VON MENTAL MAPS, SZENEVIERTEL UND MIXED USE

Prof. Dr. Thomas Beyerle

Was verbindet ein Bairro in Spanien, eine Buurt in den Niederlanden, ein Grätzl in Wien, ein Kvarter in Schweden? Klar wird es erst, wenn man die deutschen Begriffe einfließen lässt: ein Kiez in Berlin oder ein Veedel in Köln – und schon hat man ein Bild vor Augen. Doch auch die soziogeographischen Bezeichnungen wie Bahnhofsviertel, Bankenviertel, Hafenviertel, Künstlerviertel, Szeneviertel oder Rotlichtviertel wirken beim Betrachter stilprägend. Gleichwohl bereitet die Abgrenzung Schwierigkeiten: Zumal es sich häufig nur um wenige Straßenzügen handelt, welchen der Betrachter zumeist individuell abgrenzt. Er bzw. jeder verfügt über eine sog. mental map, eine kognitive Karte welche einen geographischen Raum bzw. Zusammenhangsraum definiert. Einfacher formuliert: es gibt sichtbare, aber vor allem unsichtbare Grenzen welche diese Raumabgrenzung logisch erscheinen lassen. Für Investoren, Städteplaner oder Finanzierer sind diese Raumabgrenzungen essentiell wichtig, Zumal es – leider – etliche negative Beispiele gibt, welche zwar „Wir schaffen Räume“ gebaut haben, aber eben keinen Raum und soziale Interaktionen erzeugt haben. Das Diffuse bei der Abgrenzung bzw. Projektentwicklung sind gerade die Hausforderungen, ein bestehendes, soziales Bezugssystem, das sich sowohl geografisch als auch von der sozialen oder ethnischen Struktur seiner Bewohner her von anderen Stadtvierteln abgrenzt, auf das neue Objekt zu übertragen. Ob es angenommen wird, zeigt sich erst, wenn sich die Bewohner damit definieren und es gar einen Naming – siehe z.B. Szeneviertel – regional  aufweist. Vorher ist es nur eine „Immobilie im Stadtraum“.

Erkennbar ist diese Auseinandersetzung mit dem Thema in der aktuellen Hochphase von Projektentwicklern, welche sog. gemischt genutzten Quartiere planen. Zeigt es doch, dass wir inmitten der größten städtebaulichen Veränderung in Europa seit 50 Jahren stehen: Die Doktrin der seinerzeit massiv propagierten „autogerechten Stadt“ findet zunehmend ihre Ablösung durch das Konzept der „kompakten Stadt“. Hinter dem schlicht anmutenden Begriff verbirgt sich ein grundlegender Transformationsprozess, der die westlich geprägten Gesellschaften in diesem Jahrhundert stark verändern wird. Investoren, Projektentwickler, Finanziers und Planer stellt er vor die Frage: Wie kann ein zukunftsfähiges Konzept für die „kompakte Stadt“ aussehen, in welchem Wohnen, Arbeiten, Konsumieren und Freizeitaktivitäten in idealer Weise kombiniert werden? Das führt naturgemäß zu Herausforderungen. Denn viele Nutzungen auf engem Raum erfordern für Investoren eine völlig neue Form der Partizipation bei der Ideenfindung, Planung und Gestehung. Denn das „Klötzchenschieben der Nutzungen“ ist bei den neuen Konzepten die erste grundsätzliche Nuss, die es zu knacken gilt. Welche Gewichtungen gesteht man Wohnen im Verhältnis zu Büro oder Retail zu? Fragen nach dem Parkraummanagement, dem privaten und öffentlichen Raumanteil innerhalb einer solchen Struktur schließen sich an. Wenn sich die städtebauliche Dynamik an den Hauptachsen und Knotenpunkten der Schienenstränge entfaltet, wird deutlich, dass es offensichtlich eine starke gesellschaftliche Metamorphose hin zu veränderten Mobilitätsanforderungen gibt.

Doch das neue Denken im Nutzungsmix wurde uns 50 Jahre lang in der Lehre, Planung und Umsetzung quasi ausgetrieben. Der Nutzungsmix, neudeutsch Mixed-Use, entpuppt sich immer mehr zum Nukleus der zukünftigen Stadtstruktur, gerne auch mit einem Höhenwachstum der Gebäude versehen. Und wenn gar – wie dieser Tage zu bestaunen – die Altstadt von Frankfurt genau nach dieser historischen Vorgabe kompakt wieder aufgebaut wird, scheint das nur die neue Übersetzung eines historisch erfolgreichen Modells zu sein. Als Kopie für den Rest Europas dient es allerdings kaum. Deshalb sollten wir uns real existierende Beispiele anschauen wie Kings Cross in London, in Dublin das Bolands Quai, die Hudson Yards in New York am Ende der Highline oder das REDI in Helsinki und idealerweise auf die deutschen Nachfrageverhältnisse übertragen. Dass es hier Rückenwind gibt zeigt sich beim Blick auf die aktuelle Praxis: Planungsbehörden widersetzen sich immer stärker gegenüber reinrassigen bzw. monofunktionalen Gebäuden. Investoren sehen wir eine neue Möglichkeit des Schaffens von Räumen. Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass eine Ansammlung von monofunktionalen Gebäuden also Wohnturm, Büroturm, Hotelturm oder Shopping Mall die Ingredienzien eines funktionierenden Quartiers auf dem Weg zum Quartier sind. Monofunktionalität im räumlichen Zusammenspiel kann dann ein lebendiges Quartier ergeben, wenn auch die soziale Interaktion berücksichtigt wird.

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