STEFAN SAGMEISTER: TU ES ODER VERGISS ES

© Victor G. Jeffreys

Stefan, abseits von deinem kreativen Alltag realisierst du fortlaufend Projekte, die sich mit großen Lebensfragen beschäftigen. Deine Suche nach dem Glück mündete in dem Film The Happy Film und in der Ausstellung The Happy Show. Das Thema Schönheit findet seine Beachtung in deiner Ausstellung BEAUTY. Woher rührt deine Motivation, dich mit solchen Mammut-Themen auseinanderzusetzen?

Ich bin im Herzen Kommunikationsdesigner. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen verwenden den Beruf fürs Bewerben und Verkaufen, was auch absolut ok ist. Ich glaube aber auch, dass das Design noch mehr kann, und so verwende ich die Sprache des Designs, um über Themen, die mir am Herzen liegen, zu sprechen. Das war in der Vergangenheit das Glück und die Schönheit. Derzeit arbeite ich an einem längeren Projekt über das langzeitige Denken.

Ist es dir gelungen, durch die intensive Auseinandersetzung eine „allgemeingültige Wahrheit“ zu finden, was Menschen unter „Glück“ und „Schönheit“ verstehen?

Schönheit ist die Kombination von Gestalt, Farbe, Materialität, Komposition und Form, die meine ästhetischen Sinne anspricht, speziell mein Sehen. Beim Glück erscheint mir die Einteilung nach Zeitspannen am hilfreichsten: Es gibt das ganz kurze Glück, der Glücksmoment der nur Sekunden dauert – ein Orgasmus fällt in diese Kategorie – das mittlere Glück, z. B. ein Sonntagnachmittag auf dem Sofa mit Zeitung und Hund, also die Zufriedenheit, die ein paar Stunden dauern kann, und das lange Glück – zu finden für was man gut ist im Leben – also etwas, das viele Jahre dauern kann. Das eine hat mit dem anderen wenig zu tun, aber alle fallen unter den Großbegriff „Glück“.

© Stefan Sagmeister / Die eigens für die BEAUTY Ausstellung produzierten Installationen animierten zum Sehen, Riechen und Fühlen und zeigten, dass schön gestaltete Arbeiten die menschliche Wahrnehmung stimulieren und damit besser funktionieren.

Für deine Untersuchung des Glücks hast du dir ein gutes Jahrzehnt Zeit genommen. Welche Auswirkungen hatten (und haben) diese zehn Jahre auf dein berufliches Wirken und dein persönliches Leben?

Ich selber habe für meinen HAPPY Film Meditation, kognitive Therapie und Drogen (Psychopharmaka) ausprobiert: Alle drei haben ein bisschen funktioniert. Viele prominente Psychologen denken, dass das Glück bis zu 50 % genetisch veranlagt ist, also teilweise angeboren. Das heißt für mich, dass ich für die andere Hälfte aktiv versuchen kann, ein gutes Verhältnis zu meinen Mitmenschen und zu meiner Arbeit herzustellen. Wenn es mir dann gelingt, auch etwas in meinem Leben zu machen, das größer ist als ich selber, geht es mir wahrscheinlich gut.

Es heißt, die Wahrheit tut manchmal weh. Ist die Suche nach dem Glück vielleicht unabdingbar daran gekoppelt, zunächst der eigenen Wahrheit ins Gesicht zu sehen und diese zu akzeptieren?

Ja, Selbstreflektion ist sicherlich der notwendige Beginn.

Wenn Schönheit im Auge des Betrachters liegt, also eine rein subjektive Erfahrung ist, wieso halten dann so viele Menschen ästhetisch Schönes zugleich für richtig?

Schönheit liegt NICHT im Auge des Betrachters. Weltweit zeigen verschiedene Kulturen eine erstaunliche Übereinstimmung bezüglich dessen, was schön ist. Das „Schöne“ wurde im 19. Jahrhundert als eigener Wert angesehen, übrigens auf derselben Höhe wie das „Gute“ und das „Wahre“. Als sich dann im Ersten Weltkrieg sogenannte zivilisierte Nationen auf die brutalste Art umbrachten, verloren viele Künstler, wie z. B. Max Ernst und Marcel Duchamp, den Glauben an den Wert des Schönen. Letztlich bestimmen wir alle, die Kunst ansehen, ob diese schön ist oder nicht. Den meisten zeitgenössischen Künstlern wird unsere Meinung allerdings egal sein, da Schönheit in der zeitgenössischen Kunst selten ein angestrebtes Ziel ist. Dieses Denken ist für mich geschichtlich gut nachvollziehbar, heute aber durch hundertjährige Wiederholung im wahrsten Sinne des Wortes überholt und langweilig.

Als Designer liegt dein Fokus auf der Gestaltung bzw. Vermittlung visueller Botschaften und Produkte. Gesetz den Fall, es gibt diese Kluft: Wie unterscheidet sich gutes Design von wahrem Design?

Gutes Design ist Design, das jemandem hilft und jemanden erfreut. Darüber zu urteilen, welches Design „wahr“ ist, traue ich mich nicht.

Unsere gegenwärtige Gesellschaft befindet sich gelinde ausgedrückt in einem „Wahrheitsdilemma“: Das Schwarz-Weiss-Denken lässt kaum mehr Raum für die Graustufen des Lebens. Dein Projekt zum Langzeitdenken zeigt: Früher war nicht alles besser. Aus welcher Motivation ist dieses Projekt entstanden?

© Stefan Sagmeister / Der Besuch der Ausstellung THE HAPPY Show nimmt die Besucherinnen und Besucher mit auf die Reise in Stefan Sagmeisters Gedanken zum Thema Glück.

Ich schaue mir die Entwicklungen der Menschheit über einen langen Zeitraum an und greife dazu auf bis zu 500 Jahre alte Daten zurück. Aus ihnen geht hervor, dass sich praktisch alles positiv entwickelt hat. Diese positiven Entwicklungen interessieren mich. Ich versuche sie zu visualisieren, in der Hoffnung, daran zu erinnern, dass die vielen schlechten Nachrichten auf Twitter etc. eben nicht den tatsächlichen Zustand unserer Welt repräsentieren. Abgesehen von einigen Zynikern sind sich die allermeisten Menschen darüber einig, dass das Leben besser ist als der Tod; gesund zu sein besser ist als krank zu sein; Demokratie besser ist als eine Diktatur usw. All diese Dinge wurden gemessen und sind heute im Durchschnitt viel besser als früher. Denk nur einmal an ganz einfache Dinge wie das grauenhafte Essen im Österreich der siebziger Jahre. Daran kann ich mich selbst noch erinnern: schrecklich fettige Wiener Schnitzel mit dem schlimmsten Kartoffelsalat. Hundert Jahre davor gab es überhaupt nur Grießbrei und Kartoffeln. Keine Orangen, kaum Früchte, nichts Frisches, weil es noch keine Kühlschränke gab…

Zum Abschluss: Es heißt, aller guten Dinge sind drei. Was sind deine drei ganz „persönlichen Wahrheiten“?

1. Wenn ich mich etwas traue, geht es praktisch immer gut aus.

2. Selbstsicherheit führt zu guten Ergebnissen.

3. Jammern ist dumm. Ich sollte etwas tun oder es vergessen.

Vielen Dank für dieses inspirierende Gespräch.

 


STEFAN SAGMEISTER

wurde im österreichischen Bregenz geboren. Zuerst studierte er Ingenieurswesen, wechselte dann aber das Studienfach und studierte von 1981 bis 1986 Grafik-Design an einer Wiener Privatschule und bekam schließlich ein Fulbright-Stipendium am Pratt Institute in New York. Sein internationaler Durchbruch gelang ihm 1994 mit dem Albumcover für Mountains of Madness der befreundeten Grunge-Band H.P.Zinker. Infolgedessen kommen auch Lou Reed (1996 – Set the Twilight Reeling), Aerosmith und die Rolling Stones (1997 – Bridges to Babylon) für die Gestaltung eines Covers oder Plakates auf ihn zu. Für seine Arbeiten wurde er bislang für sechs Grammys nominiert. 1993 gründete er seine eigene Agentur Sagmeister Incorporated. 2010 traf Stefan Sagmeister die New Yorker Designerin Jessica Walsh, die er zwei Jahre später zur Partnerin machte. Die Agentur wurde daraufhin in Sagmeister & Walsh umbenannt. Um die Neuigkeit zu verkünden, posierte das Duo öffentlichkeitswirksam für Nacktfotos. Im Juli 2019 verließ Walsh die Agentur und gründete ihre eigene Agentur &Walsh. Daraufhin gab Sagmeister seiner Firma ihren ursprünglichen Namen Sagmeister Inc. zurück. Der Österreicher lebt und arbeitet in New York.

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