
Isometrie der Gathof-Kreuzung @ rethmeierschlaich architekten
Die Stadt Obertshausen liegt mit ihren 25.000 Einwohner:innen eine knapp halbstündige S-Bahnfahrt von Frankfurt am Main entfernt. Damit gehört sie zum Einzugsgebiet der Initiative Großer Frankfurter Bogen, in deren Rahmen sich 39 von 55 Kommunen im 30-Minuten-Umkreis der Mainmetropole für mehr bezahlbaren Wohnraum und gegen den Siedlungsdruck in der Großstadt einsetzen. Der im April entschiedene Wettbewerb wurde im Rahmen des Projektes Zukunftswerkstatt der Initiative gefördert und möchte am Beispiel von Obertshausen neue Ideen für Wohnraumschaffung aufzeigen. Da die Wälder, Wiesen und Auen am Stadtrand der flächenkleinsten Kommune der Initiative als wertvolle Erholungsflächen erhalten bleiben sollen, gibt es dort keine Siedlungsflächenentwicklung. Seit mehr als zwei Jahrzehnten konzentriert sich Obertshausen daher auf die innerstädtische Entwicklung. Der Rückbau der B448 birgt daher großes Potenzial, um neue Flächen zu generieren und diese mithilfe des Wettbewerbs innovativ und urban zu gestalten.
Für die erste Phase des Wettbewerbs wurden elf Beiträge eingereicht, von denen sechs für die Weiterbearbeitung in der zweiten Phase ausgewählt wurden. Zwischen den beiden Phasen präsentierte das betreuende Büro BÄUMLE Architekten | Stadtplaner die Projekte im Rahmen einer Bürger:innenbeteiligung. Insgesamt lag der Fokus auf der Überarbeitung der Verkehrssituation, denn die Trennung ihrer Stadt durch die B448 war den Obertshausener:innen schon lange ein Dorn im Auge. Die vierspurige Straße verhindert ein Zusammenwachsen der Ortsteile Hausen und Obertshausen, die 1977 per Gesetz zusammengelegt wurden. Die Ausbildung eines gemeinsamen Ortszentrums und damit auch einer städtischen Identität wird durch den Mangel an Querungen und die klare Priorisierung des KFZ-Verkehrs unterbunden.

Perspektive des neuen Zentrums © rethmeierschlaich architekten
Im Herzen des 19 Hektar großen Wettbewerbsgebiets entlang der Bundesstraße liegt die sogenannte Gathof-Kreuzung: Dort schneidet die B448 die Schönbornstraße, die heute neben zwei kleineren Fußgängerbrücken die einzige Verbindung zwischen den beiden Ortsteilen darstellt. Der erstplatzierte Entwurf des Kölner Büros rethmeierschlaich architekten zusammen mit Rabe Landschaften aus Hamburg konnte die Jury durch die Herausarbeitung der Kreuzung als urbane und grüne Schnittstelle einstimmig überzeugen. Im Konzept sind an dieser prominenten Stelle öffentliche Nutzungen vorgesehen, die Hausen und Obertshausen verbinden und ein gemeinsames urbanes Zentrum formen sollen. Wichtig sind dabei drei Aspekte: die Aktivierung des Marktgebäudes mit kleinteiligem Gewerbe, der multifunktionale Marktplatz sowie der „Platz des Spiels“ inklusive einer Skateanlage. Der am Marktplatz vorgesehene Neubau einer Bibliothek mit ergänzenden Bausteinen überzeugte die Jury mit der städtebaulich präzisen Setzung, für die Realisierung benötige dieser aber ein überzeugendes Raumprogramm sowie eine Architektur, die der prominenten Lage gerecht wird.

Gesamtplan © rethmeierschlaich architekten
Entlang der B448 stellen die Verfasser:innen die Natur in den Fokus. Aus dieser Intention heraus fügt der Entwurf die bestehenden Waldstücke entlang der Straße zu einem verspringenden Waldpark. Dieser soll zum einen eine innerstädtische, ökologische Verbindung formen und zum anderen einen wohnungsnahen Erholungsort zum Leben und Lernen bieten. Für die Bundesstraße ist ein Rückbau zur zweispurigen Stadtstraße mit zahlreichen Querungen für Rad- und Fußverkehr vorgesehen, der im ganzen Wettbewerbsgebiet Priorität erhält. Den pedalierenden Verkehr verlagern die Verfasser:innen auf einen Radschnellweg durch den Waldpark, der damit zum Rückgrat einer wichtigen städtischen Infrastruktur wird. Gleichzeitig trägt er zur Belebung des weitläufigen Waldstücks bei. Nutzungen wie Spielplätze, Pavillons und Aktivitätsräume an den Kreuzungspunkten sowie die angrenzende Wohnbebauung ergänzen den Waldpark.

Verkehrskonzept © rethmeierschlaich architekten
Im nördlichen Teil des neuen Grünraumes sind Sport- und Spielplätze für alle Altersgruppen, Streuobstwiesen und Baumlehrpfade vorgesehen. Zusätzlich geplant sind Retentionsflächen und kleine Plattformen, die als Treffpunkt oder Veranstaltungsort dienen sollen. Dabei bestimmt der Baumbestand die Positionierung der neuen baulichen Elemente, die alle als Holzbauten auf Pfahlstützen konzipiert sind. Gegenüber des Waldstücks soll sich zwischen der Stadtstraße und Leipziger Straße ein neues Wohnquartier erstrecken, in dessen Freiräumen die Elemente des Waldparks weitergeführt werden. In diesen sind neben der klassischen Wohnnutzung auch altersgerechte Konzepte, Co-Working, ein Ärzt:innenhaus, eine Kita sowie Gewerbeflächen geplant. Die Erschließung erfolgt über eine Fahrradstraße mit motorisiertem Einbahnverkehr, welcher durch Mobility Hubs in den Eingangsbereichen des Quartiers entlastet werden soll. „Das Auto ist hier nur zu Gast“, erklären die Verfasser:innen.

Isometrie des nördlichen Gebietes mit Wohnnutzung © rethmeierschlaich architekten
Im südlichen Teil sollen Stadthäuser den Waldpark flankieren. Im Grünen verortete Nutzungen wie Schulterrassen und ein Freiluft-Klassenzimmer unterstützen die dort vorgesehenen Bildungsbauten von Grundschule und Kita. Gemeinsam mit dem Bestand der Hermann-Hesse-Schule und der Georg-Kerschensteiner-Schule bildet der Entwurf so einen Bildungscampus aus, der programmatisch an das Zentrum mit der neuen Bibliothek anknüpft. Am Rand des Waldparks schließt das bestehende Gewerbegebiet an, welches der Entwurf mit weiteren Bausteinen ergänzt.

Isometrie des südlichen Gebietes mit Bildungsbauten © rethmeierschlaich architekten
Die Realisierung des Entwurfs wurde in der Auslobung abschnittsweise gefordert. Dies möchten die Gewinner:innen mit der Orientierung an den Besitzverhältnissen der Parzellen umsetzen. Die erste Phase beinhaltet die Verlegung des Bauhofes in das südliche Gewerbegebiet, wodurch im Norden die Wohnnutzungen sowie der Waldpark verwirklicht werden können. In der zweiten Phase liegt der Fokus auf der sozialen Mitte mit den Bildungsbauten, während die anschließende dritte Phase die urbane Klammer an der Gathof-Kreuzung ausformuliert und den Bildungscampus einbettet. Finalisiert wird die Umsetzung in der vierten Phase mit den Stadthäusern am südlichen Waldpark.
Das Ergebnis des Wettbewerbs in Obertshausen zeigt, wie die Umsetzung der Verkehrswende auch in eingeschränkten Siedlungsgebieten möglich ist und dass manchmal mutige Ideen erforderlich sind, um Konzepte für die Zukunft zu entwickeln.
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Art des Wettbewerbs: offener, zweiphasiger, anonymer städtebaulich-freiraumplanerischer Realisierungswettbewerb mit Ideenteil
Auslober:in: Stadt Obertshausen
Wettbewerbsbetreuung: BÄUMLE Architekten I Stadtplaner
Juryvorsitz: Torsten Becker, Stadtplaner, Frankfurt am Main
Prämierungen
1. Preis (30.000 €): rethmeierschlaich architekten PartG mbB, Köln mit Rabe Landschaften, Hamburg
2. Preis (19.000 €): mharchitekten GmbH | Freie Architekten und Stadtplaner, Stuttgart mit Freiraum+Landschaft, Nürtingen
3. Preis (11.000 €): H. Gies Architekten GmbH, Mainz mit Pfrommer + Roeder Freie Landschaftsarchitekten BDLA, Stuttgart
Anerkennung (7.500 €): Gräf Architekten GmbH, Kaiserslautern mit Hofmann Röttgen Landschaftsarchitekten BDLA, Limburgerhof
Anerkennung (7.500 €): Kama Architekten, Frankfurt am Main mit GTL Michael Triebswetter Landschaftsarchitekt, Kassel
Alle sechs Beiträge der zweiten Phase erhielten zudem ein Bearbeitungshonorar von 12.500 €.
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