die ökologische, sondern auch soziale Nachhaltigkeit von Immobilien in den Fokus nehmen. Unsere Aufgabe ist es, zusammen mit den Investierenden eine Asset & Sourcing-Strategie aufzusetzen, d.h. auszuarbeiten, an welchen Orten, mit welchem Projektvolumen in vordefinierten Ankaufsprozessen investiert werden soll. Einmal vereinbart, gehen wir raus und sprechen passende Projektentwickelnde an. Sie stellen uns potenzielle Projekte vor, für die wir dann eine sogenannte Quartierspotenzialanalyse erstellen. Anhand von rund 100 KPI ́s erstellen wir ein genaues Bild zu den Bedarfen bezüglich Lage, Einzugsgebiet, Altersstruktur und Pflegebedarfe sowie vorhandene Gewerbe- und Versorgungsstrukturen. In diesem Fall werden wir entweder vom Investierenden oder vom Projektentwickelnden finanziert. Das ist relativ einfach. Wenn ein Investor ein Objekt von einem Projektentwickler kauft, das den ESG-Kriterien entspricht und auch unserer Quartiersstandortanalyse gerecht wird, übernimmt der Investor auch die Anlauffinanzierung für das Quartiersmanagement für einen Zeitraum von zwei Jahren. Denn: Mit dem Einzug der Personen ist die Quartiersvernetzung schon da. D.h. die Mietenden, die einziehen, schließen zugleich einen Service-Vertrag mit dem unabhängigen QM und die gesamten Gewerbe und Dienstleistenden werden mit eingebunden. Letztgenannte profitieren von direkter Kundennähe. Hierfür zahlen sie eine Lizenzgebühr. Infolgedessen brauchen wir weder öffentliche Fördermittel noch müssen wir Investoren oder Projektentwickelnde zur Kasse bitten. Auf diese Weise vermeiden wir auch Interessenskonflikte.

Und welche Bewohnenden können es sich leisten, in Ihren Quartieren zu leben?

© Daavid Mörtl

Das hängt natürlich davon ab, an welchem Ort das Projekt realisiert wird und wie das direkte Umfeld aussieht. Per se ist diese Wohnform kostengünstiger als ein stationärer Pflegeplatz, da die 24-Stunden-Betreuung wegfällt. Hinzukommen deutlich kleinere Wohnflächen, die ebenfalls zur Verminderung der Kosten beitragen. Meine Mutter war quasi unsere Testperson für das SeniorenQuartier Pilsensee. Sie hat sich in Bezug auf die Wohnfläche erheblich verkleinert, sagte aber, die neue Wohnung passe wie ein maßgeschneiderter Handschuh zu ihr: Sie hat alles im nahen Umfeld, muss keine langen Wege zurücklegen und hat keine Zimmer mehr, die sie nicht braucht. In der Regel sprechen wir bei unseren Modellen über 1- bis 2-Zimmer-Wohnungen für Alleinstehende und 2- bis 3-Zimmer-Wohnungen für Ehepaare. Ein weiterer Aspekt ist, dass wir abhängig vom jeweiligen Bundesland gewisse Vorgaben berücksichtigen müssen, was die Mietpreisbindung anbelangt: 20, 30 oder sogar 40% müssen wir je nach Ort in dem Projekt mit abbilden. Das ist das, was den bezahlbaren Wohnraum angeht. Die anderen zahlen quasi mehr. Und ein oben bereits erwähnter Nicht-Umziehender, der seinen Mietvertrag vielleicht schon seit 30 Jahren hat und es sich nicht leisten kann (oder nicht leisten will) umzuziehen, zieht einfach nicht um. Was wir im Falle des SeniorenQuartier Pilsensee als „lesson learned“ mitgenommen haben, ist: Wir hatten hier v. a. Ehepaare im Kopf, die über viele Jahrzehnte zusammengelebt haben und dann vor der Entscheidung standen, sich zumindest örtlich zu trennen, weil einer nicht mehr dazu in der Lage war, im üblichen Wohnumfeld zurechtzukommen. Im Quartier Pilsensee ist es so, dass der Hilfsbedürftige z. B. morgens in die Tagespflege geht, dort betreut wird und der noch gesunde und fitte Partner weiterhin seinem ganz normalen Alltag nachgehen kann. Am Abend treffen sich dann wieder beide entspannt in der gemeinsamen Wohnung – alle Bedürfnisse werden berücksichtigt, keiner wird eingeschränkt und ein gemeinsames Leben ist weiterhin möglich.

Das Quartier als (große) „Familie“ – die Rückbesinnung auf Gemeinschaft – das klingt für mich nach einer Sehnsucht nach ganz ursprünglichen, menschlichen Werten. Sind uns diese etwa abhandengekommen und wird uns dies nun mehr und mehr bewusst?

Ich denke tatsächlich, dass einige Werte in den vergangenen Jahren sehr in den Hintergrund getreten sind und wir nun – befeuert durch die Globalisierung und nicht zuletzt auch durch Corona – den Wert der Lokalisierung sowie der Gemeinschaft wiederentdecken. Das bezieht sich übrigens nicht nur auf das Thema Wohnen, sondern auch auf Arbeitsprozesse. Hier in München gibt es ein junges Unternehmen namens Kuchentratsch, die Senioren und Seniorinnen beschäftigen, die ihre Lieblingskuchen backen und mittlerweile in ganz Deutschland verkaufen. Die alten Menschen haben wieder eine Aufgabe, sie fühlen sich gebraucht, wertgeschätzt und wieder in einen sinnvollen Lebenskontext eingebettet, verdienen sich darüber hinaus etwas dazu und bilden so auch eine lokale Gemeinschaft. Das sind Geschäftsmodelle, die sich vor zehn Jahren noch nicht hätten etablieren können. Heute reden wir von „social entrepreneurship“, das sich explizit auf die Verknüpfung unterschiedlicher Generationen fokussiert. Der Bedarf in diesem Bereich ist mindestens so groß wie das Potenzial, das sich hieraus ergeben kann.

Das klingt sinnvoll, lebens- und liebenswert – ein schöner Abschlussgedanke.

Herzlichen Dank für dieses interessante Gespräch.

 


ULF WALLICZEK

verknüpft über 25 Jahre Erfahrung in allen wesentlichen Bereichen der Immobilienwirtschaft mit genauen Kenntnissen im Management von Altenpflegeeinrichtungen. Die von ihm gegründete Team ZukunftsQuartiere GmbH (TZQ) ist ein Netzwerk aus Expertinnen und Experten, die sich allesamt zu den „Quartiersaktivisten“ zählen. Das sechsköpfige Team berät und begleitet Projektentwickelnde, Investierende und Kommunen rund um sozial nachhaltige Wohn- und Versorgungskonzepte für die Generation 65+. Der Fokus liegt darauf, seniorengerechte Wohnimmobilien und ihre Bewohnerinnen und Bewohner durch ein aktives Quartiersmanagement mit Angeboten, Dienstleitungen und sozialen Begegnungen im umgebenden Stadtquartier zu vernetzen. Ulf ist 52 Jahre alt, Vater von zwei Söhnen und lebt mit seiner Patchwork-Familie in München.

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